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KRIEG/1491: Verteidigungspolitische Richtlinien 2011 - Kontinuität des Interventionismus (SB)



Auch unter dem neuen Verteidigungsminister soll die Interventionsfähigkeit der Bundeswehr weiterentwickelt werden. Thomas de Maizière (CDU) setzt die Umbaupläne seines Vorgängers für den Militärapparat ideologisch fort, wie den am Mittwoch veröffentlichten neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien zu entnehmen ist [1].

Die aus der wesentlichen Verantwortung Deutschlands für den opferreichen Zweiten Weltkrieg hergeleiteten Schutzmaßnahmen, die Bundeswehr nur zur Landesverteidigung und auch nicht im Innern einzusetzen und darüber hinaus den Soldaten als "Bürger in Uniform" zu begreifen, werden Zug um Zug über Bord geworfen. So wird gleich im ersten Absatz der neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien die Bundeswehr "als Teil der gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge" beschrieben. Die umfaßt eben nicht allein die Verteidigung eines geographischen Territoriums gegen Angreifer, sondern beispielsweise auch die wirtschaftlichen Interessen der in Deutschland ansässigen Unternehmen in Übersee; die Zurückweisung von Klima-Migranten und Flüchtlingen, die aufgrund einer Naturkatastrophe in Not geraten sind; oder auch die Öffnung und Sicherung eines wirtschaftlichen Absatzraums, um nur drei der vermeintlich neuzeitlichen, tatsächlich aber sehr alten Herrschaftsfunktionen des Militärs zu nennen.

Die Reform der Bundeswehr wird von der Konzernpresse zumeist als überfällige Beseitigung alter struktureller Verkrustungen und nicht etwa als folgenschwerer Bruch mit einer aus der historischen Erfahrung hergeleiteten Zurückhaltung angesehen. Faktisch knüpfen die Verteidigungspolitischen Richtlinien jedoch an einen Expansionismus an, wie er jahrzehntelang als aus guten Gründen überwunden behauptet wurde.

Der gesellschaftliche Diskurs rund ums Militärische hat in den letzten Jahren eine Wandlung erfahren. Die Sprache der Verteidigungspolitischen Richtlinien läßt keinen Zweifel aufkommen, daß der deutsche Soldat seinen Stiefel in den Sand der afrikanischen Wüste, den Sumpf des tropischen Regenwalds oder das steinige Quellgebiet zentralasiatischer Hochgebirgsflüsse setzen darf, denn:

"Freie Handelswege und eine gesicherte Rohstoffversorgung sind für die Zukunft Deutschlands und Europas von vitaler Bedeutung. Die Erschließung, Sicherung von und der Zugang zu Bodenschätzen, Vertriebswegen und Märkten werden weltweit neu geordnet. Verknappungen von Energieträgern und anderer für Hochtechnologie benötigter Rohstoffe bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die Staatenwelt. Zugangsbeschränkungen können konfliktauslösend wirken." [1]

Daß es eben der hier formulierte globale Zugriffsanspruch Deutschlands und seiner Verbündeten ist, der den Konflikt auslösen oder einen bestehenden Konflikt okkupieren und zu ihrem machen kann, bleibt unerwähnt. War ein deutscher Bundespräsident vor nicht mal einem Jahr von seinem Amt zurückgetreten, weil er in einem Interview sinngemäß sagte, daß die Bundeswehr auch zur Sicherung von Ressourcen und Handelswegen eingesetzt wird, und dafür kritisiert wurde, macht ein Verteidigungsminister de Maizière ähnliche Aussagen zu einer der tragenden Säulen der zukünftigen Bundeswehraufgaben. Und kam ein Karl-Theodor zu Guttenberg noch als schneidig auftretender, häufig von Medienvertretern begleiteter Verteidigungsminister daher, der, salopp gesagt, schon mal gern den Gebirgsjäger raushängen ließ, gefällt sich sein Nachfolger in der Rolle des weniger lauten, beamtisch-technokratischen Anpackers, der alles Notwendige unternimmt, um Deutschland den ihm vermeintlich gebührenden militärischen Arm zu verleihen, der zur Durchsetzung der nationalen wie auch internationalen Aufgaben hart durchgreifen kann.

Möglicherweise richtet sich dies nicht nur nach außen. Zwar hatte im Februar vergangenen Jahres Thomas de Maizière in seiner früheren Funktion als Bundesinnenminister dem Vorschlag, die Bundeswehr im Innern einzusetzen, eine Absage erteilt, aber nicht weil er prinzipiell dagegen eingestellt war, sondern weil seine Partei nicht die für eine Grundgesetzänderung notwendige Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag zusammenbekommen hätte. [2] Es gibt also keinen Grund anzunehmen, daß sich der neue Verteidigungsminister in Zukunft einem Einsatz deutscher Soldaten gegen den eigentlichen Souverän widersetzen würde, wenn nur Erfolgsaussichten auf eine Verfassungsänderung bestehen.



Quellen:

[1] http://www.bmvg.de/resource/resource/MzEzNTM4MmUzMzMyMmUzMTM1MzMyZTM2MzEzMDMwMzAzMDMwMzAzMDY3NmU3NTMxNmI3MjY5NmIyMDIwMjAyMDIw/VPR%20Final.pdf

[2] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2010-02/bundeswehr-innern-maiziere

19. Mai 2011