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KULTUR/0880: Judith Holofernes gegen die Markt- und Meinungsmacht der Springerpresse (SB)



"Enteignet Springer!" - was vor 40 Jahren im Klima einer restaurativen, von antikommunistischer Demagogie geprägten Bundesrepublik richtig war, hat im postdemokratischen spätkapitalistischen Deutschland allemal seine Berechtigung. Der Springer-Konzern im allgemeinen, der den marktwirtschaftlichen militaristischen Kurs seiner Publizistik schon in seinen gesellschaftspolitischen Unternehmensgrundsätzen [1] vorgibt und dessen Vorstandsvorsitzender Mathias Döpfner unlängst eine neokonservative Kampfansage [2] an Länder mit mehrheitlich islamischer Bevölkerung verfaßte, die verständlich macht, warum Kriegsgeilheit die zweite Natur einiger Schreiberlinge des Springer-Flaggschiffs Die Welt zu sein scheint, wie die Bild-Zeitung im besonderen, in der sich die Sarrazin und Guttenberg die Klinke in die Hand geben, um die durch den Aufbruch der 1960er-Jahre aufgeschobene nationale Restauration endlich zu ihren Ziel zu bringen, sind dominante Akteure in einem Medienbetrieb, dessen meinungsprägende Blätter und Sender in erster Linie die Interessen der Kapitalmacht und ihrer Funktionseliten vervielfältigen.

Es ist daher allemal erfreulich, wenn sich in einer weitgehend für diese Interessen instrumentalisierten Kulturindustrie hin und wieder jemand traut, nicht wie ein toter Fisch mit dem Strom zu schwimmen. So geschehen in einer Antwort der Sängerin Judith Holofernes auf eine Anfrage der Werbeagentur Jung von Matt, die die Band "Wir sind Helden" für eine Imagekampagne der Bild-Zeitung gewinnen wollte [3]. Das Angebot wurde nicht nur dankend abgelehnt, Holofernes machte sich auch die Mühe, ihr Nein so entschieden wie furios als grundsätzliche Kritik an der Medienmacht der größten Boulevardzeitung Europas zu artikulieren [4]. Bei aller lässigen Rhetorik, mit der sie die Hamburger Werber abblitzen ließ, sprach Holofernes wesentliches zur PR-Strategie und politischen Bedeutung der Bild-Zeitung an.

So nahm sie die Aufforderung, "ihre offene, ehrliche und ungeschönte Meinung zur BILD mitzuteilen", zum Anlaß, den verführerischen Charakter des Angebots herauszustellen, den angeschriebenen "hochkarätigen Prominenten" [3] eine Brücke zu bauen, trotz des Schmuddelimages mit dem Blatt zusammenzuarbeiten, um auf diese Selbstvermarktung nicht verzichten zu müssen, gleichzeitig jedoch den Eindruck einer eigenständigen Position erwecken zu können. Die auf das Publikum wirkende Suggestion, das Blatt scheue sich nicht, kritische Stimmen zu Wort kommen zu lassen, gehöre ebenso zum Konzept einer cleveren Kampagne, die mit der "Dummheit auf allen Seiten" spielt, wie das Wissen der Werber um die Untiefen ihres Geschäfts mit einer Zeitung, die laut Holofernes eben nicht ist, was sie laut der Hamburger Agentur zu sein scheint: "Hassgeliebtes, aber weitestgehend harmloses Inventar eines eigentlich viel schlaueren Deutschlands" [4].

In ihrer Kritik am Umgang von Menschen, die es besser wissen müßten, mit der Bild-Zeitung deckt Holofernes die Leichtfertigkeit einer verbreiteten Ausrede auf. Zahlreiche Leser des Blattes beteiligen sich am Zustandekommen seiner Millionenauflage, indem sie vorgeben, den dort präsentierten Journalismus keineswegs ernst zu nehmen, sondern sich eher darüber zu amüsieren, mit welchem Trash die Republik vollgesülzt wird. Schließlich schmückt sich niemand, der etwas auf sein kulturelles und intellektuelles Niveau hält, damit, das menschenverachtende Spektakel auf diesen Seiten für bare Münze zu nehmen, sprich zu der Masse sozialrassistisch indoktrinierter wie argumentierender KonsumentInnen einer - äquivalent zum "Unterschichtenfernsehen" - "Unterschichtenpresse" zu gehören. Seit die Webseite BILDblog. [5] mit schöner Regelmäßigkeit dokumentiert, daß der Anspruch an inhaltliche Korrektheit und schreiberisches Vermögen sich bei diesem Blatt im umgekehrten Verhältnis zu seiner gigantischen Leserreichweite und der damit übernommenen Verantwortung bewegt, läuft der Bild-Leser erst recht Gefahr, sich lächerlich zu machen, wenn er sich auf die dort abgedruckten Behauptungen beruft.

