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KRIEG/1345: Grenzenlose Aufstandsbekämpfung (SB)



Verteidigungsminister Franz Josef Jung hat sich mit seiner Forderung nach Änderung des Grundgesetzes zum Zwecke der Übertragung polizeilicher Vollmachten auf die Bundeswehr zwar eines medial sehr sichtbaren Anlasses bedient, doch der Koalitionspartner SPD will der Union nicht zusätzlichen Schub im Wahlkampf verleihen und entzieht seinem Projekt die Unterstützung. Die auch von den Oppositionsparteien geleistete Kritik an diesem Vorstoß erweckt jedoch zu Unrecht den Eindruck, daß dieser Dauerbrenner staatsmächtiger Erregung nicht doch noch eines Tages zur Explosion gelangen wird. Jungs Bemerkung in Bild am Sonntag, man solle die Diskussion "nicht nur mit Blick auf das Ausland zu führen, sondern auch mit Blick auf bestimmte Situationen im Innern", ergeht sich aus gutem Grund in einer so unbestimmten wie vielsagenden Andeutung.

Was könnte die öffentliche Sicherheit und den Staat so stark erschüttern, daß die Bürger sich nicht mehr auf den gut ausgebauten Apparat aus diversen Polizei- und Sicherheitsbehörden verlassen können? Gerade das in diesem Zusammenhang hartnäckig heranzitierte Szenario terroristischer Bedrohung bietet keinen Handlungsbedarf für die Streitkräfte, wurde doch allen bisher angeblich und tatsächlich in der Bundesrepublik erfolgten Anschlagsplanungen mit konventioneller Polizeiarbeit und internationaler Zusammenarbeit der Geheimdienste entgegengetreten. Welche Relevanz auch immer den einzelnen Fällen zukommen mag, ihre Abwehr schreiben sich zivile Behörden gut, die sich unter Wert verkauften, wenn sie nun mit Jung und anderen Unionspolitikern nach dem Militär riefen.

Die im Rahmen der Debatte um das Luftsicherheitsgesetz bemühte Theorie einer Bedrohung nach dem Vorbild des 11. September 2001, zu deren Abwehr es Mittel bedürfe, über die nur die Bundeswehr verfügt, hat gezeigt, daß die damit angestrebte Ermächtigung zum Töten unschuldiger Menschen einen Paradigmenwechsel im staatlichen Selbstverständnis zur Folge hätte, der im Zweifelsfall eine sehr viel größere Bedrohung der Gesellschaft darstellt als der hypothetische Ernstfall eines solchen Angriffs. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Proportion erkannt und der verfassungsrechtlichen Beschwerde gegen den Gesetzesentwurf entsprochen. Nun sollen Geiselnahmen durch Piraten leisten, was nicht einmal die Übertragung von 9/11 auf deutsche Verhältnisse vermochte, obwohl zu Recht eingewandt wird, daß dies längst ohne eine Änderung des Grundgesetzes möglich wäre.

Die Bundeswehr ist mit ihren ungleich gröberen Gewaltmitteln immer dort gefragt, wo beim Hobeln Späne fliegen, wo ein beim Anstreben eines Ziels erreichtes hohes Ausmaß an Zerstörung billigend in Kauf genommen wird. Warum also sollte das staatliche Gewaltmonopol mit derartigen Mitteln im eigenen Land aufgerüstet werden? Die Standardantwort auf diese Frage lautet, daß sich die Unterscheidung zwischen äußerer und innerer Sicherheit aufgrund der hochgradigen Interdependenz der einzelnen Gesellschaften und Volkswirtschaften im Rahmen der Globalisierung und des asymmetrischen Charakters der modernen Kriegführung überlebt habe. Die Behauptung, die Taliban planten vor der Bundestagswahl Anschläge in der Bundesrepublik, um den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan erzwingen zu können, wurzelt ebenso in der Doktrin dieses erweiterten Sicherheitsbegriffs als die zur permanenten Gefahr hochgeschriebene Verletzlichkeit komplex organisierter Industriestaaten durch Angriffe auf neuralgische Punkte ihrer Infrastruktur.

Mit der Militarisierung der Gesellschaft durch die Einrichtung permanenter Garnisonen von Einsatzkräften der Bundeswehr in Deutschland und der Anwesenheit bewaffneter Soldaten auf den Straßen etwa bei Großdemonstrationen von Kriegsgegnern soll der vermeintliche Sachzwang, die Sicherheit der Bundesrepublik fernab ihrer Grenzen zu verteidigen, zur nicht in Frage stellenden Gewißheit verdichtet werden. Die Allgegenwart des Krieges fungiert gewissermaßen als Beweis seiner Notwendigkeit, und wer dagegen aufbegehrt, macht sich als Parteigänger des Feindes schuldig. Diese Verschärfung der Bedrohungslage wäre praktisch in doppeltem Sinne selbstinduziert, zum einen durch die offensive Kriegführung der NATO in Afghanistan, zum andern durch den dadurch provozierten Dissens in der Bevölkerung, der im Ausnahmezustand des Krieges nicht mehr als demokratische Willensbekundung akzeptiert, sondern als Bedrohung der Sicherheit unterdrückt würde.

Der vor einigen Monaten mit der Debatte um das Ausbrechen sozialer Unruhen aufgekommene und für die Planung militärisch erwirkter Notstandsmaßnahmen ungleich relevantere Anlaß sind gesellschaftliche Widersprüche, die sich aus der anwachsenden Verarmung und Verelendung der Bevölkerung ergeben. Hier erinnnert der Einsatz des Militärs an das klassische Szenario diktatorischer Entwicklungen, die mit der Gefährdung des Staats durch den Volkssouverän selbst begründet werden. Wenn die Mehrheit der Bevölkerung gegen die Minderheit der Kapital- und Funktionseliten aufbegehrt, dann schlägt die Stunde der Exekutive. Die Schaffung einer Bundespolizei, die Zuweisung von Strafverfolgungskompetenzen an das Bundeskriminalamt, die Etablierung der europäischen Polizeibehörde Europol und die geplante Aufstellung staatenübergreifend einsetzbarer Sondereinheiten zur Aufstandsbekämpfung im Rahmen der EU dokumentieren die wachsende Konzentration exekutiver Kompetenzen auf übergeordneten Ebenen der Administration. Auf diese Weise wird Entwicklungen vorgebeugt, bei denen sich ganze Gemeinden und Regionen Regierungsanordnungen widersetzen könnten oder Arbeitskämpfe die Funktionsfähigkeit des Systems in Frage stellten.

Solche Möglichkeiten mögen unwahrscheinlich erscheinen, sie bilden jedoch die Grundlage des verfassungsrechtlichen Verbots des Einsatzes des Militärs gegen die eigene Bevölkerung. Der Usurpation der Macht von Interessengruppen, die Kontrolle über die Exekutive besitzen und die sich mit Hilfe von Notstandsvollmachten in eine quasidiktatorische Machtposition manövrieren, kann durchaus auf leisem Fuß erfolgen. Wenn einmal die Voraussetzungen geschaffen sind, daß die Durchsetzung herrschaftlicher Gewalt auf unumkehrbare Weise erfolgt, dann ist es zu spät, verfassungsrechtliche Bedenken geltend zu machen.

10. August 2009