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KULTUR/0853: Netzneutralität in Gefahr ... Transformation des Netzes zur Konsensmaschine (SB)



Vor zwei Jahren bekannte sich der Suchmaschinenanbieter Google in einem Dokument namens "Guide to Net Neutrality for Google Users" [1] zum Prinzip der Netzneutralität. Gleicher Zugang zum Internet für alle Nutzer in expliziter Opposition zum Interesse der Anbieter von Netzdienstleistungen, die versendeten Inhalte über die preisliche Staffelung der Bandbreite zu regulieren, lautete die Devise. Damit positionierte sich Google in dem um die Frage der gewinnträchtigeren Verwertbarkeit von Internetcontent seit längerem entbrannten Kampf eindeutig auf der Seite der Befürworter des Prinzips der Netzneutralität.

Auch die US-Aufsichtsbehörde für Telekommunikation, die Federal Communications Commission (FCC), vertritt das Prinzip der Netzneutralität gemäß der Position des US-Präsidenten Barack Obama, der seinen Wahlkampf nicht zuletzt mit dem Propagieren des Internets als demokratisches Medium bestritt. Noch am 15. Juli 2010 wurde auf dem Google Public Policy Blog [2] die Stellungnahme des Telekommunikations- und Medienberaters Richard Whitt veröffentlicht, laut der Google sich zum "Dritten Weg" der FCC bekennt. Damit reagiert die Behörde auf das Urteil eines Bundesberufungsgerichts im April 2010, das dem Telekommunikationsgiganten Comcast zugestanden hatte, die Übertragungsgeschwindigkeit eines Filesharing-Netzes zu verlangsamen und so seine Netzressourcen zu priorisieren. Der FCC wurde von dem Gericht angelastet, mit dem Verbot dieser Praxis seine Kompetenzen überschritten zu haben. Nun versucht die FCC, einen Mittelweg zu beschreiten, indem sie die Internetprovider künftig als klassischen Telekommunikationsdienst einstuft, für den sie mehr Zuständigkeit besitzt als für bloße Informationsdienste, als die Netzanbieter bislang behandelt wurden. Im Grunde genommen handelt es sich bei diesem Konzept, wie der Name "Third Way" ahnen läßt, um ein Entgegenkommen gegenüber den kommerziellen Interessen der Service Provider, denen laut FCC ebenso Rechnung getragen werden soll wie den Rechten der Nutzer auf freien Zugang [3].

Indem Google sich zu diesem Schritt bekannte, erweckte der Konzern noch vor wenigen Wochen den Eindruck, weiterhin für einen diskriminierungsfreien Internetzugang einzutreten. Wie der Online-Ausgabe der New York Times vom 4. August [4] zu entnehmen ist, will Google mit dem US-Telekommunikationskonzern Verizon eine Vereinbarung eingehen, die dem Netzanbieter ermöglicht, seinen Kunden selektive Übertragungsraten für Internetinhalte anzubieten. Ein Google-Unternehmen wie YouTube würde Verizon dafür bezahlen, daß seine Videos mit größerer Geschwindigkeit an die Nutzer gelangen als die anderer Anbieter. Google käme Verizon darüberhinaus entgegen, indem es auf die politische Unterstützung der FCC verzichtete, während es das eigene Geschäftsmodell optimierte, das insbesondere im Fall von You Tube hinter den kommerziellen Erwartungen zurückbleibt, die den Suchmaschinenkonzern vor vier Jahren zum Kauf des Videokanals trieben.

Das Beispiel ist beliebig übertragbar auf Inhalte aller Art, und natürlich bliebe es nicht dabei, daß You Tube die größere Bandbreite aus eigener Tasche bezahlte. Diese Kosten würden früher oder später an die Konsumenten der Videos weitergegeben werden. Denkbar wäre zum Beispiel, daß Filme mit besonders hoher Auflösung oder exklusiven Inhalts mit hoher Übertragungsgeschwindigkeit an zahlende Kunden verkauft würden, während preislich abgestufte Angebote mit jeweils schlechterer Qualität weniger Bandbreite erhielten. Denkbar ist allerdings auch, daß kostenlose Inhalte gänzlich gestrichen werden, indem konkurrierende Anbieter von kapitalstarken Akteuren vom Markt gedrängt würden. Warum sollte ein ein Service Provider, der sich mit einem Medienkonzern zusammentut und exklusive Filme anbietet, sein Netz für potentielle Konkurrenten freihalten? Je mehr sich die Kopplung verfügbarer Bandbreite an die Zahlungsbereitschaft ihrer Nutzer durchsetzte, desto unmöglicher wäre es kleineren Anbietern, ihre Internetpräsenz überhaupt noch aufrechtzuerhalten. Das Ergebnis bestände in einem uniformeren, dem ausschließlich auf Unterhaltung und Kommerz getrimmten TV-Angebot der Privatsender angeglichenen Internet.

Google ist einer der umsatzstärksten IT-Unternehmen der USA, das nach intensiver Unterstützung Obamas im Wahlkampf zudem beste Beziehungen ins Weißen Haus unterhält. Sein Name steht nicht nur für die zumindest in Nordamerika und Europa am meisten genutzte Suchmaschine, der Konzern vertreibt zudem ein Betriebssystem und einen Browser sowie zahlreiche in die Suchmaschine integrierte Onlinedienste. Er verkauft mobile Endgeräte und ist vor allem auf dem Markt für Internetwerbung dominant. Google hat sich mit diversen Projekten strategisch so positioniert, daß die weitere Kommerzialisierung des Internets seinem Streben nach einer marktbeherrschenden Stellung bei diversen Internetangebote in jedem Fall zuarbeitet.

