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KULTUR/0770: Hochschüler politisch desinteressiert und resigniert (SB)



Glückwunsch! Man kann der Großen Koalition nur gratulieren. Sie hat die Politik ihrer Vorgänger konsequent fortgeführt und tolle Erfolge bei der Heranzüchtung von politisch desinteressierten, teilnahmslosen, existenznotgetriebenen Studierenden erzielt. Davon durfte sich das Bundesbildungsministerium höchst wissenschaftlich überzeugen.

Das Ministerium wollte es genau wissen und hat die Universität Konstanz um eine Begutachtung gebeten, wie "Focus" (1.3.2009) berichtete. Die Forscher verglichen Umfrageergebnisse unter mehreren tausend Studierenden an 25 Hochschulen zwischen 1983 und 2007. Das Ergebnis läßt hoffen. Hatten sich 1983 noch 54 Prozent der befragten Nachwuchsakademiker für Politik interessiert, sank der Wert inzwischen auf 37 Prozent ab.

Damit haben Bildungspolitiker einen wichtigen Etappensieg erzielt. 37 Prozent sind zwar immer noch zuviel, aber vielleicht kann die Entwicklung künftig durch weitere Maßnahmen beschleunigt werden. Dabei sollte die Leistung im Mittelpunkt stehen. Auf der einen Seite eine Handvoll geförderter Elite-Universitäten, an denen möglichst wirtschaftsnah gelehrt und gelernt wird, auf der anderen Seite Prekariatshochschulen für den ganzen schimmeligen Rest.

Nachdem erstens die Rechtschreibreform ab 1996 und ihre Korrekturen in späteren Jahren eine gewisse Breiigkeit im sprachlichen Ausdruck und folgerichtig auch im Denkapparat erzeugt haben, zweitens durch die Einführung von Studiengebühren erfolgreich die Aufmerksamkeit der Hochschüler weg vom Lehrstoff hin zur ökonomischen Sicherung ihrer Ausbildung verschoben werden konnte und drittens mit den Bachelor- und Master-Studiengängen substanzarme Surrogate etabliert wurden, werden sich die Politiker bei ihren bevorstehenden Treffen zur Reform der deutschen Bildungslandschaft etwas Neues einfallen lassen müssen. Wie wäre es mit Englisch als Hauptsprache in allen wissenschaftlichen Fächern? Oder Instant-Studiengänge via Internet? Oder bundesrepublikanisch flächendeckend Studiengebühren? Die bevorzugte Hierarchie unter den Hochschulen könnte gewahrt bleiben, wenn die Elite-Universitäten lediglich höhere Gebühren verlangten. Dann werden sich dort schon die rechten Leute sammeln, während sich die übrigen an den billigeren Hochschulen einschreiben dürfen.

Wobei zu bedenken ist, daß eine allgemeine Verarmung der wirtschaftlichen Verhältnisse zwar zuverlässig eine Verarmung des politischen Bewußtseins erwarten läßt, aber daß dabei zugleich ein gefährliches Widerstandspotential gedeihen kann, das sich plötzlich entladen und gegen jene Interessen richten kann, die an dem System bildungspolitisch feilen, schrauben und zimmern, damit es immer unüberwindlicher wird. Doch wie gesagt, die Aussichten sind gut. Immer mehr Studierende fühlen sich politisch der Mitte zugehörig. Als "klar links" bezeichnete sich jeder vierte, früher war es noch jeder dritte, wie "Focus" vermeldete. (Übrigens, jenes Magazin wurde und wird von manchen sicherlich übelwollenden Zeitgenossen als Erzeugnis einer ähnlichen Entwicklung unter den sogenannten Politmagazinen angesehen, wie sie unter Hochschülern beobachtet wird, aber das soll hier nicht Thema sein und läßt die anderen Mainstreammagazine in einem zu guten Licht erscheinen.)

Kein Interesse an Politik heißt, keine Idee zur Negation der herrschenden Verhältnisse. Deutschland ist auf dem besten Weg zum Ameisenstaat. Dort nimmt jeder den Platz ein, der ihm zugewiesen wird, bis zur Selbstaufgabe, Generation für Generation. Unter den Menschen wandelt sich die soziale Matrix in einen ähnlichen biologischen Entwurf. Das könnte man als Erfüllung der Bildungspolitik bezeichnen oder, etwas prosaischer, vollendete Bildung.

2. März 2009