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KULTUR/1016: Vom Gerücht zur Falschnachricht ... (SB)



"You are fake news" - so kurz angebunden kanzelt der US-Präsident mißliebige Journalisten ab, deren Fragen er nicht beantworten will. Für Donald Trump ist das abstrakte Phänomen "Fake News" längst zu einer Charaktereigenschaft von Personen, die ihm nichts Gutes wollen, mutiert. Wo jemand früher vielleicht ein Lügner geschimpft worden wäre, ist er heute einfach "Fake News". Doch die Verwendung dieses schillernden Begriffs im deutschen Sprachraum ist kaum weniger widersprüchlich. So konnte man in einer Sendung auf NDR Info kürzlich erfahren, daß auf einem Facebook-Account, wo unter dem Namen eines fiktiven Parteimitgliedes der Grünen gefälschte Zitate von Spitzenpolitikern dieser Partei verbreitet wurden, gezielt Fake News produziert wurden, um diese Politiker in schlechtes Licht zu rücken.

Das sogenannte soziale Netzwerk Facebook in den Rang eines Nachrichtenproduzenten zu erheben, auch wenn es keine journalistischen Inhalte betrifft, sondern x-beliebige Seiten von x-beliebigen Personen, heißt nichts anderes, als die Erzeugung von Gerüchten und die Produktion von Presseartikeln auf eine Ebene zu stellen. Daß die von mehreren Milliarden Menschen begangene Internet-Plattform heute an die Stelle des Marktplatzes getreten ist, auf dem Intrigen gesponnen und Feindschaften geschürt werden, macht sie nicht zu einem Medium, das der Pflicht eines Presseerzeugnisses unterliegt, wahrheitsgemäß zu berichten. Der Facebook und Co. gemachte Vorwurf, Falschnachrichten nicht schnell genug zu löschen und damit ihre Verbreitung zu befördern, wertet jedoch das billige, mit wenigen Tastenanschlägen in die Welt gesetzte Gerücht zu einer - wenn auch irreführenden - journalistischen Nachricht auf. Diese Gleichsetzung wiederum verallgemeinert und entwertet Bemühungen, auf solide und gründliche Weise relevante und überprüfbare Informationen zu verbreiten. Der Affront gegen die Freiheit des Wortes besteht nicht darin, daß Menschen tun, was sie schon immer getan haben, nämlich zu trügen und zu lügen, wie es ihnen gefällt, sondern daß dies zu einem gesellschaftlich relevanten Skandal erhoben wird, gegen den kein rechtliches Kraut gewachsen sei und der daher zu außerordentlichen Maßnahmen Anlaß gibt.

So ist auch der "Fake-Account" des nichtexistenten Tobias Weihrauch, über den auf NDR Info unter der Überschrift "Alles Lüge? Fake News und die Bundestagswahl" [1] berichtet wurde, ein Grund dafür, daß die Bundesregierung am Mittwoch das vom Bundesjustizministerium vorgelegte Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) gutgeheißen hat. "Offensichtlich" rechtswidrige Inhalte - sprich auch Inhalte, die bis zum Nachweis des Gegenteils möglicherweise legal sind - sollen von sozialen Netzwerken binnen 24 Stunden nach Eingang einer Nutzerbeschwerde entfernt werden. Ansonsten riskieren die Betreiber die Zahlung empfindlicher Bußgelder, was naheliegenderweise zu vorauseilender Zensur mißliebiger Inhalte führen dürfte.

Da nicht nur Haßkriminalität oder Falschmeldungen der Löschpflicht unterliegen, sondern im Gesetzesentwurf als zu entfernende rechtswidrige Inhalte die Paragraphen "86, 86a, 89a, 90, 90a, 90b, 91, 100a, 111, 126, 129 bis 129b, 130, 131, 140, 166, 184b, 184d, 185 bis 187, 241 oder 269 des Strafgesetzbuchs" [2] aufgelistet werden, öffnet die Maßnahme der Einschränkung der Meinungsfreiheit Tür und Tor. Der Interpretationsspielraum der genannten staats- und verfassungsfeindlichen Straftaten ist so weit gespannt, daß jede Form politischer Radikalität akut Gefahr läuft, nicht nur aus dem virtuellen Verkehr gezogen zu werden, sondern zur Normierung verbotener und erlaubter politischer Äußerungen beizutragen.

