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KULTUR/0947: Sexismus-Debatte - Benimmregeln statt Befreiung (SB)




In der sogenannten Sexismus-Debatte wird viel über das Verhältnis von Journalismus und Politik diskutiert, allerdings ohne auf die Allgegenwart einer sexualisierten Kulturindustrie einzugehen, in der Sexismus so selbstverständlich geworden ist, daß er kaum mehr als solcher wahrgenommen wird. Das Gewaltverhältnis zwischen Männern und Frauen in der patriarchalischen Kultur ist nicht durch die Zurschaustellung entblößter Frauen in den Medien entstanden, es wurde jedoch durch die exhibitionistische Verwertung des weiblichen Körpers, seine Indienstnahme durch eine eugenische Reproduktionsmedizin und seine tief ins Gewebe eindringende kosmetische Zurichtung mit einer neuen Legitimationsstrategie versehen. Die in den letzten 50 Jahren entstandene Freizügigkeit bei der Darstellung nackten Fleisches ist umwoben von einem Nimbus fortschrittlicher Enttabuisierung, deren Ursprünge in der sogenannten sexuellen Revolution der 60er Jahre verortet werden. Dies gilt desto mehr, als der heute um die Verschleierung muslimischer Frauen entbrannte Kulturkampf über die Köpfe der Betroffenen hinweg auf eine kategoriale Antwort drängt, die die Befreiung der Frau zu einer strafbewehrten Zwangsentblößung mutieren läßt.

So erweist sich eine permissive Körperkultur, die selbst Muslimas, die ihr Kopftuch erklärtermaßen aus freien Stücken tragen, eines Besseren belehrt, indem sie sie zu Opfern einer religiös-kulturellen Zwangsdoktrin erklärt, als weiterer Angriff auf die Selbstbestimmung der Frau in einer nach wie vor von Männern dominierten Realität. Sexismus ist dabei nicht nur deswegen im Spiel, weil sogenannte heteronormative Kriterien das Feld im wahrsten Sinne des Wortes beherrschen, sondern weil der Warencharakter der Sexualität das Bild der Frau auf eine Weise bestimmt, aufgrund derer sich positive Identitätsbildung und fremdbestimmte Körpernorm nicht mehr auseinanderhalten lassen. War es einer marxistisch inspirierten Frauenbewegung noch möglich, die eigene Unterdrückung als Zurichtung auf kostensenkende reproduktive Dienstleistungen an Familie und Staat zu begreifen, so wird heute nicht selten propagiert, daß die Erfüllung des Frauseins auch und gerade darin besteht, das Kapital sexueller Anziehungskraft nach allen Regeln der Kunst auszuspielen.

Der Primat des konkurrenzgetriebenen Marktes, der etwa mit der Kuppel-Show "Der Bachelor" tief in die weibliche Subjektivität greift, um frauenverachtende Klischees am Band zu produzieren, bleibt unangetastet. Statt dessen wird die Würde der Frau auf einen rechtlichen Minimalkonsens reduziert, oberhalb dessen sich gefällig und verfügbar zu machen, erste Frauenpflicht ist. Dies erfolgt in aller Freiwilligkeit, meint der Sender RTL und betet damit das Credo eines vom Zwangscharakter der Erwerbsarbeit bereinigten Neoliberalismus in seiner kulturindustriellen Bemäntelung herunter. Wo 20 Frauen nach allen Regeln der Mißgunst und Intrige um einen Pascha kämpfen, da ist auch sonst nichts zu billig, um nicht zu ihren Lasten als vermeintlicher Unterhaltungsspaß durchgehechelt zu werden.

