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KRIEG/1426: Merkel zu Afghanistan ... nichts Neues, aber das mit entschiedener Widersprüchlichkeit (SB)



Nichts Neues von der Bundeskanzlerin zum Thema Afghanistan, das jedoch in Form einer Durchhalterede, in der die fadenscheinigste Begründung für die Beteiligung der Bundeswehr an der Besetzung Afghanistans, die Verteidigung der Sicherheit Deutschlands, mit frischer Tarnfarbe versehen wurde. Nicht darüber zu sprechen, daß die NATO das Land mit Gewalt okkupiert, gelingt nur, wenn der dagegen gerichtete Widerstand kriminalisiert wird, ohne allerdings einzugestehen, daß Verbrechensbekämpfung Angelegenheit der Polizei ist. Dem Widersinn, sich an dem von den USA nach dem 11. September 2001 ausgerufenen "Globale Krieg gegen den Terrorismus" zu beteiligen und gleichzeitig zu behaupten, man führe keinen Krieg, bedarf eines semantischen Fächertanzes, dessen Akteure die Blößen ihrer Widersprüchlichkeit krampfhaft bedeckt halten, während das kriegsbereite Publikum jedesmal, wenn das K-Wort aufblitzt, applaudiert, als ob es sich um einen Befreiungsschlag handelte.

"Merkels Bekenntnis zum Krieg" lobt Bild.de (22.04.2010) denn auch das rhetorische Manöver der Kanzlerin, den prototypischen Soldaten im "Einsatz" vorzuschieben, der es "Bürgerkrieg oder einfach nur Krieg" nennt, weil er in Anbetracht der Gefahr nicht in "juristischen Begrifflichkeiten" denke, sondern befürchte, "daß derjenige, der völkerrechtlich korrekt vom nichtinternationalen bewaffneten Konflikt spricht, seine Situation zu verharmlosen versucht". "Niemand von uns verharmlost!" hält Merkel der Unterstellung entgegen, Bundesregierung und Bundestag wüßten den Blutzoll der Parlamentsarmee nicht angemessen zu würdigen. So beruft sich die Kanzlerin auf ihren Außenminister, der am 10. Februar "die Einsatzsituation von ISAF" zum "bewaffneten Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts" qualifizierte, denn das sei das, "was landläufig als kriegerische Handlung oder Krieg bezeichnet wird".

Tatsächlich zog sich Guido Westerwelle damals aus der Affäre, indem er sich in seiner Rede nicht darauf festlegte, ob es sich um einen "internationalen" oder "nichtinternationalen bewaffneten Konflikt" handelte. Eben diese Offenlassung veranlaßte den Oppositionsführer der SPD in der Debatte nach der Regierungserklärung Merkels, Klärungsbedarf zu reklamieren. Während Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg von einem Krieg spreche, vertrete Außenminister Guido Westerwelle die Auffassung, daß es sich nicht um einen Krieg handele, so Sigmar Gabriel über das Problem Deutschlands, in dieser Hinsicht noch nicht zu anderen imperialistischen Staaten aufgeschlossen zu haben. Das Elend seiner Partei, dem ISAF-Mandat, das laut Merkel "über jeden vernünftigen völkerrechtlichen oder verfassungsrechtlichen Zweifel erhaben" sei, stets zuzustimmen, zeigt sich nicht nur daran, daß zahlreiche Völkerrechtler ganz anderer Ansicht als die Kanzlerin sind und ihr rot-grüner Vorgänger Gerhard Schröder erst zu einem Akt der Nötigung, der Kopplung der Vertrauensfrage mit der Zustimmung zur deutschen Kriegsbeteiligung, greifen mußte, um es zu erwirken. Gabriel erklärt, anders als einige Journalisten in den letzten Tagen behaupteten, daß die SPD-Fraktion das Mandat keineswegs ändern wolle, "weder semantisch, noch faktisch". Er bestätigt damit, daß es seiner Partei um die Machbarkeit des Krieges unter dem Vorzeichen der Friedenserzwingung geht, man also die bei der Bundesregierung angemahnte Klarheit gerade nicht anstrebt, weil dies die militärische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik einschränkte und Wasser auf die Mühlen der Partei Die Linke wäre.

