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KULTUR/0955: Hardthöhe kontra WAZ - Geistiges Eigentum deutscher Kriegsführung (SB)




Ob die öffentlichen Medien neben Exekutive, Legislative und Justiz eine vierte Säule im System der Gewaltenteilung sind oder sein sollten, ist eine oft gestellte, weit häufiger noch vernachlässigte Grundsatzfrage. Ob es aus journalistischer Sicht überhaupt erstrebenswert ist, sich in die Architektur gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse einzufügen, wird aus naheliegendem berufständischen Interesse demgegenüber kaum jemals thematisiert, erforderte dies doch eine Positionierung, die den kritischen Geist nicht von vornherein ins Geschirr legalistischer Entmächtigung spannte. Zumindest aber stünde es Journalisten gut zu Gesicht, sich nicht ihrerseits als Sachwalter der Grenzziehung ihres Metiers anzudienen.

Das Grundgesetz räumt den Medien als Kollektiv keine den drei eigentlichen Staatsgewalten äquivalente herausgehobene Stellung ein. Allerdings kommt das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil vom 25. April 1972 zu dem Schluß, daß die freie geistige Auseinandersetzung ein Lebenselement der freiheitlichen demokratischen Ordnung in der Bundesrepublik und für diese Ordnung schlechthin konstituierend sei. Sie beruhe entscheidend auf der Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit, die als gleichwertige Garanten selbständig nebeneinander stünden.

In Widerspruch dazu nehmen jedoch mächtige Akteure wie Regierungen, Parteien, Unternehmen und Verbände durch professionelle Öffentlichkeitsarbeit in einem Maße Einfluß auf die Berichterstattung, daß die vielbeschworene öffentliche Meinungsbildung nahezu als ein von Herrschaftsinteressen geleitetes Konstrukt ausgewiesen werden muß. Ob Journalismus unter dem Regime der Konzernpresse eine Kritikerrolle überhaupt noch wahrnehmen kann und will, darf daher bis zum Beweis des Gegenteils bezweifelt werden. Zur ideologischen Zurichtung des Gewerbes gesellt sich die wachsende Abhängigkeit bezahlter Journalisten durch den Abbau ihrer Arbeitsplätze und einen enorm gestiegenen Leistungsdruck.

Unter diesen Umständen nimmt es nicht wunder, daß ein unverhoffter Zugriff auf als geheim ausgewiesene Informationen wie ein Lebenselixier in Zeiten der Medienkrise gefeiert wird. Rasch bleibt die Frage auf der Strecke, was an der vermeintlichen Fundgrube nie gesehener Schätze so geheim sein soll. Und schlimmer noch: Ob man sich nicht bei der eilfertigen Verwertung dieses Materials bereitwillig als Treibriemen lancierter Desinformation einspannen läßt.

Auf den ersten Blick scheinen die Rollen klar verteilt, wenn das Verteidigungsministerium die WAZ-Gruppe unter Berufung auf das Urheberrecht zwingen will, vertrauliche Unterlagen aus dem Netz zu nehmen. Diese waren mit dem Hinweis "VS - nur für den Dienstgebrauch" markiert und dienten der Unterrichtung des Parlaments über den Afghanistankrieg. Das Ministerium will die Unterlagen löschen lassen und hat die WAZ abgemahnt, die dieses Ansinnen jedoch im Namen der Informationsfreiheit zurückweist.

Die fraglichen Papiere zeigen den Kriegsverlauf in Afghanistan von 2005 bis Sommer 2012 und belegen laut WAZ, daß der Einsatz bereits vor Jahren nicht mehr als Friedensmission der Bundeswehr gewertet wurde. Nur die Veröffentlichung aller vorliegenden VS-gestempelten Papiere im Internet ermögliche es, die jahrelange Verharmlosung des Afghanistankrieges zu dokumentieren. Dies entspreche den Grundlagen des modernen Journalismus, dem es nicht mehr nur darum gehe, "zu verknappen und zu zitieren". "Stattdessen wollen wir möglichst oft Originaldokumente veröffentlichen, wenn nicht Informanten gefährdet werden. Jeder Bürger soll sich mit Hilfe seiner Zeitung selbst ein Bild vom Verlauf des Afghanistankrieges machen können." [1]

Wer hat die deutsche Beteiligung am Afghanistankrieg jahrelang verharmlost? Regierung und Bundeswehr zweifellos, doch nicht minder der hiesige Mainstreamjournalismus, der getreulich kolportierte, ja begeistert unterstützte, was angeblich am Hindukusch an humanitärer Hilfe und Aufbauarbeit geleistet wurde. Die Alternative kann doch nicht sein, entweder zu verknappen und zu zitieren oder möglichst oft Originaldokumente zu veröffentlichen. War man bereit, fundiert zu recherchieren, offizielle Verlautbarungen nicht bereitwillig wiederzukäuen und sich insbesondere einer substantiellen Analyse deutscher Interessen in Afghanistan zu befleißigen, hatte man zu keiner Zeit Anlaß, der Abfolge fortgesetzter Umdeklarierungen des Kriegseinsatzes auf den Leim zu gehen.

