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KULTUR/1014: Fake News und Sozialkontrolle gehen Hand in Hand (SB)



Falschnachrichten könnten unsere Sicht auf die Welt beeinflussen und zu einer Verzerrung der Wahrnehmung führen, indem "wir in unserer grundlegenden Auffassung dessen, was wahr und falsch ist, irritiert werden." [1] Was Simon Hegelich, Professor für Political Data Science an der Technischen Universität München, in einem Bericht des Deutschlandfunks zum Problem der Fake News in Sozialen Medien erklärt, ist keine neue Erkenntnis. Genaugenommen ist sie so alt wie die Menschheit oder zumindest die Existenz religiös legitimierter Herrschaftssysteme. Man könnte es geradezu als Zweck jeglicher Herrschaft des Menschen über den Menschen bezeichnen, Definitionsmacht über die Wahrheit zu erlangen und durchzusetzen, warum sonst sollte sich jemand einem anderen unterwerfen? Auch die von Hegelich angeführte Wirkung der häufigen Wiederholung falscher Behauptungen, die einen nagenden Zweifel hervorrufen und die Bereitschaft steigern, diesen Einflüsterungen Glauben zu schenken, existiert nicht erst, seit die Gerüchteküche in den sozialen Medien anschwillt wie ein Pogrom, für dessen Ausbruch eine üble Verunglimpfung ausreicht, wenn sie auf den fruchtbaren Boden rassistischer Ressentiments fällt.

In der neoliberalen Ökonomie hat der Homo oeconomicus als stets rational handelnder Akteur längst abgedankt und dem Adressaten verhaltensökonomischer Methoden Platz gemacht, der zu seinen Kaufentscheidungen weniger genötigt denn verführt wird. Geht es in der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft schon darum, den Menschen als unselbständig Beschäftigten so weit zu entmündigen, daß er aus schierer Überlebensnot Arbeiten verrichtet, die er sich nicht aussuchen kann und zum abstrakten Zweck des Geldverdienens verrichtet, dann wird er in seinem systemrelevanten Dasein als Konsument nicht minder gegängelt. Das Geschäftsmodell der Sozialen Netzwerke, in denen die haßerfüllte und neidgetriebene Saat der sozialdarwinistischen Konkurrenzgesellschaft in voller Blüte steht, beruht darauf, die Daten ihrer Nutzer zur Schaltung individualisierter, ihre Interessen und Wünsche verwertender Werbung abzuschöpfen. Ob irreführend oder nicht, die Produktion der Nachrichten, Verweise und Wortmeldungen, die die Nutzer auf ihnen posten, ist der Treibstoff, der Umsatz und Gewinn in die Höhe schnellen läßt.

Jegliche Propaganda, ob von anonymen Nutzern oder öffentlichen Institutionen annonciert, dient dem Zweck, andere für die eigenen Interessen zu gewinnen oder zumindest ihre Anerkennung für das eigene Tun zu erlangen. Wenn mit Fake News individuelle Intrigen oder persönliche Meinungsbekundungen massenwirksamen Charakter erhalten, sehen sich Regierungen und Medien weniger aus Gründen der allgemeinen Wahrheitspflege, die im inkriminierten Fall den Gerichten obliegt, sondern ihrem ganz eigenen Anspruch auf Deutungsmacht dazu veranlaßt, nämliche für sich zu reklamieren. Dabei ist die Zuständigkeit privatwirtschaftlich organisierter Verlage und Sender für eine wahrheitsgerechte Berichterstattung in einem Geschäftsmodell verankert, das allen möglichen Einflüssen unterliegt, die eine ungebrochene Bemühung um lupenreine Objektivität eher nicht unterstützen.

So kann die Rücksichtnahme auf Werbekunden oder die beinharte Konkurrenz darum, wer eine Nachricht als erster herausbringt, Einfluß auf deren inhaltliche Beschaffenheit nehmen. Das berufständische Interesse auf ihren Lebenserwerb angewiesener Journalisten, die ihre Stellung in der Redaktion sichern und sich ihre Informanten gewogen halten müssen, kann ebenso zu selektiver Informationsfilterung führen wie die politische Positionierung von Verlagskonzernen. Sie stehen von vornherein eher auf der Seite des Kapitals als der der Arbeit, sind womöglich mit anderen Unternehmen oder politischen Parteien verbandelt oder bekennen sich wie etwa Axel Springer zu spezifischen Unternehmensgrundsätzen [2].

