Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KULTUR/0802: Waffenstarrender Liberalismus ... Freiheit nach 9/11 (SB)



Acht Jahre nach dem 11. September 2001 schält sich immer deutlicher heraus, daß der damals von der US-Regierung ausgerufene Globale Krieg gegen den Terrorismus die Lebens- und Freiheitsinteressen insbesondere der Bevölkerungen des Südens einschränkt. Obwohl das Legitimationskonto, das der US-Regierung nach den Anschlägen mit einer weltweiten Zuwendung, wie sie das Land seit langem nicht erlebt hatte, ausgestellt wurde, allein von der Zahl der im Namen dieses Krieges umgebrachten Menschen um ein Vielfaches überzogen ist, wird er unter diversen Untertiteln wie der Neuordnung des Greater Middle East, der Demokratisierung Afghanistan, des Stabilitätsexports in gescheiterte Staaten, der Nichtverbreitung von Atomwaffen, des Friedensprozesses in Nahost unvermindert fortgesetzt. Die in westlichen Metropolengesellschaften angehäuften Schulden an der sie nährenden Produktivität anderer Volkswirtschaften bilden die invertierte Seite der nach außen entfachten Zerstörungsgewalt. Die Front dieses Krieges zieht sich denn auch quer durch alle Welt, garantiert die nationale Zugehörigkeit doch immer weniger, an der Beute dieses Raubzugs teilzuhaben.

In den USA hungern Millionen Menschen, ganze Regionen des Landes siechen als postindustrielle Brachen vor sich hin, die gesellschaftliche Reproduktion wird nur dort gewährleistet, wo sich das Kapital noch profitträchtig verwerten läßt. Ansonsten überantwortet man die Menschen einem mit Freiheitsparolen und Konsumhoffnungen bunt illuminierten Schicksal, das unter dem Diktat des Dollars steht und durch die staatsautoritäre Organisation des Mangels reguliert wird. Der Umgang mit den meist schwarzen Opfern des Hurrikans Katrina hat aller Welt vor Augen geführt, daß die Werte, für die die USA angeblich so beneidet werden, daß sie zum Ziel eines verheerenden Anschlags wurden, nur denen zugute kommen, die die ideelle Legitimation ihres Reichtums verdient haben.

Die unter den Augen der US-amerikanischen Invasoren erfolgende Plünderung antiker Kulturgüter im Irak wurde vom damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld mit der lakonischen Bemerkung quittiert, daß solche Dinge in freien Gesellschaften nun einmal passieren. Selbstverständlich marschiert in den USA die Nationalgarde auf, wenn die Menschen aus den Elendsghettos strömen, um sich gewaltsam zu holen, was ihnen vorenthalten wird. Geknüpft an die materielle Schlagkraft überlegener Produktivität erweist sich die Freiheitslyrik als Herrschaftsprogramm, als rhetorisches Ornament kapitalistischer Klassengesellschaften. Wer diese Freiheit nicht zum Leitbild der eigenen Lebensform und Kultur erheben will, wurde und wird in Guantanamo, Abu Ghraib, Bagram und vielen unbekannten Schreckenskerkern mit einer Grausamkeit eines Besseren belehrt, die aller Welt und damit auch der eigenen Bevölkerung klar macht, daß das Primat der Stärke kein Leben zuläßt, das sich ihm nicht beugt und an ihm vergeht.

Der Terrorismus hypertrophiert zu einem Feindbild, das weit über die mit dem Begriff verbundenen Formen der Kriegführung hinaus zum schlechthin Bösen erklärt, was sich nicht unter die herrschende Vergesellschaftungsdoktrin subsumieren läßt. Nicht umsonst wird der Versuch, das Terrorisieren einer Bevölkerung im Auftrag einer sogenannten Demokratie mit aus dieser hervorgehenden terroristischen Anschlägen in einen kausalen Zusammenhang zu stellen, durch ein das Vorfeld materieller Gewalthandlungen kriminalisierendes Gesinnungs- und Kollektivstrafrecht stigmatisiert.

Das mit den Mitteln einer wirkmächtigen Ideologieproduktion und Kulturindustrie propagierte Freiheitscredo setzt das Vorrecht, mit unerreichbaren Bombern durch fremde Himmel zu kreuzen, um den Zugriff auf die verbliebenen Ressourcen der unter ihnen lebenden Menschen für die Zentren der Kapitalverwertung zu sichern, als gegeben und unhinterfragbar voraus. Das mit 9/11 kodifizierte Ereignis war denn auch keine Zäsur, wie mit der ganzen Ignoranz, zu der Menschen fähig sind, die die Katastrophen in anderen Weltregionen als selbstverständliche Voraussetzung eigenen Wohllebens akzeptieren, damals behauptet, sondern Katalysator eines bereits vollständig hergestellten Raubverhältnisses. Man bediente sich des Umstands eines symbolträchtigen Verbrechens, um die imperialistische Expansion von den Zügeln internationalen Rechts zu befreien und die Normalität des Krieges zwischen Hütten und Palästen in den unbefristeten Ausnahmezustand eigenen Ermächtigungsstrebens zu überführen.

Die im Verlauf des Terrorkriegs aufgekommenen Differenzen zwischen den USA und den europäischen Staaten konnten schon deshalb nicht zu einem Gegenkonzept des "alten Europa" führen, weil die staatliche und gesellschaftliche Form des herrschenden Akkumulationsregimes nur über bedingten Gestaltungsraum verfügt. Im Ergebnis hat die weitere Entfesselung der Kriegsgewalt und die innerimperialistische Konkurrenz um die Erschließung neuer Expansionsräume, die sich längst nicht mehr auf territoriale Eroberungen beschränken, sondern jede noch nicht kapitalisierte Ressource biologischer, geistiger und humaner Art betreffen, zu einer Angleichung europäischer Regulationskonzepte an das US-amerikanische Modell staatsautoritärer Verfügungsgewalt, militaristischer Machtprojektion, kapitalistischer Ordnung und neokonservativer Sinnstiftung geführt.

So krankt die berechtigte Kritik an den Regierungspraktiken Washingtons häufig daran, daß sie nicht in gleichem Maße auf hiesige Zustände angewendet wird. Eine Gegenbewegung, die unter Verweis auf die US-amerikanische Dominanz auf die Stärkung europäischer Handlungsmöglichkeiten etwa im Sinne einer alternativen geostrategischen Achsenbildung oder der eigenständigen Aufrüstung der EU drängt, reproduziert, was sie zu bekämpfen vorgibt. An einem neuen Internationalismus, der sich nicht nur die Überwindung des Kapitalverhältnisses zum Ziel setzt, sondern jede Form von Fremdbestimmung und Zwangsorganisation in Frage stellt, führt kein Weg vorbei, der nicht in die Restauration vertrauter Verhältnisse münden soll.

10. September 2009