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KULTUR/1048: Burkaverbot - freie Kleider ... (SB)



Die Freiheit, von der im liberalen Rechtsstaat die Rede ist, hat nicht nur Grenzen gesetzlicher Art, sondern wird auch durch vielfältige Konventionen und Zwänge eingeschränkt. Wenn etwa behauptet wird, daß Schülerinnen und Studentinnen, die vollverschleiert zum Unterricht oder zur Vorlesung erscheinen, damit eine freie Willensentscheidung treffen, dann trifft das formal ebensosehr zu, wie es religiös und sozialkulturell in Frage zu stellen ist. Wenn junge Musliminnen sich für das Tragen einer Burka entscheiden, dann tun sie dies meist im Kontext von familiärer Herkunft und tradierter Religiosität. Daß die Durchsetzung der in traditionellen Familienverbänden herrschenden patriarchalen Regeln ohne jeden Zwang auskommen, ist kaum anzunehmen. Islamischen Frauen aber das Tragen der Burka per Gesetz zu verbieten ersetzt einen Zwang durch den anderen und übergeht ihr subjektives Interesse an Integration in ihre Sozialgemeinschaft wie ihre objektive Freiheit zur religiösen Selbstbestimmung voll und ganz.

Warum also den sehr wenigen Frauen, die sich außer Hauses vollständig bedecken wollen, das Leben schwer machen, indem man ihnen untersagt, dies zumindest an bestimmten Orten zu tun? Gerade wer sich in fundamentaler Kritik an den im Islam Frauen auferlegten Geboten übt, sollte Verständnis dafür haben, daß den Betroffenen doppelt Gewalt angetan wird, wenn die ihnen familiär und kulturell auferlegte Pflicht in gesellschaftliche Zutrittsverbote mündet. Nicht wenige der damit ausgegrenzten Frauen werden dadurch genötigt, sich der familiären und patriarchalen Ordnung noch mehr zu unterwerfen, indem sie zu Hause bleiben und durch den Verzicht auf Bildung auf ihre untergeordnete Rolle als Frau festgelegt werden. Schlußendlich ist es Sache der Burkaträgerinnen, die Wahl ihrer Kleidung zu treffen und welcher Konvention oder welchem Zwang auch immer zu entsprechen - auch das ist Ausdruck bürgerlicher Freiheit in der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft, wo die Entscheidung, dem ökonomischen Zwang zum Verrichten von Lohnarbeit zu entsprechen, allgemein als Ausdruck freien Willens behandelt wird.

In der Bundesrepublik wird vor allem von der Neuen Rechten in AfD und Werteunion ein generelles Burkaverbot an Schulen und Universitäten gefordert. Doch auch die Grünen sind gegen solche Forderungen nicht gefeit, wie eine Reaktion ihrer Spitzenkandidatin für die Hamburger Bürgerschaftswahl, Katharina Fegebank, auf eine Entscheidung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichtes zeigt, laut der einer Schülerin das Tragen des Nikab, der das Gesicht fast vollständig verdeckt, nicht verboten werden dürfe. Die frühere Gleichstellungsbeauftragte des Senates und heutige Zweite Bürgermeisterin twitterte daraufhin, daß Burka und Nikab für sie "Symbole der Unterdrückung von Frauen" seien. Die Interventionistische Linke Hamburg habe dies mit der Bemerkung quittiert, Unterdrückung von Frauen immer nur bei anderen zu sehen, sei "kein Feminismus, sondern Rassismus", so ein Bericht der jungen Welt über den Wahlkampf der Grünen Hamburg [1].

Der vor allem auch in Frankreich bei Bekleidungsverboten für Musliminnen vollzogene Schulterschluß linksliberaler und rechter Kräfte ist Ausdruck einer Verbotsmentalität, deren patriarchaler Impetus nicht nur im Paradigma autoritärer Staatlichkeit, sondern vor allem der häufig von Männern ausgehenden Bevormundung von Frauen islamischen Glaubens hervortritt. Wenn weiße Männer nichtweißen Frauen vorschreiben, wie sie sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren haben, sollte die Stoßrichtung dieses Gewaltverhältnisses eigentlich keinerlei weiteren Analyse bedürfen. Wenn Frauen aus feministischen Gründen Nikab und Burka nicht nur als Mittel patriarchaler Unterdrückung brandmarken, sondern gesetzliche Verbote einfordern, machen sie sich zu Handlangerinnen einer im Fall des Vermummungsverbotes bei Demonstrationen oder den Sichtbarkeitsauflagen biometrischer Identifikationstechniken klar hervortretenden Form staatlicher Sozialkontrolle und Ermächtigung.

Religionskritik ist aus emanzipatorischer Sicht unabdinglich, und das insbesondere, wenn es um die patriarchale Anmaßung monotheistischer Glaubensformen geht. Bei mehrheitlich islamischen Gesellschaften ist allerdings zu bedenken, daß ihre Bevölkerungen sehr viel häufiger von kolonialistischer und imperialistischer Gewalt betroffen sind als in mehrheitlich christlichen Gesellschaften, wo, wie im Fall evangelikaler Sekten in den USA, bisweilen mit fanatischem Glaubenseifer das Führen von Aggressionskriegen herbeigepredigt wird. Im Umgang mit muslimischen Minderheiten in weißen christlichen Mehrheitsgesellschaften ist allemal Zurückhaltung geboten, anstatt mit der Forderung nach Durchsetzung normativer Werte ohne jeden Blick auf die sozialökonomischen und klassengesellschaftlichen Bedingungen religiöser Orthodoxie die Bildung von Querfronten zwischen bürgerlich-liberalen IslamkritikerInnen und rechtsradikalen IslamfeindInnen zu befördern.


Fußnote:

[1] https://www.jungewelt.de/artikel/371957.auf-dem-weg-nach-rechts.html

9. Februar2020


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