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KULTUR/0952: Yoko Onos Schrei hallt nach ... (SB)




Yoko Ono, Avantgarde-Künstlerin, Musikerin, Friedensaktivistin, Feministin und Feindbild ganzer Generationen von Beatles-Fans, wird am 18. Februar 80 Jahre alt. Blickt man zurück auf die Epoche, als sie zusammen mit John Lennon Schlagzeilen machte, so zeigt sich, daß ihre damaligen Aktivitäten keinesfalls auf bloße Marotten einer zu weltweiter Prominenz gelangten Wichtigtuerin zu reduzieren sind. Ono hatte sich schon vor ihrer Beziehung zu John Lennon einen Ruf als eigenständige Künstlerin erarbeitet und störte die nur noch in den Augen des Publikums vorhandene wie musikalisch allseits erwartete Harmonie der Beatles vor allem dadurch, daß Lennon ihre Ideen aufgriff und seinen rauhen Ton mit neuer Intensität und Explosivität auflud. Die ihr eigene Dominanz und Bestimmtheit konfrontierte das Publikum der Weltstars mit dem Eindringen einer Frau in eine Männerdomäne, die nichts von einem sogenannten Groupie hatte und, was damals noch ungewöhnlich war, um einiges älter als Lennon war.

Dieser beschrieb sie einmal als "die berühmteste und unbekannteste Künstlerin der Welt - jeder kennt ihren Namen, aber niemand weiß, was sie tut". Dies gilt heute nicht mehr in dem Ausmaß als zu einer Zeit, als der Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gänzlich auf die Beatles gerichtet war. Dennoch führen die frühen musikalischen Errungenschaften Onos bis heute ein Schattendasein, wiewohl allgemein anerkannt ist, daß sie zahlreiche Sängerinnen mit Inhalt wie Stil ihrer Produktionen maßgeblich prägte. Geblieben ist vielen vor allem die Erinnerung an die Schreie, die das breitere Publikum erstmals mit der Rückseite der Single "Cold Turkey" vernahm. Traf dieses die Befindlichkeit des kalten Entzugs Drogensüchtiger beschreibende Stück der Plastic Ono Band, das noch parallel zur Arbeit Lennons für die Beatles produziert wurde, schon den Nerv einer von Pein und Angst heimgesuchten Realität, so war das Stück "Don't Worry Kyoko (Mummy's Only Looking for Her Hand in the Snow)", das der von ihrem früheren Ehemann entführten Tochter gewidmet war, von geradezu verstörender Dissonanz.

Onos an den dramatischen Sprachpraktiken der japanischen Theatertradition des Kabuki orientierter Stimmeinsatz war ein Fanal, das wie die Axt in den von popmusikalischen Gefälligkeiten überladenen Tisch fuhr. Wo der rebellische Geist mit dem Äther angenehmer Gefühle narkotisiert werden sollte, griff die Künstlerin an die Wurzeln einer Conditio humanae, die in der Normalität alltäglicher Katastrophen nicht schmerzhafter sein könnte. John und Yoko protestierten schon gegen den Vietnamkrieg, als die Beatles mit Hymnen wie "Let It Be" die Ära einer neuen Innerlichkeit einleiteten, in die viele der gegen die Wand staatlicher Repression und kapitalistischer Sachzwänge laufenden Jugendlichen emigrierten. Mit kakaphonen Schreien zu treibenden Beats vor der Geräuschkulisse eines fahrenden Zuges, wie im ersten Soloalbum "Yoko Ono/Plastic Ono Band", ließen sich zur Hochzeit der Anschuldigung, Ono sei für das Ende der Beatles verantwortlich, nur vernichtende Kritiken einfahren. Über 40 Jahre später zeigt sich jedoch der visionäre Gehalt einer Musik, die den Anspruch, ins Mark existentieller Krisen und gesellschaftlicher Verwerfungen zu treffen, übererfüllte.

So antizipierte Ono den "Schrei" des sozialrevolutionären Theoretikers John Holloway, der diesen emphatischen Ausdruck unmittelbarer Subjektivität als Metapher für die Dissonanz zwischen erlittener Widersprüchlichkeit und erhoffter Überwindung derselben verwendete. Was dieser Vordenker der Antiglobalisierungsbewegung als Absage an eine positivistische Wirklichkeitsauffassung, der sich das Subjekt unter notgedrungener Aufgabe selbstbestimmter Praxis unterwirft, wie als Kritik an normativen Zielvorstellungen, die die streitbare Nichtakzeptanz herrschender Verhältnisse gegenstandslos machen, postuliert, läßt sich auch als Antithese zu Konsumier- und Verwertbarkeit verstehen. Der Bruch mit der Ästhetik des Wohlklangs und der Ordnung der Harmonie negiert die vorformatierte Paßförmigkeit unterhaltungsindustrieller Beschwichtigung und perforiert die Grenzen einer Menschlichkeit, die das soziale Elend nährt, weil die Beendigung von Raub und Gewalt moralisch und religiös idealisiert wird, anstatt sie zu erkämpfen. Sich der wertförmigen Konsumtion und Reproduktion zu entziehen wird als Kriterium künstlerischer Qualität unterschätzt, weil der Gebrauchscharakter zeitgemäßer Kunst keine unkorrumpierbare Gegenposition zulassen kann.

Eher belächelt denn als ernstzunehmender Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte wahrgenommen wurden auch die politischen Aktivitäten Johns und Yokos. Dabei entwarfen sie mit dem Konzept des Bagism noch zu Zeiten der Beatles eine künstlerische Metapher gegen Diskriminierung jeder Art, sollte der Mensch doch allein mit seinen Worten und nicht seinem Aussehen, Geschlecht, Alter oder seiner ethnischen Herkunft in Erscheinung treten. Musikalische Solidaritätsadressen an politische Gefangene wie Angela Davies und John Sinclair oder die Verurteilung des brutalen und rassistischen Knastsystems in den USA am Beispiel des Aufstands im Attica State Prison zeugen von einer Bereitschaft, den Starruhm für politische Zwecke einzusetzen, die auch vor 40 Jahren nicht selbstverständlich war.

1972 zog Yoko Ono auf ihrem Album "Approximately Infinite Universe" alle Register einer aus dem Kampf der Geschlechter wie aus existentieller Verzweiflung resultierenden Verletzlichkeit, die auch ohne die nervenaufreibende Intensität regelrechter Schreiorgien das Potential menschlicher und dabei insbesondere weiblicher Schmerzträchtigkeit bis auf ihren bodenlosen Grund auslotete. Eine Ausnahmekünstlerin blieb sie auch mit späteren Produktionen, die ihr insbesondere die Anerkennung der avantgardistischen Dance- und Clubmusikszene einbrachte. Das Vermächtnis ihrer musikalischen Produktivität in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren ragt aus ihrem reichhaltigen Lebenswerk auch deshalb heraus, weil es nach wie vor zu den eher ignorierten Phasen ihrer künstlerischen Biografie gehört. Heute unter anderem in der Kampagne Artists Against Fracking aktiv steht die New Yorkerin sicherlich nicht an vorderster Front der sozialen Konflikte, die die krisengeschüttelte US-Gesellschaft erschüttern. Als Überlebende einer Zeit, in der die Frage der sozialen Utopie noch nicht als ideologisches Wolkenkuckucksheim verächtlich gemacht wurde und der Zorn politischen Streits von der Praxis sozialen Widerstands nicht zu trennen war, weisen die Zeugnisse ihres Schaffens doch allemal Spuren auf, die dazu beitragen können, im aufkommenden Sturm Kurs zu halten.

17. Februar 2013