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KULTUR/0866: Die fabelhaften Guttenbergs - Signaturen eines neofeudalen Klassenkompromisses (SB)



Die Frage einiger Kommentatoren der sogenannten Intelligenzpresse nach der Tauglichkeit des Unionspolitikers Karl-Theodor zu Guttenberg für das Amt des Kanzlers hebt auf eine Regierungsarbeit ab, die im unterstellten Sinne immer weniger geleistet wird. Nicht nur dem Bundespräsident, sondern auch der Bundeskanzlerin werden im Kartell aus Staat und Kapital erhebliche Repräsentations- und Legitimationspflichten abverlangt. Deren Bedeutung nimmt im Verhältnis zur konkreten Bestimmung des politischen Willens der Exekutive in dem Maße zu, als die eigenständige Handlungsfähigkeit des Staates aufgrund seiner anwachsenden Verschuldung abnimmt. Als ausführende Organe der für Deutschland relevanten Kapitalinteressen machen seine Funktionseliten in neoliberaler Standortpolitik und imperialistischer Durchsetzung nationaler Handelsinteressen und Ressourcensicherung. Darüber hinaus besteht ihr Aufgabe vor allem in der kulturellen Produktion und massenmedialen Inszenierung symbolpolitischer Identifikations- und Ausgrenzungsangebote.

Die in jüngster Zeit verschärfte Anfeindung nichteuropäischer Bürger und Menschen in der Bundesrepublik ist ein alarmierendes Symptom einer Krise des Kapitals, die auszustehen all diejenigen zur Kasse gebeten werden, die sie nicht erzeugt haben, die von ihr nicht profitiert haben und die dennoch doppelt und dreifach bezahlen sollen. In dieser Lage sind Volksfeinde ebenso vonnöten wie Volkstribune, die gegen nämliche hetzen und dabei den falschen Eindruck erwecken, dafür auch diskriminiert zu werden. Dieses Schicksal ist in Deutschland Menschen zugedacht, die nach Ansicht der Mehrheit nicht dazugehören und sich bestenfalls durch demonstrative Unterwürfigkeit einen Platz am Fuße des Tisches zum Auffangen von diesem herabfallender Reste erkämpfen können. Von Armut gezeichnet und "asozialer" Charaktereigenschaften bezichtigt, als Anhänger des Islam unter Terrorverdacht gestellt, als Kommunist zum Staatsfeind erklärt, als behinderter und alter Mensch in seinem Existenzrecht relativiert - die Stereotypien sozialer Verächtlichkeit sind so vielfältig nicht, als daß das Raster des feindseligen Blicks sein Objekt nicht schneller selektierte, als erste Zweifel an dieser Stigmatisierung aufkommen könnten.

Lichtgestalten wie die Guttenbergs sind demgegenüber eine Wohltat, aus der der vom nagenden Verdacht, selbst einmal der eliminatorischen Bestimmung des Lebenswerts ausgesetzt zu werden, verfolgte Bürger wieder Hoffnung und Zuversicht schöpfen kann. Jung, elegant, eloquent, aus bestem deutschem Hause, dabei weltoffene Transatlantiker und zudem auf der Jagd nach Taliban und Pädophilen - was könnte ein Ehepaar mehr empfehlen für höchste Würden? Mit der Erfahrung zweier Ministerämter verfügt Guttenberg über die notwendige handwerkliche und institutionelle Befähigung, um Kanzler zu werden, und das ist nicht einmal das entscheidende. Der Spiegel und andere große Medien vervielfältigen den Glamour, den die Guttenbergs unter nicht geringem Einsatz ihnen zuarbeitender PR-Profis produzieren, weil "das Volk" sich nach neuen "Darstellern" - und nicht etwa Politikern - "sehnt", so Spiegel-Redakteurin Ulrike Demmer [1].

Damit besagtes Volk nicht etwa beginnt, Fragen zu stellen, auf die auch der Spiegel keine Antwort geben will als die, daß sie besser ungestellt blieben, wird ihm die Leitkultur nebst dem sie vorbildhaft verkörpernden Personal vorgesetzt. Ein Kriegsminister, an dem sich die Fantasien neuer deutscher Stärke entzünden, eine Gattin, die das Gute mit dem Unterhaltsamen zu paaren versteht, indem sie den USA erprobte Formen öffentlicher Anprangerung hierzulande einführt, und das alles aus blaublütiger Eigentümerklasse - wer könnte den profanen Staatsfeudalismus der notorischen Begünstigung des Kapitals wirksamer in ein Vollzeitprogramm sozialer Gegenseitigkeit, in ein Spektakel aus plebejischer Ergebenheit und bourgeoiser Distinktionssucht, verwandeln?

Die fabelhaften Guttenbergs sind Signaturen des Aufdämmerns herrschaftlicher Zeiten, die, nur noch notdürftig demokratisch legitimiert und republikanisch verfaßt, Führerpersonen hervorbringen, deren monarchische Zurschaustellung das sich stets die passenden Masken suchende Regulativ systemischer Bestandssicherung mit einem Celebrity-Wahn umflort, der personalisiert, was in seiner kalten Funktionslogik allzu deutlich vom herrschenden Gewaltverhältnis kündete. Ihre Eignung für höchste Ämter wird nicht umsonst von einer Kulturindustrie propagiert, deren Hegemonie und Rentabilität durch die Formation eines an neofeudale Zeiten angepaßten, auf sozialtechnokratischer Kontrolle, forcierter Feindagitation und konsequenter Atomisierung des bürgerlichen Subjekts beruhenden Klassenkompromisses gesichert werden soll.

Fußnote:

[1] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/dlfmagazin/1301987/

24. Oktober 2010