Privatwirtschaftlichen Akteuren Auflagen zu politischer Zensur zu machen geht aus rechtstaatlicher Sicht gar nicht, daran ändert auch das Argument des Bundesjustizministers Heiko Maas nichts, die vorgesehenen Regeln enthielten "keinen neuen Eingriff in die Meinungsfreiheit", weil Online-Unternehmen bereits nach geltendem Recht dazu verpflichtet seien, "rechtswidrige Inhalte unverzüglich aus dem Netz zu entfernen, sobald sie Kenntnis davon haben" [3]. Indem der Staat die Netzwerkbetreiber dazu anhält, zum Zwecke sofortiger Löschung die vermeintliche Rechtwidrigkeit beanstandeter Postings oder Kommentare in eigener Regie festzustellen, macht er sie zu Produzenten von Rechtsnormen, die üblicherweise in einem demokratischen Prozeß ausgehandelt werden müßten. Daß Nutzer mit weit auslegbaren Definitionen vermeintlich illegaler Kommentare massiv eingeschüchtert werden, soll mit dem Gesetz doch auch ihre Anonymität aufhebbar werden, komplettiert seine destruktiven Auswirkungen auf den demokratischen Diskurs.

Der von Facebook und Konsorten geltend gemachte Sachverhalt, lediglich Bote und nicht für den Inhalt der Botschaft verantwortlich zu sein, ist angesichts des Geschäftsmodells, Nutzer durch attraktive Angebote auf der eigenen Plattform zu halten und ihre dabei akkumulierten Daten gewinnbringend zu verwerten, längst unglaubwürdig geworden. Das Internet ist schon lange kein rechtsfreier Raum mehr, warum also sollten strafbare Handlungen in sozialen Netzwerken nicht mit konventionellen strafrechtlichen Mitteln verfolgbar sein? Dem Gesetzesentwurf ist diese zentrale Frage nur eine lapidare Anmerkung wert:

Das Bedürfnis einer Regelung zum Umgang mit Beschwerden über Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten - im Unterschied zu den 'klassischen Medien' - lässt sich mit der Besonderheit des Internets erklären. Bei den klassischen Medien wird eine rechtswidrige Situation nicht in gleicher Weise perpetuiert wie im Internet. [4]

Auch an dieser Stelle werden soziale Netzwerke implizit in den Rang von Medien erhoben. Gleiches gilt für die Definition sozialer Netzwerke. Sie betrifft "Telemediendiensteanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die es Nutzern ermöglichen, beliebige Inhalte mit anderen Nutzern auszutauschen, zu teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen". Indem diese von "Plattformen mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten, die vom Diensteanbieter selbst verantwortet werden" [5], abgegrenzt werden, wird ihre prinzipielle Vergleichbarkeit konstatiert.

Daß letztere nicht zum Anwendungsbereich des NetzDG gehören sollen, ist ein schwacher Trost. Wenn es schon erforderlich ist, dies in dem Gesetzesentwurf eigens zu betonen, liegt nahe, daß dieser Vorbehalt nicht in Stein gemeißelt ist. Werden auf gesetzlich zwar mandatierte, aber außerrechtlich vollzogene Weise Sprachregelungen und Verhaltensnormen etabliert, die im nächsten Schritt als staatlich verordnete Zensur Allgemeingültigkeit erlangen könnten, dann trägt die so indifferent wie zielgerichtet geführte Debatte um "Fake News" die Früchte, die ihr von Anfang an in den Korb gelegt wurden.


Fußnoten:

[1] https://www.ndr.de/info/sendungen/das_forum/forum5122.pdf

[2] http://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_NetzDG.pdf?__blob=publicationFile&v=2

[3] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Internetfreiheiten-im-Koma-Bundesregierung-befuerwortet-Netzwerkdurchsetzungsgesetz-3675569.html

[4] a.a.O

[5] a.a.O.

7. April 2017


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