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KULTUR/1041: Von Trumps Gnaden - die Vereinigten Staaten von Amerika ... (SB)



Das Lachen auf den Plakaten sucht das tägliche Blutbad und die Schinderei aus dem Gedächtnis zu vertreiben; man lacht, weil das Leben hoffnungslos ist. Die zur Schau getragene Empfindsamkeit überlebt einzig durch eine eiserne Gleichgültigkeit gegenüber der allgemeinen Entbehrung und Brutalisierung. Kurz: gute Miene zum bösen Spiel zu machen ist das Programm.
Russell Jacoby - Soziale Amnesie (1975) [1]

Der per Twitter lancierte Angriff des US-Präsidenten auf die ehemalige US-Botschafterin in der Ukraine, Marie Yovanovitch, inmitten ihrer Befragung bei der öffentlichen Anhörung zur möglichen Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen ihn zeigen, wie sehr Donald Trump die Echtzeitkommunikation dieses Kurznachrichtendienstes in eine Waffe im politischen Kampf verwandelt hat. Weil die altgediente Diplomatin nicht nach seiner Pfeife tanzte und die Erwirtschaftung belastenden Materials gegen den Bewerber um die Präsidenschaftskandidatur der Demokraten, Joseph Biden, behinderte, hatte er sie im Frühjahr aus ihrem Amt entlassen. Nun twitterte er während ihrer Aussage, daß sie in ihrer diplomatischen Tätigkeit nur Schaden angerichtet habe und es ganz und gar seiner Vollmacht unterliege, Botschafter seiner Wahl zu ernennen. Yovanovitch fühlte sich, wie sie auf Nachfrage des Vorsitzenden des Geheimdienstausschusses des Repräsentantenhauses erklärte, durch diese Intervention regelrecht bedroht.

Das ist nur eines von zahllosen Beispielen, die zeigen, wie dieser US-Präsident weniger Geschichte schreibt als buntes Politainment produziert. Wer immer noch über Fake News oder postfaktische Politik lamentiert, hat nicht mitbekommen, daß der Umgang mit Lüge und Wahrheit auf den Kommandohöhen des Staates ein durch und durch instrumenteller ist. Er löst sich nicht in Richtung vermeintlich faktenbasierter und objektiver Entscheidungen auf, sondern fragt ausschließlich nach der Wirksamkeit politischer Botschaften, die niemand glauben muß, um sie dennoch als Faktor politischer Willensbildung zu akzeptieren und zu nutzen. Für die atomisierten Marktsubjekte im neoliberalen Kapitalismus ist die Konsumierbarkeit von Politik viel entscheidender als eine sachbezogene Relevanz, bei der sie ohnehin nicht mitzureden haben. Höchster Unterhaltungswert entsteht in der demagogischen Feindbildproduktion, die Trump zu einer Art eigener Kunstform entwickelt hat, indem er wenige Worte oder kleine Tweets in große Events verwandelt.

Der ehemalige TV-Unterhalter hat früh begriffen, daß in der Trivialisierung offener Aggression politische Stärke liegt, wie etwa bei einer seiner umjubelten Wahlkampfreden im Januar 2016 vorgeführt: Ich könnte in der Mitte der Fifth Avenue stehen und jemanden erschießen, okay, und ich würde keine Wähler verlieren. Jahrelang zog er mit der Behauptung durch die Lande, daß sein Vorgänger, Präsident Barack Obama, nicht in den USA, sondern in Kenia geboren sei, nur um diese Verleumdungskampagne völlig folgenlos für ihn selbst 2016 abzublasen. Niemand, nicht einmal seine Konkurrentin Hillary Clinton, nahm ihm übel, daß er das Publikum im Wahlkampf zu Sprechchören aufforderte, laut derer sie in eine Gefängniszelle gehöre. Gegen mißliebige JournalistInnen mobilisierte er seine Anhängerschaft bei Wahlkampfveranstaltungen auf eine Weise, die diese um ihre physische Unversehrtheit fürchten lassen mußte. Er zeigte mit dem Finger auf sie und nannte ihre Namen, was zu Folge hatte, daß das Publikum ihnen so bedrohlich auf den Leib rückte, daß sie den Saal fluchtartig verlassen mußten.

