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KRIEG/1428: Targeted Killing ... terroristische Anschläge mit Drohnen (SB)



Der Präsident beliebte zu scherzen: "Zwei Worte an euch: Predator Drohnen. Man sieht sie niemals kommen. Meint ihr etwa, daß ich Witze mache?" Die Musiker der Popband Jonas Brothers, die am 1. Mai im Weißen Haus aufspielten und von den Töchtern Barack Obamas heiß bewundert werden, mußten für den Fall, daß sie auf falsche Gedanken kämen, keine Angst vor dem präsidialen Prärogativ, Menschen überall auf der Welt aus heiterem Himmel heraus umbringen zu können, haben. Scherze gehen dennoch stets auf Kosten irgendeines anderen, so in diesem Fall der Menschen, die es gar nicht witzig finden, wenn ihre Familie und ihr Haus einem Predator zum Opfer fallen. Selten so gelacht, meinten die Bürger Pakistans, die besser als die in den Präsidentensitz geladene Prominenz aus Film und Medien wissen, was es heißt, in Teilen ihres Landes permanent von der Gefahr bedroht zu werden, Opfer eines Luftanschlags zu werden. 600 getötete Zivilisten sollen die rund hundert Angriffe, die seit 2008 in Pakistan mit Drohnen erfolgten, laut pakistanischen Angaben gefordert haben.

"Targeted Killing" lautet einer der Euphemismen für die Politik, mit Hilfe unbemannter Flugkörper Menschen zu ermorden, die sich nicht als Kombattanten in einem Kriegsgebiet aufhalten. Da die US-Regierung nicht mehr davor zurückschreckt, Bürger ihres Landes in dieses Hinrichtungsprogramm aufzunehmen, wenn es sich um sogenannte Terrorverdächtige handelt, umfaßt das Einsatzgebiet der Drohnenarmada den ganzen Planeten. "Die ganze Welt ist keine Kriegszone", stellt Anthony Romero von der US-Menschenrechtsorganisation ACLU dieser Politik entgegen. Daß dieser Einspruch im Weißen Haus angekommen wäre, ist nicht anzunehmen.

De facto sieht es die US-Regierung darauf ab, die ganze Welt in ein potentielles Kriegsgebiet zu verwandeln. Das dokumentieren mehrere Strategieentwürfe und Rüstungsprogramme, die wie etwa "Prompt Global Strike" darauf abzielen, weltweite Projektionsfähigkeit militärischer Zerstörungsgewalt in kürzester Zeit bereitzustellen. In der praktischen Kriegführung am weitesten entwickelt ist der vom US-Auslandsgeheimdienst CIA administrierte Kampfeinsatz unbemannter Drohnen, die damit eine rechtliche Schrittmacherfunktion besitzen.

Wer allerdings die jüngst vom Rechtsberater des State Department, Harold Koh, präsentierte Rechtsauslegung der US-Regierung, sie werde durch die Angriffe vom 11. September 2001 ermächtigt, in Selbstverteidigung extralegale Hinrichtungen angeblicher Terroristen durchzuführen, aus stichhaltigen Gründen nicht teilt, der kann zu keinem anderen Schluß gelangen, als daß es sich bei diesen Mordoperationen um terroristische Anschläge handelt. Daß die Täter weit entfernt vom Tatort an einer Rechnerkonsole sitzen, unterscheidet sie nur darin von einem Selbstmordattentäter, daß sie sich dabei nicht in Gefahr begeben. Die Abwesenheit eines Piloten macht aus dem unbemannten Flugkörper kein Neutrum, das keinem Akteur zuzuordnen wäre. Die automatisierte Kriegführung ist eine normale Konsequenz militärtechnischer Innovation. So bleibt eine Rakete, die über Tausende von Kilometern unbemannt in ihr Ziel fliegt, stets unter der Verantwortung der Regierung, die sie abgeschossen hat

Wenn also Angriffe auf Menschen in Pakistan, einem Staat, dem die USA nicht den Krieg erklärt haben und mit dessen Regierung sie verbündet sind, keine völkerrechtswidrige Aggression darstellen, dann handelt es sich de facto um terroristische Anschläge, ob sie nun von einem Staat oder einem nichtstaatliche Akteur begangen werden. Die Politik extralegaler Hinrichtungen ist die praktische Fortsetzung der Verschleppung, Folterung und Inhaftierung zu umfassender Rechtlosigkeit verdammter "ungesetzlicher Kombattanten", die unter dem das ganze Ausmaß exekutiver Selbstermächtigung keineswegs ausreichend repräsentierenden Markenzeichen "Guantanamo" bekannt wurde. Der "legitimen Selbstverteidigung", mit der Koh diese Politik Obamas zu rechtfertigen versuchte, liegt eine Präventivdoktrin zugrunde, mit der Menschen von einer staatlichen Exekutive zu Tode verurteilt werden, ohne daß es dafür andere Gründe gäbe als die Selbstermächtigung dieser Instanz zum Herren über Leben und Tod.

Winkeladvokaten wie Koh mögen lange Rechtsgutachten verfassen, um schlichten Mord in legale Selbstverteidigung umzuwidmen. Die bloße Überlegung, daß sich jeder Staat das Recht herausnähme, andere Menschen auf bloßen Verdacht hin, sie könnten Böses im Schilde führen, umzubringen, belegt, warum dieser elementare Verstoß gegen internationales Recht als solcher verurteilt werden muß. Die US-Regierung kann sich die Politik des Targeted Killing nur deshalb leisten, weil es keinen auf vergleichbare Weise hochgerüsteten und politisch mächtigen Staat gibt, dem es einfallen könnte, mit seinen Drohnen in den USA Mordanschläge durchzuführen. Die Kriegführung mit ferngesteuerten Drohnen birgt ein nicht minder großes Eskalationspotential, als wenn US-Kampfflugzeuge in den Luftraum anderer Länder eindrängen, um dort Angriffe auf zuvor observierte und markierte Ziele durchzuführen. So ist nicht davon auszugehen, daß die US-Regierung meint, sich in einem Land wie Pakistan derartige Angriffe leisten zu können, ohne daß dies zu militanten Reaktionen unter seiner Bevölkerung führt. Um so wahrscheinlicher ist, daß mit dem Drohnenkrieg über Pakistan gezielt an der Eskalationsspirale gedreht wird.

8. Mai 2010