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KRIEG/1374: Kolumbiens Nachbarn im Visier der US-Streitkräfte (SB)



Beim sogenannten Antidrogenkampf der Vereinigten Staaten handelt es sich in erster Linie um ein komplexes politisches, juristisches, militärisches und polizeiliches Instrumentarium der Zugriffssicherung im Kontext einer globalen Innenpolitik. Das weltpolizeiliche Agieren der Supermacht negiert jegliche Schranken seiner Interventionsgewalt wie territoriale Integrität, nationale Souveränität oder innere Angelegenheiten anderer Staaten, indem es unter dem Vorwand, der grenzüberschreitende internationale Drogenhandel erfordere eine ebensolche Ermittlung, Bekämpfung und Strafverfolgung jegliche Einschränkungen und Hindernisse für illegitim erklärt und auszuhebeln sucht.

Die alljährlich vorgenommene Zertifizierung, bei der die US-Administration kraft eigener Übermacht darüber befindet, ob andere Staaten genug zur Bekämpfung des Drogenhandels getan haben oder für unterlassene Anstrengungen abgestraft werden sollen, ist eine so unverhohlene Farce, daß dies selbst bürgerlichen Kommentatoren aufstößt. Da werden befreundete Länder, in denen das Drogengeschäft bekanntermaßen schwindelerregende Höhen erklimmt, problemlos freigesprochen, während mißliebige Regierungen unbesehen mit weiteren Sanktionen wie stornierten Krediten und Hilfsgeldern rechnen müssen.

In Kolumbien galt die vorgebliche Eindämmung der Produktion von Kokain stets der Bekämpfung der Guerilla, was anfangs geleugnet und später offen eingeräumt wurde. Der "Plan Kolumbien" macht die verbündete Regierung in Bogotá zu einem der weltweit größten Empfänger US-amerikanischer Militärhilfe samt dem Auftrag, mittels der milliardenschweren Aufrüstung den jahrzehntelangen Krieg mit der Vernichtung der Rebellen zu beenden. Dabei geht es sowohl um die physische Eliminierung der Insurgenz, die der kolumbianischen Staatsgewalt und dem Komplex überstaatlicher Herrschaftssicherung die Stirn bietet, als auch die Ausrottung der Option gesellschaftlicher Umwälzung als solcher. Revolutionäre Gesinnung soll zu einem anachronistischen und für jedes vernünftige Denken irrelevanten und abwegigen Konstrukt diskreditiert werden, das als pathologisches Erscheinungsbild zu werten ist. Da die eskalierenden Hungerrevolten der kommenden Jahre und Jahrzehnte die strategischen Entwürfe weltweiter Sicherheitspolitik bestimmen werden, ist es für die Überlebenssicherung der Eliten von fundamentaler Bedeutung, den Schrei nach Reis, Mais oder Brot seiner Legitimität zu entkleiden.

Was der US-Botschafter in Kolumbien, William Brownfield, und der kolumbianische Außenminister, Jaime Bermudez, soeben in einer privaten Zeremonie unterzeichnet haben, ist ein weiterer Schub expandierender Militärpräsenz Washingtons in dieser Weltregion. Er gilt dem Kampf gegen die Guerilla und der Stabilisierung Kolumbiens als Brückenkopf in einem südamerikanischen Umfeld, das der Hegemonialmacht USA mit wachsender Skepsis begegnet und mitunter die Gefolgschaft erklärtermaßen verweigert. Die Drohung richtet sich unmittelbar gegen die Nachbarländer Venezuela und Ecuador, doch letzten Endes gegen alle Nationen, welche die unschätzbaren Sourcen dieser Weltregion gegen die Ausplünderung durch die führenden Mächte zu verteidigen trachten.

Laut offizieller Erklärung des kolumbianischen Außenministeriums gewährt das Abkommen den US-Streitkräften für die Dauer von zehn Jahren erweiterten Zugang zu sieben Militärstützpunkten. Dabei soll die vom US-Kongreß gesetzlich festgelegte Obergrenze von maximal 800 Soldaten und 600 zivilen Dienstleistern nicht überschritten werden. Die Vereinbarung respektiere die Prinzipien beiderseitiger Souveränität, territorialer Integrität und Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten, heißt es weiter. Wie Bermudez in einem Rundfunkinterview behauptet hat, stehe das militärische Personal der USA auf diesen Stützpunkten unter kolumbianischem Befehl. Dies angesichts vermehrter Präsenz von Truppen einer fremden Macht, die in Kolumbien Krieg führen und unter anderem nahe den Grenzen zu Venezuela und Ecuador sowie an der Karibik stationiert werden, zu behaupten, ist absurd. Verkehrt man diese Propagandaverlautbarung in ihr Gegenteil, weiß man im Prinzip, worum es bei diesem Abkommen geht. Venezuelas Präsident Hugo Chávez hatte bereits im August die diplomatischen Beziehungen zu Kolumbien wegen der wachsenden US-Militärpräsenz im Nachbarland, die er als Vorbereitung einer Invasion verurteilte, eingefroren. Andere Regierungen wie die Brasiliens und Chiles verliehen ebenfalls ihrer Sorge Ausdruck.

Wenig vertrauenerweckend ist in diesem Zusammenhang, daß Präsident Alvaro Uribe dem Parlament das Abkommen nicht zur Entscheidung vorgelegt hat. Er verwarf damit die Empfehlung des Staatsrats, der nach einer Prüfung des Vertragstextes gravierende Nachteile für Kolumbien moniert hatte. Darüberhinaus wurde der Wortlaut des Abkommens auch nach dessen Unterzeichnung nicht veröffentlicht, was es vorerst zu einem Geheimvertrag macht.

Die Abwiegelung, das von der US-Regierung bereits mit 46 Millionen Dollar gepolsterte Abkommen über erweiterte Nutzungsrechte der sieben Stützpunkte sei im Grunde nichts weiter als eine Fortführung des Plan Colombia, in dessen Rahmen Bogotá seit dem Jahr 2000 rund 6 Milliarden Dollar Rüstungshilfe erhalten hat, läßt Schlimmstes befürchten. George Withers vom Washington Office on Latin America, der die Vertragsverhandlungen beobachtet hat, spricht von einem "Abkommen ohne Grenzen" (www.csmonitor.com 31.10.09). Durchgesickerten Einzelheiten zufolge ermächtigt es die US-Militärs, von den Stützpunkten aus Operationen über die Landesgrenzen hinaus durchzuführen, obwohl Außen- und Verteidigungsministerium beteuern, daß dergleichen überhaupt nicht vorgesehen sei. Es bestehe eben ein riesengroßer Unterschied zwischen einer Absichtserklärung und einer Autorisierung, da erstere angesichts der zehnjährigen Laufzeit des Vertrags früher oder später Schall und Rauch sein werde.

Nachdem der kolumbianische Verteidigungsminister Gabriel Silva dieser Tage in Washington gemeinsam mit seinen US-amerikanischen Partnern dem Vertragstext den letzten Schliff gegeben hatte, versicherte er den interessierten Pressevertretern, daß dieses Abkommen keine geopolitische oder strategische Konnotation beinhalte, die über eine effektivere Bekämpfung des Drogenhandels hinausgeht. Und das war noch nicht einmal gelogen, sofern man den "Antidrogenkampf" im eingangs angedeuteten Sinn auf seine Wurzeln zurückführt.

31. Oktober 2009