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KRIEG/1334: Bundesbürger irritieren Regierung mit Kriegsmüdigkeit (SB)



Wenngleich man nicht außer acht lassen sollte, daß es sich bei der ohnehin nur im Dienste taktischen Kalküls zitierten öffentlichen Meinung im wesentlichen um ein mediengeneriertes Konstrukt und damit zunächst nichts weiter als ein Blatt im Wind handelt, mutet sie derzeit doch wie ein Schuß vor den Bug der deutschen Kriegspolitik an. Gerade hat der Bundestag unter mehrheitlicher Beteiligung aller Fraktionen außer der Linkspartei die Ausweitung des Afghanistaneinsatzes glatt über die parlamentarische Hürde gebracht, da legen aktuelle Umfrageergebnisse nahe, daß dies mitnichten dem Willen der Bevölkerung entspricht, wie er sich gegenwärtig darstellt.

In einer Umfrage im Auftrag der ARD ("Deutschlandtrend") sprachen sich 69 Prozent der befragen Bundesbürger dafür aus, daß sich die Bundeswehr "möglichst schnell aus Afghanistan zurückziehen sollte". Das ist der höchste Wert, der bei dieser Frage je gemessen wurde. Hingegen befürworteten nur noch 27 Prozent eine weitere Stationierung deutscher Truppen in Afghanistan. Wie sich überdies herausstellte, fand die Forderung nach einem schnellen Rückzug eine Mehrheit bei den Anhängern aller Parteien, wobei der Bundeswehreinsatz bezeichnenderweise bei den Anhängern der Grünen mit 43 Prozent noch die größte Zustimmung erhielt. (FAZ 02.07.09)

Das ist im Vorfeld der Bundestagswahl ein böses Omen für alle Kriegsparteien, die den unter einem rapiden Verfall der Lebensverhältnisse in der weniger denn je realisierten Wohlstandsgesellschaft leidenden Menschen nun auch noch im Nebenlauf bis zum Urnengang beibringen müssen, warum am Hindukusch für ihr Glück gestritten wird. Obgleich natürlich wenig dafür spricht, daß diese Kontroverse wahlentscheidende Bedeutung erlangen könnte, vermag doch niemand auszuschließen, daß darüber einige wenige Prozentpunkte abhanden kommen, die einem am Ende dummerweise fehlen.

Wie hat man sich bemüht, den Afghanistaneinsatz mit den aberwitzigsten Formulierungskünsten bis hin zur dreisten Behauptung des Verteidigungsministers, dort werde überhaupt kein Krieg geführt, herunterzuspielen. Kaum haben drei weitere tote Bundeswehrsoldaten diese Propaganda unterminiert, da sorgt der Wahlkampf an der Heimatfront dafür, daß die geschlossene Phalanx kurzfristig aufbricht, weil die Parteien einander gegenseitig in die Parade fahren. Deutsche Sicherheitsinteressen in Afghanistan unbedingt, aber anders als die Fraktionskonkurrenz, sagt der CSU-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Uhl. Dieser verkündete in der Neuen Osnabrücker Zeitung, es sei an der Zeit, die Priorität des Afghanistaneinsatzes vom Militär zur Polizei zu verlagern. Ziel müsse ein baldiger Abzug der Bundeswehr sein, möglichst innerhalb der nächsten Jahre. Uhl forderte in diesem Zusammenhang, die Zahl der deutschen Polizeiausbilder am Hindukusch kurzfristig zu verdoppeln. Mindestens 4.000 afghanische Polizisten müßten die deutschen Ausbilder jährlich schulen, da nach Angaben des afghanischen Innenministers jedes Jahr etwa 2.000 bis 3.000 Polizisten getötet werden oder zu den Taliban überlaufen. (Focus 02.07.09)

Wie aus dieser Äußerung klar hervorgeht, ist natürlich auch die CSU nicht gegen den Krieg und ebenso wenig für dessen umgehendes Ende. Da aber das Stichwort "baldiger Abzug" gefallen ist, besteht die Gefahr, daß dies die Bundesbürger wörtlich nehmen könnten. Kein Wunder, daß Außenminister Frank-Walter Steinmeier gegen eine "kopflose Exit-Diskussion" schäumte: Diese sei nicht "verantwortlich für ein Land, das in einer internationalen Verantwortung steht und nicht irgendwer ist. Auf uns wird geschaut." Es gelte nach wie vor der Grundsatz, daß in Afghanistan der "internationale Terrorismus" zurückgedrängt werden müsse, schwor Steinmeier Politik und Gesellschaft auf das unhinterfragbare Glaubensdogma ein. Hatte doch Verteidigungsminister Jung erst vor wenigen Tagen den zeitlichen Rahmen für den Einsatz mit fünf bis zehn Jahren angegeben und Kanzlerin Angela Merkel gestern im Bundestag erklärt, sie sehe keinen Anlaß für einen Rückzug: "Wir werden vor dieser Aufgabe nicht weglaufen, sondern werden sie Schritt für Schritt erfüllen."

Da derzeit mehr als zwei Drittel der Deutschen für einen Abzug sind, ist insbesondere die Bundesregierung bemüht, das Thema möglichst aus dem Wahlkampf heraushalten. Oder um mit dem aus Afghanistan abberufenen obersten Befehlshaber, David McKiernan, zu sprechen: "Eigentlich machen wir eine guten Job, aber wir gewinnen nicht in der Wahrnehmung". Wenngleich man sich durchaus darüber streiten kann, wie gut dieser Job aus wessen Sicht ist, muß man dem Vielsternegeneral doch in der Einschätzung recht geben, daß sich der schönste Krieg nicht auf Dauer durchhalten läßt, wenn die Unterstützung in den Heimatländern der Aggressoren wegbricht. "Wenn wir nicht zu den Taliban gehen, dann kommen die Taliban zu uns", behauptete jüngst der deutsche Verteidigungsminister. Daß sich das Schicksal Deutschlands auf fremdem Boden erfülle, hören wir nicht zum ersten Mal. Fragt sich nur, ob wir tatsächlich nichts dazugelernt haben.

3. Juli 2009