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KULTUR/0885: Niedergang der Frankfurter Rundschau ... publizistische Dissidenz tut not (SB)



Das langsame Sterben der Frankfurter Rundschau ist nicht nur verlegerischem Mißmanagement geschuldet. Auch wenn es gute Gründe dafür gibt, die in den Nuller-Jahren vollzogenen Rationalisierungen an Inhalt und Form des Blattes als Fehlentscheidungen zu kritisieren, so liegt die Wurzel des Problems doch darin, daß die überregionale Tageszeitung ihre Leserschaft vor allem unter den links gesonnenen Bürgern, Parteien und Organisationen fand, deren Auftrag jedoch nicht mehr gerecht wurde. Im Unterschied zur alten BRD, in der es für linken Journalismus, der sich zwischen sozialdemokratischen Positionen und den Forderungen sozialer Bewegungen bewegte, noch eine nennenswerte Klientel gab, ist dieses publizistische Feld heute weitgehend verödet. Wo es noch von kleineren Titeln wie der taz, dem Freitag oder konkret beackert wird, ist der ideologische Schwund konsenskompatibler Absicherung unübersehbar. Das linke Profil in Anbetracht der virulenten sozialen Kämpfe zu schärfen, anstatt ins Fahrwasser linksliberaler Marktdoktrin und humanitärer Entpolitisierung zu geraten, scheint weder für die FR noch andere etablierte linke Titel eine Option zu sein.

Wenn Mehrheitseigner Alfred Neven DuMont nun fast die Hälfte der 190 Frankfurter Redakteure entlassen und den überregionalen Teil der FR durch die Redaktion der ebenfalls zum Kölner Neven-DuMont-Verlag gehörenden Berliner Zeitung herstellen lassen will, dann ist das lediglich die Konsequenz eines verlegerischen Geschäftes, dessen Produzenten nicht zugestanden wird, das Ergebnis ihrer Arbeit nicht als Ware, sondern als streitbaren Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs zu verstehen. Die schrittweise Zusammenlegung der Redaktionen mehrerer Blätter des Mehrheitseigners nahm bereits letztes Jahr ihren Anfang und entkernte, was an unabhängigem Profil der FR noch übriggeblieben war, zugunsten anwachsender Beliebigkeit, Servicementalität und Boulevardisierung. Wenn künftig unter dem Signum "Frankfurter Rundschau" politische Kommentare und Berichte veröffentlicht werden, die mit dem, was der langjährige Leser dieser Zeitung mit seinem Blatt verbindet, nichts mehr zu tun haben, dann darf zudem von einem Etikettenschwindel gesprochen werden.

Die nicht nur die Redaktionen dieses Verlags dominierende betriebswirtschaftliche Logik ist den Verwertungsinteressen der Eigner geschuldet, daher haben linke Journalisten das Problem, mit ihrer Kritik an der Zurichtung der Gesellschaft auf Kapitalinteressen spätestens vor der eigenen Haustür Halt machen zu müssen. Wo die Werbeindustrie Presseerzeugnisse ausschließlich danach beurteilt, ob sie ein attraktives Umfeld für ihre Kampagnen darstellen, muß entschiedene Kapitalismuskritik auf der Strecke bleiben. Wo die eigene Leserschaft in etablierten Parteien wie der SPD verortet wird, schießen sich die Kommentatoren, ob aus persönlicher Gesinnung oder opportunistischer Anpassung, auf systemkonforme Meinungen ein, wie bei der FR am Beispiel des Libyenkriegs zu besichtigen ist. Wo die publizistische Praxis auf einem Markt stattfindet, auf dem Konkurrenzblättern Leser abgejagt werden sollen, da bestimmen Auflagenzahlen und Klickraten, Marktforschung und Zielgruppenorientierung die Ausrichtung der redaktionellen Arbeit.