Dabei kann es nicht darum gehen, Frauen auf irgendeine Art vorzuschreiben, wie sie leben und sich in der Öffentlichkeit präsentieren wollen. Zu fragen ist vielmehr, inwiefern sie tatsächlich die Freiheit haben, sich von den Anforderungen einer von Mode- und Schönheitsnormen bestimmten Sozialkultur freizumachen. Die Inszenierung zeitgemäßer Weiblichkeit in den Medien läßt keinen Zweifel daran, daß Frauen, denen Erfolg und Anerkennung wichtig sind, weit mehr als Männer dazu genötigt werden, den an sie gerichteten Erwartungen zu entsprechen. Jung, schön und sexy zu sein, ist mehr als ein austauschbares Attribut in ihrer Autonomie unbeschadet bleibender Menschen. Es sind die Leistungsmerkmale einer Marktkonkurrenz, deren Subjekte alles Erdenkliche dafür tun, ihrer habhaft zu werden, selbst wenn sie ihnen nicht in die Wiege gelegt wurden. Um nicht der von ihnen selbst betriebenen Ausgrenzung des Alten, Häßlichen, Abstoßenden zum Opfer zu fallen, muß der andere Mensch dran glauben. Die soziobiologische Selektion feiert Urständ unter der Prämisse eines Gleichheitsgebots, das den anderen zu seinen Lasten vergleichbar macht.

So geht der Fähigkeit, sich physisch attraktiv zu machen, die Akzeptanz dessen, was als anziehend und abstoßend gilt, zwingend voraus. Dabei sind Frauen weit mehr als Männer, denen das Kriterium physischer Anziehungskraft auch noch in fortgeschrittenem Alter zugestanden werden kann, während Frauen in Repräsentationsstellungen mit weißen Haaren und Falten im Gesicht kaum mehr anzutreffen sind, anwachsenden Schwierigkeiten ausgesetzt, wenn sie diesen Sachverhalt ignorieren.

Was derzeit als "Sexismus-Debatte" in den Rang einer ernstzunehmenden und seriösen Auseinandersetzung mit sexistischen Attacken gehoben wird, muß von der Kommodifizierung der Sexualität absehen, weil diese zum eigenen Geschäft gehört. Ob Stern oder Spiegel, ob Bild oder Welt, das allein in der dort abgedruckten Werbung propagierte Frauenbild dokumentiert, daß die materielle Realität des kapitalistisch vergesellschafteten Geschlechterverhältnisses die Empörung über anzügliche Übergriffe als Beschwichtigung und Fortschreibung dessen kenntlich macht, was zu kritisieren und überwinden angeblich Sinn und Zweck der Debatte sein soll. Sexualisierte Gewalt in einer Arbeitsgesellschaft zu skandalisieren, ohne die Reduzierung der Frau auf ihren Körper als Ware nicht nur der Lohnarbeit, sondern der affektiven Dienstleistung und des sexuellen Verbrauchs zu kritisieren, um vom medial inszenierten Versprechen erfüllter Liebe als Surrogat der Unterwerfung nicht zu sprechen, ist das Privileg derjenigen, die sich diesen Zwangsverhältnissen nicht aussetzen müssen.

Wird schließlich die Bombardierung afghanischer Dörfer von Journalistinnen und Politikerinnen mit dem Vorhaben begründet, afghanische Frauen vom Joch einer fundamentalistischen Männerherrschaft zu erlösen, wird als weiterer Schritt zur Emanzipation der Frau gefeiert, daß US-amerikanische Soldatinnen nun aus Gleichbehandlungsgründen an vorderster Front in den Kampfeinsatz ziehen können, um in neokolonialistischer Ungleichheit gehaltene Gegner niederzumachen, dann wird der Anspruch auf Geschlechtergerechtigkeit von allem bereinigt, das Gefahr laufen könnte, die Befreiung der Frau unterschiedslos zur Befreiung aller Menschen vom Kapitalverhältnis und darüber hinaus von jeder Not und jedem Zwang zu machen. Die derzeit geführte Sexismus-Debatte ist ein bourgeoises Spektakel, das die Versklavung der Frau durch kapitalgetriebene Verwertungsinteressen ignoriert, um sie unter einem Kodex von Benimmregeln um so selbstverständlicher fortsetzen zu können. In ihr reproduziert sich der Blick auf das, was es anzueignen gilt, unter der Prämisse überlegener, Ausbeutung und Unterdrückung perfektionierender Moral.

28. Januar 2013