Öffentlich-rechtliche und regierungsamtliche Institutionen wiederum mögen ihre Zuständigkeit dafür, Fake News mit inhaltlichen Interventionen zu bekämpfen, als auf demokratischem Wege zustandegekommenen Auftrag verstehen. Doch gegenüber IT-Giganten wie Facebook oder Google zeigen sich die Sachwalter der sogenannten Volkssouveränität erstaunlich handzahm. Wieso fragen sie nicht lautstark, warum Soziale Netzwerke, die wie Rundfunk und Presse auch Content in Form von Text, Ton und Bild präsentieren, das Privileg in Anspruch nehmen können, laut dem Telemediengesetz für die auf ihrer Plattform verbreiteten Inhalte nicht verantwortlich zu sein? Warum ergreifen die politischen Akteure keine Maßnahme, um Soziale Netzwerke als Medien zu qualifizieren, besteht ihr kommerzieller Rohstoff doch aus nichts anderem als medial kommunizierter Informations- und Unterhaltungsware, für die sie auch verantwortlich zeichnen sollten?

Statt dessen wird von einer "Regulierungslücke" gesprochen und die Einschaltung von Kontrollinstanzen vorbereitet, denen als Sachwaltern der Wahrheit ein zivilgesellschaftliches Hochamt zuteil würde, an dem sie nur scheitern können. Wenn derartige Fact-Checker der rechtlichen Überprüfung beanstandeter Inhalte vorgeschaltet werden, dann beträten, wie bereits beim Aufstieg von Facebook und Co. der Fall, Akteure quasi aus dem Nirgendwo, durch keine Verfassung und kein Gesetz zu ihrer Aufgabe ermächtigt, die Bühne des gesellschaftlichen Diskurses, an denen keiner mehr vorbeikommt. Nach welchen Kriterien ein Fact-Checker wie "Correctiv" Fake News auf Facebook überprüft und welchen möglichen Interessenverflechtungen er unterliegt, wird aus offen zutage liegenden Gründen bereits diskutiert [3].

So wenig der Mensch Lohn- oder Befehlsempfänger sein sollte, so sehr ist er selbst dafür verantwortlich, wie er die Gesellschaft beeinflußt, in der er lebt. Dies tut er ohnehin in einem rechtlich strafbewehrten Rahmen, so daß der Gefahr einer autonomen Selbstermächtigung, die im Unterschied zu manch wahnhafter Massenpsychose niemals im Interesse von Staat und Kapital ist, nicht zuletzt durch die in Sozialen Netzwerken vollzogenen Symbolhandlungen und den Klicktivismus der Petitionskampagnen Schranken gesetzt sind. Daher liegt nahe, daß es sich bei der Skandalisierung von Fake News um den durchsichtigen Versuch handelt, das massenmediale Nachrichtenwesen, das zu keiner Zeit frei von herrschaftsaffinen und machtopportunen Neigungen war, wieder mit der Glaubensautorität und Funktionsfähigkeit eines sozialtechnokratischen Lenkungsapparates zu versehen.

Zugleich jedoch soll die Geschäftstätigkeit großer IT-Akteure so unbeeinträchtigt wie möglich von öffentlichen Auflagen vonstatten gehen, auf daß das "neue Öl" der digitalen Arbeitsgesellschaft [4] kräftig sprudelt. Der Rohstoff der Daten steigert die Taktrate der Gesellschaftsmaschine allerdings nicht nur durch Effizienzzuwächse in der Produktion, er verhilft ihr auch zu einem tieferen Griff in unverfügbar gebliebene Reservoirs subjektiver Existenz, die in ihr Wertwachstum eingespeist werden sollen. Sozialkontrolle hört nicht im Kopf auf, fängt aber durchaus dort an, daher wird der Kampf um die Deutungshoheit mit der informationstechnischen Entuferung der Diskurse noch erbitterter geführt. Ob im Ergebnis angeblich unabhängige Kontrolleure das Feld betreten oder der Staat eine eigene Zensurbehörde aufbaut - in beiden Fällen wird die Konstruktion eines vermeintlichen Sachzwangs zum Anlaß genommen, in diesem Kampf Kommandogewalt zu erlangen.


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/soziale-medien-mit-faktencheck-gegen-fake-news.724.de.html?dram:article_id=378182

[2] http://nachhaltigkeit.axelspringer.de/de/grundsaetze/unternehmensgrundsaetze.html

[3] https://www.heise.de/tp/features/Facebook-Wahrheitspruefer-Correctiv-verstrickt-sich-in-Widersprueche-3605916.html?view=print

[4] BERICHT/035: Suchmaschine - Neue Pfründe ... (1) (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/bildkult/report/bkrb0035.html

6. Februar 2017


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