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KRIEG/1468: Schlamassel Afghanistan - Kriegstreiber in Erklärungsnöten (SB)



Heillos verstrickt in ein Gespinst haltloser Behauptungen, vager Mutmaßungen und massiver Irreführung der Öffentlichkeit fällt es den Kriegstreibern am Hindukusch zunehmend schwerer, auch nur halbwegs plausible Lagebeschreibungen, Einschätzungen und Perspektiven zu formulieren. Längst haben sich Offenlassungen, Widersprüche und Ambivalenzen in so hohem Maße in ihren Verlautbarungen breitgemacht, daß die Nullaussagen und allzu offensichtlichen Täuschungsmanöver inzwischen selbst gestandenen Befürwortern des Feldzugs in Afghanistan sauer aufstoßen. Im bundesdeutschen Umfeld, das sich dem Vernehmen nach ausgesprochen kriegsmüde geriert, gibt das zu der Befürchtung Anlaß, die satten parteipolitischen Mehrheiten für die Beteiligung am mittelöstlichen Raubzug könnten sich über Nacht als Schall und Rauch im Angesicht eines verärgerten Wählerwillens erweisen.

Zwar haben die Köhlers und Guttenbergs längst angefangen, die alten Lügen von Demokratie, Aufbau und Wohlstand für die Afghanen zur Makulatur zu erklären und Klartext zu reden, da schließlich unsere Fleischtöpfe auf dem Spiel stehen. Indessen kann niemand erwarten, daß sich die Bundesbürger jahrelang bereitwillig an der Nase herumführen lassen, um dann über Nacht den Schwenk zur Doktrin unverhohlener Weltmachtambitionen zu Lasten als rückständig bezichtigter Völkerschaften mitzuvollziehen.

So stand denn die gestrige Expertenanhörung im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages, die Kriterien für die Bewertung des Afghanistan-Einsatzes liefern sollte, im Zeichen um sich greifender Ratlosigkeit bis tiefer Verwirrung. Da die Verlängerung des Mandats für den Militäreinsatz im Januar auf der parlamentarischen Agenda steht, will die Bundesregierung zur Einstimmung im Dezember einen Afghanistan-"Fortschrittsbericht" vorlegen. Dieses Verfahren soll den Abgeordneten die Bahn schmieren, mit breiter Mehrheit auf Kriegskurs zu bleiben.

Die Experten zeichneten jedoch ein denkbar düsteres Bild. Die internationale Hilfe alimentiere die Korruption in Afghanistan und insbesondere US-Gelder überfluteten die Provinzen, um von deutscher Seite ausgebildetes Personal abzuwerben. Präsident Karsai halte schützend die Hand über korruptionsgefährdete Kabinettsmitglieder und habe ein informelles Patronagesystem geschaffen, das stark mit der Drogenmafia verflochten sei. Die Eskalation von Sicherheitsoperationen seit einem Jahr habe zu mehr Unsicherheit geführt, und die Taliban würden aller Wahrscheinlichkeit nach militärisch und politisch unbesiegt an der künftigen Gestaltung des Staates beteiligt sein. Ein mit der afghanischen Seite und den Verbündeten abgesprochener Plan zur Übergabe der Verantwortung im Sicherheitsbereich sei nicht erkennbar und die afghanische Polizei bis 2014 mit Sicherheit nicht operationsfähig. (junge Welt 24.11.10)

Im Laufe der Anhörung machte sich quer durch die Fraktionen mehr oder minder ausgeprägtes Unbehagen breit, hatten sich doch vermeintlich sichere Fundamente und Fristen verflüchtigt. Von greifbaren Fortschritten konnte keine Rede sein, waren doch nicht einmal die Ausgangspunkte geklärt. Manchem Parlamentarier mag die Erkenntnis dämmern, daß es womöglich nur noch darum gehen kann, wie man sich aus der Affäre zieht, ohne das Gesicht vollends zu verlieren.

Daß auch die Amerikaner auf diesem Feld nur mit Wasser kochen, unterstreicht die jüngste Einlassung des Oberbefehlshabers der NATO-Truppen in Afghanistan. Nach einem Gespräch mit dem deutschen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg in Berlin dämpfte David Petraeus die Hoffnungen auf einen zügigen Abzug der internationalen Kräfte vom Hindukusch und erklärte vage, in einigen Regionen könnten die Truppen unter bestimmten Voraussetzungen im kommenden Jahr reduziert werden. Da er zugleich dafür plädierte, diese Kräfte zur Verstärkung in andere problematische Distrikte zu schicken, läuft seine Lagebeschreibung auf den sattsam bekannten innerafghanischen Verschiebebahnhof hinaus. (NZZ Online 23.11.10)

Nachdem Petraeus noch einmal betonte hatte, daß "sehr harte Arbeit" anstehe, konnte Guttenberg nur ins selbe Horn stoßen und düster hinzufügen, Afghanistan lasse keine euphorische Perspektive zu. Erforderlich seien vielmehr eine "realistische Betrachtung" und viel Geduld, wobei Deutschland an der Mission festhalte und die Strategie von Petraeus unterstütze. Man werde einen langen Atem brauchen, da das gesteckte Ziel noch in weiter Ferne liege.

Auch das US-Verteidigungsministerium steht vor dem Problem, dem Kongreß einerseits Fortschritte vorzugaukeln und andererseits das künftige Engagement sicherzustellen. So heißt es in einem kürzlich vorgelegten Bericht, die USA und ihre Partner machten in einigen wichtigen Regionen allmählich Fortschritte, doch seien die Aufständischen weiterhin stark und breiteten sich im ganzen Land aus. Ein hochrangiger Vertreter des Pentagon hatte folglich beträchtliche Mühe, vor Journalisten dieses niederschmetternde Fazit positiv auszulegen. Gemeinsam übe man Druck auf die Hochburgen der Taliban in Kandahar und Helmand aus, woraus die Aufständischen vertrieben worden seien. Die Taliban seien in Reaktion auf diese Strategie in periphere Regionen ausgewichen, die aber für ihren Erfolg keine Rolle spielten. (New York Times 23.11.10)

Natürlich gebe es Skeptiker, die wissen wollten, warum man nach fast zehn Jahren Krieg in Afghanistan noch keine bedeutsamen Fortschritte vorzuweisen habe. Dem halte er entgegen, daß man erstmals mit beträchtlicher militärischer Stärke und enormem zivilen Einsatz zu Werke gehe, weshalb die Zweifler unverantwortlich handelten, wenn sie nicht das gesamte Szenario in Augenschein nähmen. Skeptiker gebe es eben immer, daran könne man nichts ändern, schloß er in einem letzten hilflosen Versuch, den Kritikern die Schuld an dem Schlamassel in die Schuhe zu schieben.

24. November 2010