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KRIEG/1466: Offerte der NATO soll den russischen Bären binden (SB)



Als "Igel im Nebel" beschrieb Rußlands NATO-Botschafter Dmitri Rogosin jüngst die verwirrende Situation seines Landes angesichts der undurchsichtigen Avancen, welche das nordatlantische Militärbündnis im Rahmen seiner neuen Strategie der Regierung in Moskau macht. Während die NATO den Einkreisungsring immer enger zieht und längst an den Grenzen Rußlands steht, bietet sie nun dem russischen Bären eine Partnerschaft an, der freilich nur zu gut weiß, daß eine Umarmung tödlich enden kann. Es hätte des auf dem Lissaboner Gipfel vorgelegten Strategiekonzeptes nicht bedurft, um den Anspruch der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten zu entschlüsseln, sich die günstigste Ausgangsposition für die letzte Schlacht zu verschaffen.

Mit ihrer Doktrin des globalen "Antiterrorkriegs" haben sich die westlichen Mächte selbst mandatiert, permanent Krieg zu führen, wo immer es ihnen beliebt, um auf diesem Wege den absehbar ultimativen Rivalen Rußland und China auf den Pelz zu rücken. Dessen ist man sich in Moskau natürlich schmerzlich bewußt, doch sind die Meinungen geteilt, welche Konsequenzen aus dieser prekären Lage zu ziehen seien. Während eine wiedererstarkte pro-westliche Strömung das Heil an der Seite des größten Räubers sucht und dafür ein gewisses Maß an Subordination für unvermeidlich hält, warnt man am anderen Ende des breiten Spektrums strategischer Erwägungen entschieden vor jedem allzu engen Kontakt mit dem Intimfeind, der Rußland noch nie gutgetan habe.

"Nationale Sicherheit wird nicht auf Versprechungen aufgebaut", hatte Wladimir Putin 2008 in Bukarest der NATO an den Kopf geworfen. Ihm reichten Beteuerungen nicht aus, die Expansion der Allianz nach Osten richte sich nicht gegen Rußland. Sein Nachfolger Dmitri Medwedew hat den Kreml hingegen in den zurückliegenden zwei Jahren auf einen strikten Westkurs getrimmt, wofür er auf dem NATO-Gipfel in Lissabon eine angemessene Dividende einzufahren hofft. Wie die Regierung in Moskau im Vorfeld der Konferenz verlauten ließ, erwarte man den "Beginn einer neuen Etappe in den Beziehungen" (www.spiegel.de 19.11.10).

Medwedew bringt einen Fünf-Punkte-Plan nach Lissabon mit, der den Weg für eine "genuine Transformation der NATO-Rußland-Beziehungen" ebnen soll. Die Vorschläge reichen von einer Normalisierung der Beziehungen zu den Nachbarländern in Ost- und Mitteleuropa nach dem Vorbild des russisch-polnischen Verhältnisses über den beiderseitigen Verzicht auf Militärübungen in Grenzregionen bis hin zu gemeinsamen Bedrohungsanalysen und der Kooperation beim Aufbau eines Raketenschilds. Diese Initiative des russischen Präsidenten geht von der Voraussetzung aus, daß eine friedliche Koexistenz mit den westlichen Mächten möglich sei und durch den Ausbau der Zusammenarbeit auch und gerade im Bereich militärisch gestützter Sicherheitskonzepte am besten befördert werde.

Der Fünf-Punkte-Plan wurde unter Leitung des Technokraten Igor Jurgens in der Moskauer Denkfabrik "Institut für moderne Entwicklung" entworfen, deren Kuratorium Medwedew selbst vorsitzt. Das Institut geht so weit, eine umfassende Integration Rußlands bis hin zur Mitgliedschaft in der NATO vorzuschlagen. "Herr Jurgens, sind Sie ein Offizier der NATO?", wetterten patriotisch gesinnte Kreise, und eine Karikatur in einer Moskauer Wochenzeitung zeigte den Institutsleiter beim Austausch der roten Sterne auf den Türmen des Kreml gegen die Kompaßrose des NATO-Emblems.

Die NATO verfolgt zweifellos ihre eigenen Pläne, wenn sie eine engere Kooperation mit Moskau im Munde führt. Ihr schwebt eine Einbindung vor, die den russischen Riesen mit seinen immensen Ressourcen, aber auch seinen Atomwaffen Schritt für Schritt derart einwickelt, daß er sich früher oder später aus diesen Fesseln nicht mehr befreien kann. Wenngleich man daher in den zurückliegenden Monaten versichert hat, man wolle Rußland als gleichberechtigten Partner behandeln, ist eine volle Mitgliedschaft im Militärbündnis keineswegs vorgesehen, die auf einen tatsächlichen Schulterschluß hinauslaufen würde.

Zwar hat sich die Expertengruppe um die frühere US-amerikanische Außenministerin Madeleine Albright beim Entwurf des neuen strategischen Konzepts der NATO intensiv mit der Einbindung Rußlands befaßt, doch resultierten daraus keinerlei konkrete Angebote, welche die Allianz den Russen unterbreitet hätte. Als NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen Rußland zur Teilnahme an dem Raketenschild einlud, blieb dabei bezeichnenderweise völlig unklar, wie eine Zusammenarbeit konkret aussehen könnte.

Das schließt eine partielle Kooperation wie im Falle des Krieges in Afghanistan nicht aus, den zu führen die NATO auf Transportwege durch Rußland angewiesen ist. Russische und amerikanischen Spezialeinheiten gehen gemeinsam gegen Drogenhändler vor, Rußland bildet Offiziere der afghanischen Armee aus und könnte Hubschrauber nach Kabul liefern. Während sich Moskau im Gegenzug eine stärkere Kooperation bei der Entwicklung eines regionalen Sicherheitssystems für Afghanistan und seine Nachbarn wünscht, ist die NATO bestrebt, die Russen für verstärkte Handlangerdienste zu erwärmen. Das ist der feine, aber in seiner Konsequenz entscheidende Unterschied zwischen den strategischen Ambitionen der NATO und den pro-westlichen Hoffnungen der Fraktion um Medwedew.

Die NATO handelt aus einer Position der Stärke, sei sie nun real oder in Teilen lediglich in Anspruch genommen. Verhandlungen auf gleicher Augenhöhe sind mit Rußland ebensowenig vorgesehen wie eine vollwertige Partnerschaft, da die westliche Kampfgemeinschaft nicht vorhat, ihre Dominanz mit Moskau zu teilen. Wenn man den Russen Honig um den Bart schmiert, so sicher nicht in der Absicht, sich dafür jemals beim Wort nehmen zu lassen, wie das der russische Präsident derzeit versucht.

19. November 2010