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KRIEG/1354: Wachsender Druck auf Iran ... Bundesregierung schürt Kriegsgefahr (SB)



Spätestens zu der am 23. September beginnenden UN-Generalversammlung, laut Forderung der Sechsergruppe aus den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats plus Deutschland allerdings schon am 15. September, soll der Iran auf das Gesprächsangebot des US-Präsident Barack Obama eingehen, um nicht eine weitere Verschärfung der Sanktionen des UN-Sicherheitsrats zu riskieren. Dieses Gespräch ist allerdings nicht ergebnisoffen, sondern an Bedingungen konditioniert, die erklären, warum der Iran mit internationalem Druck zu diesem Schritt genötigt wird. Die Regierung in Teheran soll sich bereiterklären, die Urananreicherung einzustellen. Im Gegenzug ist von Handelserleichterungen die Rede, während eine schon früher verlangte Sicherheitsgarantie, die das Land vor einem Angriff anderer, bereits atomar bewaffneter Staaten schützt, auf sich warten läßt. Die iranische Regierung hat zwar die Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) verbessert, wie von der Wiener Behörde attestiert wurde, dennoch hält die IAEA an dem Vorwurf fest, der Iran habe nicht in jeder Beziehung für den nichtmilitärischen Charakter seines Nuklearprogramms Rechenschaft abgelegt.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel trägt zu dem gegen das Land aufgebauten Druck bei, indem sie Teheran mit weiteren Sanktionen für den Fall droht, daß es sich diesem Ultimatum nicht beugt. Dies tat sie Donnerstag letzter Woche auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in Berlin, der dort seinerseits den Wortlaut der US-Außenministerin Hillary Clinton aufgriff und das Verhängen "verletzender Sanktionen" ("crippling sanctions") über den Iran verlangte, um das Land von seinen angeblichen atomaren Rüstungsplänen abzuhalten. Am gestrigen Montag erneuerte Merkel in Berlin diese Drohung zusammen mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy im Rahmen einer gemeinsamen Stellungnahme zum Iran. In beiden Fällen kündigte sie an, daß diese Sanktionen "im Energiebereich" liegen könnten.

Gemeint sind die Benzinimporte, auf die der Iran dringend angewiesen ist, weil er aufgrund ungenügender Raffineriekapazitäten 40 Prozent des im Lande verbrauchten Treibstoffs einführen muß. Diese von US-Präsident Obama bereits im Wahlkampf vor einem Jahr vorgeschlagene Sanktionsstrategie bestätigt die häufig in Zweifel gezogene Angabe der iranischen Regierung, daß sie auf die zivile Nutzung der Atomenergie aus volkswirtschaftlichen Gründen angewiesen sei. Darüberhinaus gehört der Iran mit über vier Millionen Barrel am Tag zu den großen Ölförderstaaten, gleichzeitig verfügt er über den zweitgrößten Erdgasbestand der Welt.

Das Verhängen eines Energieembargos gegen den Iran bedeutete, so Rußland und China als Handelspartner des Landes dieser von den USA, Britannien, Frankreich und Deutschland verlangten Maßnahme zustimmten, eine erhebliche Verschärfung der Gangart, die die Sechsergruppe gegenüber dem Iran anschlägt. Wie beim Wirtschaftsembargo gegen den Irak wären militärische Blockademaßnahmen erforderlich, mit denen bereits ein informeller Kriegszustand eröffnet würde. Gegenmaßnahmen des Irans könnten in Angriffen auf die Marineeinheiten bestehen, die das Embargo im Persischen Golf durchsetzen, in einer Blockade des engen Gewässers, womit der Rohölnachschub für die EU und China eingeschränkt würde, in einer Intensivierung der Angriffe schiitischer Gruppen im Irak auf Einrichtungen der US-amerikanischen und britischen Besatzungstruppen, in subversiven Aktionen gegen die NATO in Afghanistan und im Abbruch der Handelsbeziehungen zu Staaten, die diese Sanktionen mittragen.

Sollte ein solches Embargo längere Zeit anhalten, dann wären die wirtschaftlichen Folgen für die EU-Bürger durch die zu erwartende Verteuerung des Benzins beträchtlich. Neben derartigen Sanktionen ohnehin innewohnenden Kriegsgefahren würde dies auf beiden Seiten, im Iran wie in der EU, die Positionen verhärten und zu einer finalen Konfrontation treiben. Da die Falken in Washington und Tel Aviv nur darauf warten, die Gelegenheit zur Abrechnung mit der zuletzt durch die Niederschlagung der Oppositionsbewegung diskreditierten Regierung in Teheran beim Schopf zu packen, wäre ein Krieg kaum mehr zu vermeiden.

