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KULTUR/0937: Woody Guthrie - Wider soziale Unterdrückung gestern und heute! (SB)




Als Pete Seeger und Bruce Springsteen auf der Inaugurationsfeier des US-Präsidenten Barack Obama die inoffizielle Nationalhymne der Vereinigten Staaten - This Land Is Your Land - vor 400.000 jubelnden und mitsingenden US-Bürgern vortrugen, verzichteten sie nicht auf die drei meist ausgelassenen Verse dieses Klassikers von Woody Guthrie. Der legendäre Folksänger und politische Aktivist hatte darin seinem Zorn über den Hunger vieler Mitmenschen im Angesicht überbordenden Reichtums Ausdruck verliehen und auch nicht davor Halt gemacht, die herrschende Eigentumsordnung als wesentliche Bedingung der massiven Klassengegensätze der US-Gesellschaft zu benennen:

"There was a big high wall there that tried to stop me
A great big sign there said 'Private Property'
But on the back side it didn´t say nothing
That sign was made for you and me."

Gesungen wurden diese Verse am 18. Januar 2009 auf besonderen Wunsch des damals 89jährigen Pete Seeger, der stets darauf bestanden hatte, dieses überaus populäre Lied in jener Version vorzutragen, die auch die Schattenseiten des darin besungenen Landes beim Namen nennt. Woody Guthrie, der am 14. Juli 1912 in der Kleinstadt Okemah in Oklahoma geboren wurde, hatte als junger Mann während der Großen Depression das massenhafte soziale Elend in jeder Facette kennengelernt. Sein legendärer Ruf als Vater des politischen Folksongs in den USA gründet in der bitteren Erfahrung, die damals Millionen machten, die eigene Heimat aus Armut verlassen zu müssen, um in einem anderen Teil des Landes wiederum unter ausbeuterischen Bedingungen notdürftig sein Leben zu fristen. Woody Guthrie sang die Lieder derjenigen, die US-Präsident Bill Clinton im Rahmen seiner sogenannten Sozialhilfereform, bei der es sich schlicht um die praktische Abschaffung dauerhafter sozialer Sicherung und damit ein massives Verarmungsregime handelte, als "outer class" titulierte.

Nicht nur ganz unten, sondern ausgeschlossen von jeder Chance, noch einmal die Annehmlichkeiten einer guten Versorgung mit allem, was der Mensch für ein Leben ohne Nöte und Schmerzen bedarf, zu genießen sind heute wieder viele Millionen US-Bürger. Was Woody Guthrie als prototypischen Okie ereilte, der das verödete Land im Mittleren Westen verlassen mußte, weil es schlicht nichts mehr zu beißen gab, und der in der landesinneren Migration erfuhr, wie es hispanischen und schwarzen Wanderarbeitern seit jeher erging, ist heute wieder alltägliche Realität in den USA.

Barack Obama ist vor dreieinhalb Jahren mit dem Versprechen angetreten, einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel einzuleiten. Dieser sollte nicht nur den Rückzug aus den von der Vorgängerregierung unter George W. Bush entfachten Kriegen und die Beendigung der massiven Repression im Land beinhalten, sondern auch mehr soziale Gerechtigkeit herstellen. Auch wenn vielen Linken schon damals klar war, daß der erste schwarze Präsident der kapitalistischen Eigentumsordnung lediglich ein neues, akzeptableres Gesicht geben sollte, so hätte man die in der Inaugurationsfeier beschworenen Ideale doch zumindest als Mahnung verstehen können, den im Wahlkampf gemachten Verheißungen treu zu bleiben.

Die Bilanz der bisherigen Amtszeit Obamas dokumentiert, daß sich die sozialen Widersprüche der US-Gesellschaft weiter verschärft haben, daß die innere Repression massiv zugenommen hat und die internationale Politik Washingtons unverändert aggressiv ist. Die Große Depression ist heimgekehrt, und das, was Woody Guthrie in den 1930er Jahren in Verteidigung des landesweit gesuchten Gangsters Pretty Boy Floyd sang, gilt heute mindestens ebensosehr - "Some will rob you with a six gun, Some with a fountain pen". Der Schluß des Liedes beschwor den Outlaw als Menschen, der aus tief empfundenem Unrecht zum Verbrecher wurde und daher vor der gefühllosen Mißhandlung anderer armer Menschen zurückschreckte. In der sozialdarwinistischen Konkurrenzgesellschaft gibt es nicht einmal mehr dafür Gewähr, so gründlich hat die soziale Atomisierung den solidarischen Zusammenhang vieler Bürger zerschlagen, so tief hat sich das Gift des Sozialneids in die Gefühlswelt sogenannter Loser gefressen.

Es brauchte einen schwarzen Präsidenten, um der meist weißen Kapitalmacht neue Glaubwürdigkeit zu verleihen. Und es bedurfte eines selbsterklärten Nachfolgers Woody Guthries, um die Glaubwürdigkeit dieses Präsidenten aufzuwerten. Im Mai legte Obama Bob Dylan die Presidential Medal of Freedom, den höchsten zivilen Orden der USA, um. Der Folksänger hatte keinen Einwand dagegen, daß dieser Präsident Menschen in anderen Ländern mit ferngesteuerten Drohnen ermorden läßt, daß er dieses Vorrecht auch in Anspruch nimmt, um eigene Bürger umbringen zu lassen, daß er in Guantanamo Gefangene, die niemals die Chance hatten, sich vor Gericht verteidigen zu können, vielleicht bis an ihr Lebensende festhalten läßt und daß er die Kriegsgefahr im Nahen und Mittleren Osten weiter anheizt. Dylan erhielt den Orden unter anderem zusammen mit Madeleine Albright, jener ehemaligen US-Außenministerin, derzufolge der Preis des Todes einer halben Million Kinder nicht zu hoch dafür sei, den Irak mit Krieg zu überziehen.

"This Machine Kills Fascists" stand auf Woody Guthries Gitarre, und wie Pete Seeger bezahlte er für seine linke Gesinnung mit den verschiedenen Formen politischer Verfolgung, die die US-Gesellschafts für sogenannten Commies bereithielt. Pete Seeger wurde die Ehrung, die Bob Dylan so selbstverständlich entgegennahm, bislang nicht zugedacht, weil er zu sehr links steht, als daß sich der politische Führer eines kapitalistischen Staates mit ihm schmücken könnte. Kürzlich haben 40.000 Menschen im norwegischen Oslo seinen antirassistischen Song "Rainbow race" angestimmt. Sie antworteten damit auf eine Aussage des Rechtsterroristen Anders Behring Breivik, der vor Gericht erkärt hatte, daß mit Liedern wie diesen pädagogische Hirnwäsche betrieben wird. Längst haben sich Apologeten Breiviks gefunden, die ihm zugestehen, er sei durch die linke Meinungshegemonie zu seinen Mordtaten getrieben worden. Woody Guthrie ist am 3. Oktober 1967 gestorben, doch seine Botschaften erhalten mit jedem Jahr mehr Gültigkeit.

13. Juli 2012