Es gibt mithin keinen Grund für Google, sich weiterhin für Netzneutralität als Anspruch auf die offene demokratische Nutzung des Netzes stark zu machen. Diese hat ihre Funktion in den Gründerjahren erfüllt, als eine hochgradige Innovationsgeschwindigkeit die Verbreitung des Internet zum zentralen Kommunikationsmedium vorantrieb. Mit der rapiden Zunahme immer aufwendigerer Anwendungen insbesondere beim Vertrieb von Video- und MP3-Daten wird die Frage verfügbarer Netzressourcen und refinanzierbarer Betriebskosten immer relevanter. Diejenigen Unternehmen, die die Infrastruktur des Netzes kontrollieren, verfügen über ein knappes Gut, daß sie der herrschenden Akkumulationslogik gemäß gewinnträchtig verwerten wollen. Um dies effizient zu tun, streben sie eine oligopolistische Aufteilung des Netzes an, zu deren Verwirklichung insbesondere Kooperationen mit großen Content Providern oder eben Suchmaschinen und Werbetreibenden interessant sind.

So hat sich Comcast längst vom größten Kabelkonzern zum zweitgrößten Medienkonzern der Welt entwickelt. Nach seinem Vorstoß gegen das Prinzip der Netzneutralität kündigte Comcast an, seine bereits viele TV-Sender umfassende Mediensparte durch die Mehrheitsbeteiligung am landesweit empfangbaren US-Kanal NBC und dem Filmproduzenten Universal Studios zu erweitern. Die Verschmelzung der Verfügungsgewalt über die Kabelnetze mit der Kontrolle über die Contentindustrie läßt eine Internetwelt am Horizont aufscheinen, in der sich die Konsensproduktion der von wenigen großen Konzernen beherrschten Medienmaschinerie des Fernsehens mit noch größerer manipulativer Gewalt reproduziert. Dabei geht es nicht nur um die gewinnträchtige Verwertung knapper Netzressourcen, könnten diese doch bei entsprechendem politischen Willen allen Bürgern verfügbar gemacht werden.

Letztlich wird mit der Kontrolle des Internets mehr noch als bei den traditionellen linearen Medien gesellschaftliche und politische Macht konzentriert. Die Transformation der fordistischen zur mikroelektronischen Produktionsweise hat zahlreiche Menschen unwiderbringlich ihrer Erwerbsmöglichkeit beraubt. Diese für den Stand der kapitalistischen Produktivität nicht mehr erforderlichen Massen müssen beherrschbar sein und sollen daher nicht im Besitz einer demokratischen Freizügigkeit bleiben, die das Internet neben allem trivialen Spektakel und kommerziellen Vertrieb auch bietet. Die noch vorhandene Vielfalt IT-gestützter Kommunikation soll dem Primat neoliberaler Angebotspolitik unterworfen und mit ausschließender Gewalt reguliert werden.

Da die Aufhebung der Netzneutralität synonym mit der Durchsetzung des Primats marktwirtschaftlicher Konkurrenz ist, läßt sich dieses Ziel hervorragend unter Verweis auf ein angeblich bewährtes gesellschaftliches Organisationsprinzip erreichen. Dabei gibt man sich gerne demokratisch, bereitet jedoch die Etablierung von Sachzwängen vor, an denen man schließlich nicht mehr vorbeikommt. So behauptet die einst für den Wettbewerb und heute für die digitale Agenda zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes, man müsse das Internet offen und neutral halten, spricht sich aber gleichzeitig für einen ausgewogenen Ausgleich zwischen den Konzepten zur Verkehrssteuerung und Netzneutralität aus. Einerseits hätten die Anbieter Interesse daran hätten, ihre Netze effizienter auszulasten, andererseits könne dies dazu eingesetzt werden, um den Zugriff auf andere Dienste, die keine Priorität genießen, zu verlangsamen oder deren Qualität gezielt zu verschlechtern, wägt Kroes ab [5]. Sie betreibt die von der EU-Kommission initiierte Debatte über die Zukunft des offenen Internets unter der Prämisse einer Ausgewogenheit, die, wenn man die zugrundeliegenden Machtverhältnisse bedenkt, allemal herrschende Interessen repräsentiert.

Von einer eindeutigen Positionierung für die demokratische und diskriminierungsfreie Nutzung des Internet kann weder bei ihr noch bei dem für das Netz zuständigen Bundesinnnenminister Thomas de Maizière noch anderen Regierungspolitikern auf nationaler und europäischer Ebene die Rede sein. Man ist sich in den Zentralen staatlicher Administration allzusehr bewußt, daß der Kontrollverlust einer unregulierten, potentiell Millionen Menschen erreichenden Kommunikation immer auch den Keim systemischer Transformation von unten in sich birgt. Sich den Interessen der großen IKT- und Medienkonzerne zu beugen fällt da leichter, so fern man überhaupt davon ausgehen will, daß die Widerspruchsregulation kapitalistischer Gesellschaften herrschaftfreie Diskurse in aller Öffentlichkeit zuläßt.

Fußnoten:

[1] http://www.docstoc.com/docs/1064274/A-Guide-to-Net-Neutrality-for-Google-Users

[2] http://googlepublicpolicy.blogspot.com/search/label/Net%20Neutrality

[3] http://venturebeat.com/2010/05/06/fcc-third-way-net-neutrality/

[4] http://www.nytimes.com/2010/08/05/technology/05secret.html

[5] http://www.heise.de/newsticker/meldung/EU-Kommission-holt-Meinungen-zur-Netzneutralitaet-ein-1031446.html

5. August 2010