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REPRESSION/1679: AfD - Überholspur rechts ... (SB)



Höcke übernimmt die Methoden seiner Vorbilder aus den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts: Diskreditieren von Personen, Missbrauchen von demokratischen Regeln für seine Zwecke. Sein Flügel hat das Sagen und immer mehr gemäßigte Kräfte werden verdrängt. Wir müssen uns auf eine AfD einstellen, die von Höcke geführt wird.
Markus Söder (Bayerns Ministerpräsident und Vorsitzender der CSU) [1]

Nachdem der Verfassungsschutz den rechtsextremen "Flügel" der AfD um Björn Höcke und Andreas Kalbitz unter Beobachtung gestellt hat, eskaliert der interne Streit um den Kurs der Gesamtpartei. Kritiker des "Flügels", die zuletzt nahezu zum Schweigen gebracht worden waren, wollen die Gunst der Stunde nutzen, um ihre mutmaßlich letzte Chance nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, die befürchtete Übernahme abzuwenden. Wenngleich die vom Inlandsgeheimdienst auf rund 7000 Anhänger geschätzte Gruppierung zahlenmäßig nur ein Drittel aller Parteimitglieder versammelt, geht sie doch wesentlich aggressiver als die Mehrheit zu Werke und versucht, weitere Landesverbände zu unterwandern und in ihrem Sinne auszurichten. An dieser Dynamik wird wohl auch der aktuelle Beschuß nichts ändern, der sich auf die beiden Gallionsfiguren des "Flügels" konzentriert. Der eingangs zitierte Markus Söder dürfte mit seiner Prognose richtig liegen, daß man sich auf eine von Höcke geführte AfD einstellen müsse.

Söder, das sei hier beiläufig angemerkt, wirft mit seiner scharfen Abgrenzung gegen die AfD keineswegs die Positionen der CSU über Bord. Seehofers Kungelei mit Rechtsaußen hatte jedoch auch in Bayern dazu geführt, daß die sogenannte Volkspartei an Profil verlor und die Wählerschaft zur AfD umzuschwenken begann, die sie in zunehmendem Maße als das Original stramm nationalistischer Ausrichtung identifizierte. Markus Söder hat diesen Kurs korrigiert und den Trend gestoppt, worauf die AfD in seinem Bundesland wieder an Einfluß verlor. Deren erklärte Strategie, die anderen Parteien vor sich her zu treiben, scheint in Bayern erstmals gescheitert zu sein, worauf auch die aktuellen Ergebnisse der Kommunalwahlen hindeuten.

Was nun aber die innere Zerreißprobe der AfD betrifft, haben mehrere Landesverbände den "Flügel" massiv kritisiert und vor allem dessen Frontmänner heftig angegriffen. Spitzenfunktionäre westlicher Verbände fordern den Bundesvorstand der Partei auf, dem "Flügel" Einhalt zu gebieten, wobei auch Ordnungsmaßnahmen gegen Björn Höcke und Andreas Kalbitz im Gespräch sind. Der Landesvorstand in Nordrhein-Westfalen dringt sogar auf eine vollständige Auflösung der informellen Vereinigung. Die Auflösung des "Flügels" und weitere Maßnahmen seien geeignet, wieder Ruhe in die Partei einkehren zu lassen und die bereits begonnene Austrittswelle zu stoppen, heißt es in einem Schreiben des NRW-Landesvorsitzenden Rüdiger Lucassen an die Parteichefs Jörg Meuthen und Tino Chrupalla. [2]

Lucassen fordert den Bundesvorstand zudem auf, Veranstaltungen, Auftritte und andere Zusammenkünfte von AfD-Mitgliedern unter der Bezeichnung "Flügel" zu verbieten. Dessen Protagonisten hätten sich "vorbehaltlos in Diktion und Duktus den Zielen und der Programmatik der AfD unterzuordnen". Aus dem nordrhein-westfälischen Landesverband hieß es, langjährige Mitglieder und "Leistungsträger" hegten einen tiefen Groll gegen neue, "Flügel"-affine Mitglieder vom Typ "Jogginghose, kein Job, keine Zähne", die in einigen Kreisverbänden neuerdings versuchten, die Tonlage vorzugeben. Die Mehrheit der AfD-Funktionäre ist zwar der Auffassung, das Bundesamt für Verfassungsschutz werde "politisch instrumentalisiert", um der AfD zu schaden. Dennoch wächst die Kritik an Kalbitz und Höcke.