Die von den gleichen Staaten, die die Verschärfung in den Beziehungen zum Iran vorantreiben, hofierte Oppositionsbewegung wird es bei einer solchen Entwicklung um so schwerer haben, nicht als fünfte Kolonne der Aggressoren zu erscheinen. Wie bereits im Irak vorexerziert erzwingt die sogenannte internationale Gemeinschaft so einen inneren Zusammenhalt, den das herrschende Regime aus eigener Kraft nicht herzustellen in der Lage ist. Wenn die innere Opposition durch eine äußere Bedrohung gelähmt wird, dann geht es diesen Kräften nicht um die Befreiung der Bevölkerung von einem autokratischen Regime, sondern um deren fortgesetzte Unterwerfung, auf das einer von den Eroberern eingesetzten Nachkriegsregierung die Bedingungen der Neuen Weltordnung diktiert werden können.

Es ist mithin keine Lappalie, wenn die Bundeskanzlerin Forderungen erhebt, die in ihrer destruktiven Folgewirkung kaum auszuloten sind. Ob Merkel es für gelungene Wahlkampfwerbung hält, dem Iran mit einem Energieboykott zu drohen, ob sie die Gültigkeit ihres Diktums, die Sicherheit Israels sei Bestandteil Staatsräson der Bundesrepublik, bekräftigen oder einfach den nach wie vor einflußreichen neokonservativen Eliten in Washington zuarbeiten will, für die Bundesrepublik könnte sich diese Politik weit verhängnisvoller auswirken als die Beteiligung am Afghanistankrieg.

So dürfte die Strategie, mehr Druck gegen den Iran aufzubauen, um Israel von einem angeblichen Präventivangriff auf das Land abzuhalten, so oder so blutig enden. Hier wäre eher vonnöten, der israelischen Regierung klar und deutlich zu sagen, daß sie für einen solchen Fall völkerrechtliche Konsequenzen zu befürchten habe. Obwohl Israel bereits mehrmals bewiesen hat, daß es militärisch in eigener Ermächtigung ohne jede Rücksicht auf internationales Recht handlungsfähig ist, obwohl das Land Atomwaffen besitzt und in Form der von Deutschland gelieferten U-Boote über Trägersysteme verfügt, die einen Angriff direkt vor die iranische Küste möglich machen, obwohl es durch diese Overkillkapazität wie durch US-amerikanische Sicherheitsgarantien gegen eine iranische Aggression weitgehend geschützt ist, werden der Regierung in Tel Aviv keinerlei Auflagen hinsichtlich ihres Säbelrasselns gemacht.

Auf diesem Bein ist die sogenannte Sechsergruppe so schwach, wie sie mit dem andern Stärke gegenüber dem Iran demonstriert. Diesem Mißverhältnis, das sich aus den geostrategischen Interessen der NATO-Staaten speist, hat die Regierung in Tel Aviv ein aggressives Handlungspotential zu verdanken, dem sich im Zweifelsfall nicht einmal die Regierung in Washington in den Weg stellt. Das behauptet jedenfalls Micah Zenko von der Strategieschmiede Council on Foreign Relations (Los Angeles Times, 30.08.2009), wenn er prognostiziert, Israel würde für den Fall, daß der Iran nicht einlenkt und auch keine wirkungsvollen Sanktionen gegen ihn zustandekommen, das Land in eigener Regie angreifen.

Anhand einschlägiger historischer Beispiele belegt Zenko, daß Israel immer wieder militärisch losgeschlagen hat, ohne sich zuvor mit der US-Regierung abzusprechen. Die Regierung in Tel Aviv könne auch durch Einsprüche Washingtons nicht davon abgehalten werden, das ihrer Ansicht nach Notwendige zu tun. Zwar würde die US-Regierung nach einem solchen Angriff öffentlich ihre Bedenken kundtun, aber das enge Verhältnis zwischen den USA und Israel ginge auf jeden Fall unbeschadet aus einer solchen Eigenmächtigkeit Israels hervor, prognostiziert der CFR-Analyst.

Von daher kann die unterstellte Eigenmächtigkeit Israels als bloßer Schachzug zum Erwirtschaften größerer Handlungsfähigkeit in Washington und Tel Aviv verstanden werden. Wenn ein Aggressionsakt Israels folgenlos bleibt, dann hat man sich dort wie in den USA völkerrechtlicher Bedingungen entledigt, die internationales Handeln berechenbar machen sollen. Das wiederum vergrößert das Gewicht materieller Durchsetzungskraft gegenüber staatlichen Akteuren, die schwächer sind oder das Völkerrecht respektieren.

In jedem Fall ist die Weltgemeinschaft bei der Nötigung des Irans zur Einstellung der Urananreicherung, die anhand besonderer Rechenschaftspflichten verifiziert werden muß, durch vier NATO-Staaten, die ihre eigenen Interessen in der Region des Nahen und Mittleren Ostens verfolgen, damit konfrontiert, daß Staaten, die sich weder an den atomaren Nichtverbreitungsvertrag binden noch das Gewaltverbot der UN-Charta einhalten, auf eine Weise ermutigt und bevorteilt werden, die die Kriegsgefahr insgesamt erhöht. Die Rolle der Bundesrepublik in diesem Geschehen widerspricht allem, was man nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, dessen Beginn vor 70 Jahren heute gedacht wird, bekundet und gelobt hat.

1. September 2009