Der Niedergang der FR zu einem belang- und gesichtslosen Durchschnittserzeugnis der deutschen Presselandschaft ist darüberhinaus emblematisch für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung, als sich eine Linke, die sich mit den Herrschenden arrangiert, selbst überflüssig macht. Bei der FR ist dieser Prozeß schon seit langem im Gange, und das nicht zuletzt aufgrund der Nähe der Tageszeitung zur SPD. Seit dem Antritt der rot-grünen Bundesregierung, dem von ihr vorangetriebenen neoliberalen Strukturwandel und ihrer Beteiligung am Überfall der NATO auf Jugoslawien schlägt die FR einen Ton bestenfalls moderater Kritik an der verwertungstauglichen Zurichtung der Arbeitsgesellschaft und dem bellizistischen Triumphalismus deutscher Restauration an. Man hält sich weitgehend heraus, nimmt Deckung in der Konsensproduktion und übt Kritik vornehmlich dort, wo man sich auf Mehrheiten zu stützen meint. Weder Fisch noch Fleisch, aber auch keine entschieden vegane Kost - wer die alltäglich erlittenen Widerspruchslagen in einer offensiven Publizistik zu Fragen gesellschaftlicher Veränderung entwickeln will, für den ist die FR keine Adresse.

Wenn die der SPD gehörende Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft (DDVG), die anfänglich 90 Prozent der Anteile an der FR innehatte und heute noch zu 40 Prozent an dem Blatt beteiligt ist, dessen finale Abwirtschaftung mitträgt, so liegt dies ganz auf der Linie eines sozialdemokratischen Meinungsmanagements, das in der Person des ehemaligen Kanzleramtschefs Gerhard Schröders und Geschäftsführers der WAZ-Mediengruppe, Bodo Hombach, seinen abschreckenden Ausdruck findet. Die von ihm betriebene Expansion in den osteuropäischen Raum und dabei namentlich ins ehemalige Jugoslawien, an dessen Zerschlagung Hombach maßgeblich beteiligt war, die in den Zeitungen der WAZ-Gruppe vollzogenen Rationalisierungsmaßnahmen mit dem Ergebnis, daß die einzelnen Titel aufgrund redaktioneller Zusammenlegungen immer ununterscheidbarer wurden, und die Liaison zwischen gouvernementaler und publizistischer Sphäre sind Merkmale einer herrschaftsförmigen Konsensproduktion, die das politische Widerstandspotential der noch zeitungslesenden Bevölkerung präventiv aussteuern soll.

Der Niedergang des linken Traditionstitels FR erfolgt inmitten einer gesamtgesellschaftlichen Transformation, der sich zu widersetzen den Dissidenten mehr abverlangt als in der Palette der politischen Farben eine austauschbare, weil im Grundsatz systemaffirmative Wahl zu treffen. Auch wenn die Linke der 1960er und 1970er Jahre an der Vergeblichkeit der Militanz ihrer entschiedensten Exponenten scheiterte, ist damit nicht das endgültige Urteil über die Entwicklung radikaler Gegenpositionen auf der Höhe der sozialen Konfrontation gefällt. Sich als unverträglich mit herrschenden Interessen zu erweisen und dementsprechend Wirksamkeit entfalten, machen derzeit die "subalternen" Bevölkerungen des Nahen und Mittleren Ostens vor. Die daran anzuknüpfende Debatte glänzt in der Bundesrepublik durch Abwesenheit, gerade weil das Vakuum politischer Streitbarkeit nicht mit neuer Subjektivität gefüllt werden soll.

Ein derartiger Dissens läßt sich mit kommerzieller Publizistik nicht vereinbaren, wie die publizistische Praxis der sich im linken Spektrum ansiedelnden Presse belegt. Die von der rühmlichen Ausnahme der marxistischen Tageszeitung junge Welt angestoßene Kommunismusdebatte ist ein Beispiel dafür, wie man aus einer minoritären Position wirksam werden kann, selbst wenn die bürgerliche Konkurrenz nach Kräften versucht, den Überbringer der unheiligen Intervention der Linkenpolitikerin Gesine Lötzsch nicht beim Namen zu nennen. Der Belegschaft der FR-Redaktion, die Widerstand gegen die Pläne des DuMont-Verlags übt, ist zu wünschen, daß diese Auseinandersetzung falls nicht zum Erhalt ihrer Arbeitsplätze, dann doch zu einer Streitbarkeit führt, die neue Formen publizistischer Unabhängigkeit in Erscheinung treten läßt.

8. April 2011