Der Bundesvorstand will in Kürze darüber beraten, wie die Partei auf die jüngste Entscheidung des Verfassungsschutzes reagieren sollte. Der rheinland-pfälzische AfD-Chef Uwe Junge verlangt, daß dabei auch die weithin kritisierte Rede Höckes beim "Flügel"-Treffen in Sachsen-Anhalt zur Sprache kommt. Außerdem thematisiert Junge einen Bericht zur früheren Mitgliedschaft von Kalbitz in der "Heimattreuen Deutschen Jugend" (HDJ), die dieser bestreitet. Die Gruppierung war 2009 vom Bundesinnenministerium mit der Begründung verboten worden, die HDJ versuche, Kindern und Jugendlichen in Ferienlagern rassistische und nationalsozialistische Ideen einzuimpfen.

Da diese Gruppierung auf der sogenannten Unvereinbarkeitsliste der AfD steht, dürfen ihre Mitglieder nicht in die AfD aufgenommen werden. In dem internen Schreiben, das Junge an Parteifreunde verschickte, heißt es: "Ich erhalte aus allen Teilen des Landes empörte Meldungen und die unübersehbare Bereitschaft, die Partei zu verlassen, wenn jetzt nicht entschlossen reagiert wird." Er erwarte "eine harte Ordnungsmaßnahme gegen Höcke und die Löschung der Mitgliedschaft von Kalbitz wegen falscher beziehungsweise lückenhafter Angaben bei Eintritt". Die "herabwürdigenden Aussagen von Björn Höcke gegenüber den innerparteilichen Kritikern" seien unerträglich. Und an den Parteivorstand gerichtet: "Mein weiteres Engagement in der Partei mache ich von Eurer Entscheidung am Freitag abhängig!"

Zuvor hatte in der AfD eine Videoaufnahme die Runde gemacht, die eine Ansprache Höckes bei besagtem Treffen am 6. März zeigt. Darin ist zu hören, wie er sagt: "Die nicht in der Lage sind, Disziplin zu leben. Die, die nicht in der Lage sind, das Wichtigste zu leben, was wir zu leisten haben, nämlich die Einheit, dass die allmählich auch mal ausgeschwitzt werden sollten."

Der AfD-Fraktionsvorsitzende im Landtag von Schleswig-Holstein, Jörg Nobis, sagte im Namen seiner Fraktion: "Wir missbilligen die Äußerung von Björn Höcke und erwarten vom Bundesvorstand eine entsprechende Reaktion." Noch deutlicher wurde AfD-Bundesvorstandsmitglied Alexander Wolf aus Hamburg: "Das Projekt der Partei ist ernsthaft in Gefahr. Der Flügel muss jetzt seine Strukturen offenlegen. Das wird zeigen, dass er eine deutlich geringere Größe hat als von vielen angenommen und nicht prägend ist für die Partei. Wenn er dazu nicht bereit ist, muss er sich auflösen zum Wohle der Partei." Wolf griff auch Höcke direkt an: "Björn Höcke ist der König der Eigentore. Allzu viele Äußerungen von ihm haben der Partei in den vergangenen Jahren geschadet - und machen die Partei für viele im Westen unwählbar." Es sei perfide, daß ausgerechnet er jetzt Solidarität und Einheit einfordere, der laufend innerparteiliche Kontrahenten diffamiere. [3] Höcke hatte auch den Hamburger Landesverband für dessen Wahlkampf vor der Hamburger Bürgerschaftswahl als zu anbiedernd kritisiert. Die AfD hatte in Hamburg den Wiedereinzug in die Bürgerschaft nur knapp geschafft. [4]

Führende Kritiker des "Flügels" setzen auf den aktuellen Schub, um ihm den entscheidenden Schlag zu versetzen und seine Macht zu brechen. Dem Vernehmen nach haben sich 20 Leute zusammengetan, die sich bisher dreimal getroffen haben und Telefonkonferenzen abhalten. Um die Mitgliedschaft von Andreas Kalbitz für nichtig zu erklären, würde eine einfache Mehrheit im Bundesvorstand ausreichen. Kalbitz verlöre damit sofort alle Ämter in der Partei. Eine Zweidrittelmehrheit für ein Parteiausschlußverfahren wäre hingegen schwer zu erreichen, worauf ein langwieriges Prozedere mit ungewissem Ausgang folgte. Allerdings scheinen sich die Kritiker nicht so einig zu sein, wie es notwendig wäre. Während die einen auf absolute Vertraulichkeit pochen und sich vor dem Treffen des Bundesvorstands nicht äußern wollen, verschicken andere Briefe und reden offen mit den Medien.

Auch Jürgen Braun, einst Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, bekräftigte, daß eine Mitarbeit in der HDJ mit einer Mitgliedschaft in der AfD "unvereinbar" sei. Andreas Kalbitz äußere sich schwammig, "wenn er zur Tätigkeit bei der eindeutig extremen Gruppe HDJ gefragt wird". Jedes einfache Mitglied wäre wegen eines Bruchteils der Vorwürfe niemals in die AfD aufgenommen worden.