Das Fatale an einem Distinktionsstreben, das die Meßlatte nicht niedrig genug legen kann, um auch in offener Widerlegung des eigenen Anspruchs über sie springen zu können ... niemand will es gewesen sein, alle wissen es sowieso besser, daher kommt dem mit Abstand größten Boulevardblatt der Republik auch keine wirkliche gesellschaftliche und politische Relevanz zu. Daß das nicht zutrifft, ist nicht erst seit der dem ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder zugeschriebenen Erklärung, er brauche zum Regieren nur "BILD, BamS und Glotze", bekannt. Der Forderung nach der Enteignung Springers liegt die emanzipatorische Einsicht zugrunde, daß Medien, verstanden als vierte Gewalt im Staat, keine Ware sein können, wenn der Anspruch auf demokratische Willensbildung verwirklicht werden soll. Die Macht der mit anderen Kapitalfraktionen eng verbundenen Verlagskonzerne, der sogenannten Mediendemokratie den Stempel ihrer Interessen aufzudrücken, ist bis heute ungebrochen und treibt im Fall der Springerpresse besonders giftige Blüten.

Zum Ende ihrer Absage an die Anfrage der Agentur Jung von Matt läßt Holofernes denn auch keinen Zweifel daran aufkommen, das Angebot zur massenwirksamen Popularisierung der Band Wir sind Helden aus politischen - und nicht nur ästhetischen oder PR-technischen - Gründen abzulehnen:

"Die Bildzeitung ist ein gefährliches politisches Instrument - nicht nur ein stark vergrößerndes Fernrohr in den Abgrund, sondern ein bösartiges Wesen, das Deutschland nicht beschreibt, sondern macht. Mit einer Agenda." [4]

Damit hat die Sängerin so klar Stellung bezogen, daß daraufhin eintrudelnde Gegenstimmen wie die des Medienjournalisten Stefan Winterbauer, die Band habe "mit einer eher oberflächlichen und wirren Bild-Schelte" [6] auf das Erlangen einer Popularität abgestellt, die ihr durch ihre Musik nicht mehr zu teil werde, als einfältige Liebedienerei gegenüber dem mächtigen Verlagskonzern erscheinen. Mit seinem Verweis auf angeblich fallende Verkaufszahlen des jüngsten Albums der Band blamiert sich Winterbauer um ein weiteres - wenn der Erfolg an der Kasse Maßstab für kulturelle Relevanz wäre, dann allerdings wäre alles, was mit Springers Segen geheiligt wird, Ausdruck höchster künstlerischer Schaffenskraft.

In einer Zeit der Massenvermarktung erniedrigender Menschenverachtung à la Dschungelcamp und Big Brother, im Stahlbad der Casting-Shows und am Reißbrett der Marketing-Abteilungen in Serie gefertigter Pop-Acts ist kulturell von Belang, was sich auf antagonistische Weise mit der kulturindustriellen Zumutung einer zielsicher den zentralen gesellschaftlichen Konflikt nicht nur umschiffenden, sondern im herrschaftlichen Sinne verstärkenden Unterhaltungsware auseinandersetzt. Da man dem Primat kommerziellen Erfolgs nicht wirksamer zuwiderhandeln kann als sich mit den dieses Land beherrschenden Kräften anzulegen, ist es nicht erstaunlich, daß eindeutige Stellungnahmen - etwa auch zum Thema imperialistischer Krieg, soziale Verelendung, rassistische Ausgrenzung - aus dem Mund prominenter KünstlerInnen eher Mangelware sind. Mehr davon, möchte man daher Judith Holofernes oder der Band Die Ärzte zurufen, brachten diese doch in ihrem Titel "Lasse redn" folgende ins Schwarze treffenden Zeilen unter:

"Die meisten Leute haben ihre Bildung aus der Bild
Und die besteht nun mal, wer wüsste das nicht
Aus Angst, Hass, Titten und dem Wetterbericht." [7]

Fußnoten:

[1] http://www.axelspringer.de/artikel/Unternehmensgrundsaetze_1186997.html

[2] http://www.welt.de/debatte/article11148187/Der-Westen-und-das-hoehnische-Lachen-der-Islamisten.html

[3] http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/520439/1/1#texttitel

[4] http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/520439/2/1#texttitel

[5] http://www.bildblog.de

[6] http://meedia.de/background/meedia-blogs/stefan-winterbauer/stefan-winterbauer-post/article/wir-sind-helden--der-anti-bild-reflex_100033439.html?tx_ttnews[backPid]=1692&cHash=75414eaf5cdd9c1a0c6572c32ec43a19

[7] http://www.bildblog.de/3021/die-aerzte-im-axel-springer-remix/

27. Februar 2011