Trump ist nicht nur ein großer Kommunikator xenophober Ressentiments, wie er vor wenigen Tagen bei einer Rede in New York bewies, als er behauptete, das an der US-Südgrenze eingesetzte Grenzpersonal würde schon auf dem elektrischen Stuhl landen, wenn es Immigranten nur unfreundlich anspräche, was überaus unfair sei. Zum Glück befänden sich auf der anderen Seite der Grenze 27.000 mexikanische Soldaten, die mit Migranten wesentlich unsanfter umsprängen. Seine Stärke besteht vor allem darin, daß er rechtliche Schranken nach Belieben überschreitet, aber durchaus mit ihrer Gültigkeit argumentiert, wenn es zu seinem Vorteil ist. Während seine Kritiker noch versuchen, mit der Verwerflichkeit dieser Ungereimtheit zu punkten, ist Trump längst weiter nach dem Motto, was interessiert mich mein Getwitter von gestern. Er verfaßt einfach den nächsten Tweet, während sich seine politischen Gegner noch über den Inhalt der letzten Kurznachricht aufregen.

Der US-Präsident wendet die Inkonsistenz seiner politischen Entscheidungen so unverhohlen zu seinem Vorteil, daß über die große Zustimmung, die er in der Bevölkerung genießt, kaum ein Zweifel bestehen kann. Um so entschiedener wählt er den Weg exekutiver Selbstermächtigung. Seine politischen GegnerInnen mögen sich auf Recht und Moral berufen, doch bleibt der mit dieser Strategie angestrebte Vorteil nicht zuletzt deshalb aus, weil sie das Problem haben, selbst ein instrumentelles Verhältnis zu den von ihnen hochgehaltenen politischen Werten zu pflegen. Dem Gestus des Machers und Kumpels, dem es einfach nur darum geht, die Sache für seine Leute in Ordnung zu bringen, haben sie zu wenig entgegenzusetzen, als daß sie Trump bei der nächsten Präsidenschaftswahl besiegen könnten. Daß viele prekarisierte ArbeiterInnen in diesem Milliardär ihren Retter erkennen, teilt einiges über die hochgradige Effizienz kapitalistischer Kulturindustrie mit.

Gegen die Maxime Might makes right - wer die Macht hat, hat recht - ist in einem Land, dessen soziale Reproduktion auf die Ausbeutung eines weit überproportionalen Anteils an weltweit vorhandenen Ressourcen angewiesen ist, schwer anzukommen. Trump hat den Modus des Ausnahmezustandes zur Grundmatrix politischen Handelns erhoben und ist damit im klassischen Sinne souverän. Die von ihm in Anspruch genommene gesellschaftliche Ordnung ist mit dem Klassenkrieg nach unten praktisch identisch, das gilt auch für die außenpolitische Stabilisierung präsidialer Herrschaft.

Wenn Außenminister Mike Pompeo in seinem Namen einen Politikwechsel in Nahost verkündet, der darin besteht, die völkerrechtswidrige Besiedlung der von Israel besetzten Palästinensergebiete aufzuheben, dann stellt sich Trump damit instinktsicher auf die Seite einer Legalität, die nicht auf zuvor ausgehandelte Vertrags- und Rechtsprinzipien baut, sondern ex post dadurch produziert wird, daß sie durchsetzbar ist. Eine solche Ordnung ließe sich auch als präfaktisch bezeichnen, indem sie gültige Ergebnisse auf der Basis realer Gewaltverhältnisse hervorbringt, anstatt diese halbherzig in Frage zu stellen, um das finale Scheitern der Bemühung um einen Frieden, der sich vom sozialen Krieg unterscheiden ließe, einmal mehr zweckopportun verpacken zu müssen.

Mit einem solchen Präsidenten ist nicht nur autoritärer Staat zu machen, er provoziert mit der Inanspruchnahme quasi diktatorischer Vollmachten auch so viel Widerstand, daß es innerhalb der USA zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen kommen könnte. Dies hat nicht zuletzt Trump selbst angedroht, als er twitterte, daß seine Amtsenthebung durch die Demokraten, zu der es nicht kommen werde, einen bürgerkriegsähnlichen Riß in der Nation erzeuge, von der sich das Land niemals wieder erholen werde. Dem Zynismus seiner Provenienz gemäß läßt sich zumindest voraussagen, daß es mit diesem Amtsinhaber niemals langweilig werden wird.


Fußnote:

[1] Russell Jacoby - Soziale Amnesie, Frankfurt am Main 1978, S. 40

19. November 2019


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