Der Inhalt der Dokumente ist mithin keinesfalls geheim, und selbst die Annahme, das Verteidigungsministerium fürchte deren Veröffentlichung, steht auf tönernen Füßen. Das Gegenteil dürfte der Fall sein: Zug um Zug haben hochrangige Politiker die zuvor gesponnene Legende vom Friedenseinsatz in Afghanistan dekonstruiert, um den Bürgern portionsweise nahezubringen, daß Deutschland aus guten Gründen seine Interessen in aller Welt auch militärisch durchsetzen müsse. Dieses ideologische Werk ist längst vollbracht, wie die schwindende Kriegsgegnerschaft im Falle Libyens, Syriens und Malis belegt. Wenn WAZ-Recherchechef David Schraven daher geltend macht, das Urheberrecht dürfe nicht dazu mißbraucht werden, "um die Menschen in Deutschland im Unwissen darüber zu halten, was in ihrem Namen weltweit militärisch geschieht", hausiert dies mit einer hochgestapelten Naivität, bei der sich der Autor zuallererst an die eigene Journalistennase fassen sollte. Wollte die WAZ mit ihrer demonstrativ zur Schau getragenen Widerborstigkeit investigativen Journalismus für sich reklamieren, müßte man angesichts der Veröffentlichung längst abgenagter Knochen doch wohl eher von einem medienkonkurrenzgetriebenen Sturm im Wasserglas sprechen.

Eigenen Angaben zufolge war die WAZ zunächst mit dem Antrag gescheitert, auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes Zugang zu den Dokumenten zu bekommen. Daraufhin hatte sie im November 2012 Papiere im Volltext veröffentlicht, die der niedrigsten Geheimhaltungsstufe unterlagen. Damals hatte ein Sprecher des Verteidigungsressorts die Sache noch "zum Schmunzeln" gefunden, da die Hardthöhe die parlamentarischen Unterrichtungen ohnehin "ganz knapp versetzt und nahezu inhaltsgleich" auf den Webseiten des Ministeriums ins Internet stelle. Warum sich das Ministerium dann Mitte März dennoch in seinem Recht verletzt sah, "selbst zu bestimmen, ob und wie" die Berichte zu veröffentlichten sind, und Druck auf die WAZ ausübte, ist zunächst unklar. [2]

Möglicherweise nutzt das Verteidigungsministerium schlichtweg die ihm durch die WAZ eröffnete Möglichkeit, in einem Testlauf das Urheberrecht gegen geleakte Dokumente in Stellung zu bringen. Dem widerspricht nicht, daß dieser Fall Urheberrechtsexperten an die Wikileaks-Affäre erinnert, in der sich diese Waffe schon einmal als stumpf erwiesen hatte. Die Erfolgsaussichten seien auch bei der aktuellen Initiative gering, da mehrere Hürden überwunden werden müßten, damit das Urheberrecht greift. Zunächst müsse bei dem Text eine individuelle Handschrift erkennbar sein, was bei den Afghanistanpapieren kaum zutreffen dürfte. Zudem seien die Dokumente intern so vielen Stellen zugänglich gewesen, daß rechtlich bereits von einer Veröffentlichung gesprochen werden könne.

Andere Experten warnen dennoch, daß das Urheberrecht durchaus ein probates Mittel sein könne, um unliebsame Leaks aus dem Netz zu entfernen. Daß die Papiere aus einer Behörde stammen, spiele urheberrechtlich kaum eine Rolle, da nur bestimmte amtliche Dokumente gemeinfrei seien. Und selbst wenn die Urheber- und Verwertungsrechte zunächst bei den Referenten eines Papiers liegen und nicht bei deren Dienstherren, könnten die Rechte problemlos an das Ministerium übertragen werden. Allerdings sehe der Wortlaut des Urheberrechts eine Abwägung mit der Pressefreiheit nicht vor, weshalb zuletzt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einen diesbezüglichen Eingriff an bestimmte Bedingungen geknüpft hat.

Die Rechtslage ist mithin weit von einer Klärung entfernt, weshalb das Ministerium durchaus geneigt sein könnte, diesbezügliche Grenzen juristisch auszuloten und womöglich zu seinen Gunsten zu verschieben. Sich über ein Eigentor der Bonner Hardthöhe zu mokieren, wo doch der Fokus der Öffentlichkeit auf genau jene Informationen gelenkt werde, die das Ministerium unterdrücken möchte, zeugt von einer eklatanten Kurzsichtigkeit der Journalisten. Sie nehmen die Spielwiese ernst, auf der sie sich mit Feuereifer austoben dürfen, als gelte es, die tiefsten Untergründe deutscher Militäreinsätze zu enthüllen. Selbst wenn das Verteidigungsministerium in diesem Scheingefecht unterliegen sollte, hätte es dabei doch mit Blick auf die künftige Geheimhaltung wirklich brisanter Informationen wertvolle Erfahrungen gewonnen.

Fußnoten:

[1] http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/waz-abgemahnt-verteidigungsministerium-fuehrt-aussichtslosen-kampf/8038410.html

[2] http://www.telemedicus.info/article/2556-Afghanistan-Leak-Verteidigungsministerium-geht-gegen-WAZ-vor.html

9. April 2013