Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1367: Ischinger erhebt Anspruch auf europäische Teilhaberschaft an Friedenstrophäe (SB)



Als Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz gehört der ehemalige deutsche Botschafter in Britannien und den USA, Wolfgang Ischinger, zum Spitzenpersonal des Auswärtigen Amts. Wenn er im Unterschied zu Kommentatoren, die die Verleihung des Friedensnobelpreises an Barack Obama als ungerechtfertigt kritisieren, den operativen Ertrag dieser Würdigung hervorhebt, dann meint er nicht, daß es deswegen zu keiner Aufstockung der US-Truppen in Afghanistan käme. Obama werde durch den Preis auf jeden Fall darin bestärkt, "den Konflikt in Afghanistan möglichst rasch zu einem Ergebnis zu führen" (Deutschlandfunk, 10.10.2009). Indem Ischinger die Notwendigkeit einer Truppenverstärkung aus militärischer Sicht bestätigt und die sich daran voraussichtlich entzündende Kritik, wie ein Friedensobelpreisträger so etwas tun könne, als eine Art unvermeidliches Übel darstellt, gibt er zu erkennen, daß Friedenspreis und Kriegführung durchaus zusammengehen.

Ohnehin viel wichtiger sei, so der Diplomat unter Verweis auf die Begründung des Nobelpreiskomitees, daß mit dieser Würdigung die Aufforderung an alle anderen, also auch die europäischen Verbündeten der USA, verbunden sei, den US-Präsidenten beim Erreichen seiner Ziele zu unterstützen. Hätte man früher in Europa nicht die Möglichkeit gehabt, eine Entscheidung der US-Regierung zu beeinflussen, so hätte sich diese Situation heute grundlegend verändert. Ischinger spricht von der "Verpflichtung", daß Obamas "hehre Ziele" mit Unterstützung der EU und Bundesrepublik verwirklicht werden. Er versteht die Verleihung des Friedensnobelpreises an den Präsident der USA als "Anerkenntnis, daß es mit der einsamen Herrschaft der einen Weltmacht vorbei ist".

Ischinger hatte bereits während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in der Tageszeitung The Guardian (20.03.2007) einen Meinungsbeitrag veröffentlicht, in dem er angesichts der verfallenen Legitimität und Glaubwürdigkeit der USA globale Führerschaft für die Europäische Union einforderte. Es sei Zeit für einen "europäischen Moment", so Ischinger in Anspielung auf den "unipolaren Moment", den der führende US-Neokonservative Charles Krauthammer 1990 proklamierte, um den uneingeschränkten Anspruch seines Landes auf globale Handlungsfreiheit zu unterstreichen.

Dieser Moment mag immer noch nicht gekommen sein, doch Ischinger versäumt keine Gelegenheit, dabei mitzuhelfen, die EU in eine Situation zu manövrieren, in der ihre Fähigkeit zu aggressivem kriegerischem Handeln herausgefordert und damit gestärkt wird. In der Einschätzung, daß das Nobelpreiskomitee Obama nicht etwa durch die Blume dazu auffordert, die Besatzungstruppen aus Afghanistan abzuziehen, sondern ihn mit diesen Vorschußlorbeeren viel mehr zu entschiedenerem Handeln in Richtung auf die siegreiche Beendigung des Krieges drängen will, liegt Ischinger allemal richtig. Friedenspolitik ist in wachsendem Ausmaß operative Kriegführung, wobei man sich der Logik nicht anders zu bewältigender Sachzwänge wie der angeblichen Herausforderung des Terrorismus bedient. Mit der jetzt erfolgten Würdigung wird insbesondere die Kriegführung in Afghanistan, zu der sich Obama kompromißlos bekennt, als notwendige Maßnahme zur Beendigung des aggressiven und kriegerischen Treibens anderer Akteure legitimiert.

Unter anderem Vorzeichen hätten die Osloer Juroren auch Taliban-Chef Mullah Omar mit Hilfe ihres Preises dazu auffordern können, die aus seiner Sicht nicht minder gerechte Sache des Widerstands schnell und siegreich zuendezubringen. Da alle Kriegsparteien in Afghanistan von der Legitimität ihres Tuns überzeugt sind und da Frieden in westlichen Konzepten der Konfliktlösung keineswegs die Abwesenheit gewaltsamer Durchsetzung meint, verkörpert die Entscheidung des Nobelpreiskomitees, die nur einen Tag, nachdem der UN-Sicherheitsrat die Mitgliedstaaten zu größerem Engagement in diesem Krieg aufgefordert hatte, bekanntgegeben wurde, die aktive Parteinahme für die globale Ordnungspolitik der NATO.

Diese ist, wie der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz zweifellos bejahen wird, ohne militärische Interventionen nicht durchzusetzen. Neigten die Osloer Juroren früher dazu, Politiker ursprünglich verfeindeter Kriegsparteien nach erfolgreichem Verhandeln eines Friedensschlusses gemeinsam mit dem Preis zu bedenken, um den vorbildlichen Charakter ihres Einsatzes zu würdigen, so ehren sie heute den Präsidenten des einen Landes, das über die mit Abstand größte Militärmacht der Welt verfügt und mit dieser andere Länder überfällt und besetzt.

Wenn ein deutscher Außenpolitiker wie Ischinger der US-Führung die Trophäe des wichtigsten Friedenspreises nicht ungeteilt überlassen will, sondern Anspruch auf Teilhabe an der Beherrschung der Welt erhebt, dann zeigt sich, daß eine PR-Maßnahme wie diese Preisverleihung in ihrer Wirkung als Legitimationsfaktor für imperialistische Übergriffe nicht unterschätzt werden sollte. Von einer Militarisierung des Friedensnobelpreises zu sprechen wäre dennoch übertrieben, hat diese doch schon vor langer Zeit begonnen, indem Politiker wie etwa Henry Kissinger ausgezeichnet wurden, deren Entscheidungen zum Tod von Millionen führten.

10. Oktober 2009