Um so mehr fordert die Kanzlerin ostentativ die moralische Unterstützung der Soldaten ein. Mit einem kurzen Ausflug in die Niederungen des Gefechtsfelds, auf dem ein Bundeswehrsoldat seinen Spähtrupp aus einem "Hinterhalt der Taliban befreite" und dafür keinen anderen Lohn verlange als die Anerkennung und den Respekt der Bundesbürger, illustriert Merkel die erste Bürgerpflicht: "Das, was unsere toten Soldaten für uns getan haben, hat im Mittelpunkt unseres öffentlichen Andenkens zu stehen." Das, was sie anderen im Namen von Interessen, die nicht die ihren sein müssen, antun, soll bei allen pflichtschuldigen Verweisen auf die Betroffenheit der afghanischen Bevölkerung nicht im Vordergrund stehen. Einen Gutteil ihrer etwa 25minütigen Redezeit verwendet die Kanzlerin auf symbolpolitische Figuren, die keinen anderen Zweck verfolgen, als erklärte Kriegsgegner mit dem Verdacht zu belasten, sie gingen über die Leichen der gefallenen Soldaten. Weil mit der Forderung nach einem schnellen Abzug die absehbare Eskalation gestoppt werden soll, während die angeblich am Hindukusch übernommene Verantwortung eine Lizenz zum angeblich präventiven - und damit auch für die eigene Seite verlustreichen - Töten eines Gegners darstellt, der die Bundesrepublik niemals angegriffen hat, verhält es sich geradewegs andersherum.

Die Bundeskanzlerin legt unter Verweis auf die Rede des US-Präsidenten Barack Obama zur Verleihung des Friedensnobelpreises, in der er am 10. Dezember 2009 erklärte, "die Mittel des Krieges spielen eine Rolle in der Erhaltung des Friedens", ein Bekenntnis zum Krieg als Mittel der Politik ab. Es geht Obama nicht um die Verteidigung gegen einen Aggressor, von dem niemand mehr weiß, ob er noch in einer afghanischen Berghöhle sitzt und seine sinistren Fäden spinnt, sondern um die Durchsetzung eines Hegemonialanspruchs, der mit dem Begriff des Friedens notdürftig chiffriert ist. Dieser Frieden bedeutet für Afghanistan permanenten Bürgerkrieg bei massivem sozialen Elend. Der vielbeschworene Wiederaufbau, den Merkel als Erfolg der zivilgesellschaftlichen Entwicklung des Landes anpreist, wird schon durch die Tatsache konterkariert, daß es heute laut UN-Angaben in der Rangfolge der am schlechtesten entwickelten Staaten auf dem vorletzten Platz rangiert, während es vor fünf Jahren noch sechs Länder gab, denen es noch elender ging. "Deutschlands Sicherheit" werde"auch am Hindukusch verteidigt", behauptet Merkel und aktualisiert mit der Legitimationsformel des ehemaligen Verteidigungsministers Peter Struck den wohl haltlosesten Kriegsgrund, das Erzeugen von Feindseligkeit als Mittel der Terrorismusabwehr.

Dazu dreht sie die Leier der "asymmetrischen Konflikte", sprich des Krieges der Starken gegen die Schwachen, der mit diesem Begriff in sein Gegenteil, die Bedrohung der Starken durch die Schwachen, verkehrt werden soll: "Es sind Taliban und ihre Verbündeten in Afghanistan, die sich hinter Stammes- und Dorfstrukturen unerkannt verstecken und damit selbst hinter Frauen und Kindern, um dann mit militärischen Mitteln zuzuschlagen." Während sie die Tatsache, daß die Taliban schlicht unter den Menschen und in den Orten leben, die die NATO-Truppen zu kontrollieren versuchen, ins Zerrbild orientalischer Heimtücke setzt, um damit en passant die Begründung dafür zu liefern, daß auch bei Angriffen der Bundeswehr Zivilisten ums Leben kommen, kommt ihr Bekenntnis zur Globalisierung, also der Anspruch auf weltweiten Zugriff deutscher Kapitalmacht, den realen Kriegsgründen schon näher. Ihre Behauptung, daß die Folgen eines schnellen Abzugs aus Afghanistan für die internationale Gemeinschaft schlimmer als die des 11. September 2001 wären, begründet sie mit der angeblichen nuklearen Aufrüstung des internationalen Terrorismus. Die Angst, die damit geschürt wird, soll zur Grundstimmung einer Bevölkerung werden, die längst mehr als genug Gründe dafür hat, sich nicht mehr mit Ablenkungsmanövern beschwichtigen zu lassen.

22. April 2010