Wie sich jedoch abzeichnet, wollen die Bundesvorstände Kalbitz nicht ans Leder gehen, solange sie die Dokumente des Bundesamts für Verfassungsschutz nicht selbst vorliegen haben. Nur auf den Verfassungsschutz oder Medienberichte zu verweisen, sei keine ausreichende Grundlage. Von Parteichef Chrupalla heißt es, er versuche sich an Kompromissen und führe täglich Dutzende Gespräche "mit allen Seiten". Noch gelte die Unschuldsvermutung, heißt es aus seinem Umfeld. Er wolle aber dem "Flügel" abtrotzen, keine Veranstaltungen mehr unter dem eigenen Logo durchzuführen, sondern nur noch als AfD aufzutreten. In der "Flügel"-Spitze spürt man offenkundig den gestiegenen Druck und plant ein Treffen für das Wochenende, um darüber zu beraten. Eine Auflösung der Plattform läge aber in weiter Ferne. Wenngleich der Druck etwas höher als gewöhnlich sei, werde man kämpferisch damit umgehen, heißt es gelassen.

Höcke selbst hat auf seiner Facebook-Seite erklärt: "In bösartiger Art und Weise wird mir mithilfe eines kleinen Filmausschnittes unterstellt, ich hätte Wortspiele mit einem Vernichtungslager gemacht. Das ist infam." Auf Höckes Äußerung angesprochen, sagte Kalbitz: "Es gibt keine Wortspiele mit Auschwitz. Das ist hanebüchener Unsinn. Das ist eine relativ billige Konstruktion, das liegt natürlich durch diese sprachliche Analogie nahe, und man kann sich darüber streiten, ob das besonders glücklich war, aber das jetzt in diesen (...) Kontext zu setzen, ist einfach unlauter, es ist billig, und es ist niveaulos." [5] Beide bedienen sich der Strategie, durchaus verständliche Signale ihrer Gesinnung zu plazieren, deren zutreffende Auslegung aber als böswillige Verleumdung zurückzuweisen.

Im Gutachten des Verfassungsschutzes wird der Landes- und Fraktionschef der Brandenburger AfD, Andreas Kalbitz, mehrfach prominent erwähnt. Dem Bundesamt liegt demnach eine Mitgliederliste der HDJ von 2007 vor, in der eine "Familie Andreas Kalbitz" aufgeführt wird. In einem Schreiben, das Kalbitz als Bundesvorstandsmitglied über den Verteiler der Partei verschickte, weist er die Behauptung, eine "Familie Andreas Kalbitz" sei Mitglied gewesen, als ebenso falsch zurück wie den "Eindruck", er habe "quasi täglich, nachweislich über mindestens 14 Jahre Kontakt" zur HDJ gehabt. Kalbitz, der mehr als die Hälfte seines Lebens im rechtsextremen Milieu verbracht hat, beendete seine Mitteilung mit einem Appell an die Partei: Es gehe nicht nur gegen ihn und Björn Höcke, "sondern gegen die AfD als Ganzes". Er schloß mit einem Zitat des Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland: "Seid einig, einig, einig!"

Die Einigkeit der Partei, die Höcke und Kalbitz anmahnen, ist ihr Pfund bei der Übernahme der AfD. Anders als seinerzeit die Republikaner, soll sie nach der Intervention des Verfassungsschutzes nicht in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Mit ihrer Hausmacht in den ostdeutschen Bundesländern repräsentieren sie Schwergewicht und Schubkraft rechter Parteipolitik. Hat sich das rechtsextreme Spektrum in der Vergangenheit im erbitterten Konkurrenzkampf immer wieder selbst zerlegt, reitet es nun die verschärften gesellschaftlichen Widersprüche auf der rechten Überholspur und schwört die AfD als ihren legalistischen Arm auf diesen Kurs ein.


Fußnoten:

[1] www.t-online.de/nachrichten/deutschland/innenpolitik/id_87524778/markus-soeder-warnt-vor-afd-politiker-bjoern-hoecke.html

[2] www.n-tv.de/politik/West-AfD-greift-Hoecke-und-den-Fluegel-an-article21652058.html

[3] www.zeit.de/politik/deutschland/2020-03/verfassungsschutz-afd-rechtsnationalismus-bjoern-hoecke

[4] www.n-tv.de/politik/AfD-Fluegel-soll-Strukturen-offenlegen-article21650132.html

[5] www.otz.de/leben/recht-justiz/hoecke-wehrt-sich-juristisch-gegen-verfassungsschutzchef-haldenwang-id228717203.html

19. März 2020


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