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KRIEG/1557: Brandrede gegen Teheran - Netanjahu zieht in Washington alle Register (SB)



Einig in der Doktrin, ihre Hegemonie im Nahen und Mittleren Osten um jeden Preis durchzusetzen, drängen die Vereinigten Staaten, Israel und ihre Verbündeten darauf, den Iran in die Knie zu zwingen. Grundsätzlich sind alle beteiligten Regierungen bereit, die gesamte Abfolge aggressiver Schritte angefangen von diplomatischem Druck über Wirtschaftssanktionen bis hin zum Angriffskrieg zur Anwendung zu bringen, um den Regimewechsel in Teheran zu erzwingen. Allerdings gehen die Meinungen auseinander, welche Zwangsmittel vorzugsweise einzusetzen seien. Die propagandistisch vorgehaltene Sorge um die Lebensverhältnisse und Freiheitsrechte der Iraner führt sich selbst ad absurdum, wo ein langfristiges Embargo und selbst ein massiver Militärschlag nicht ausgeschlossen werden, die zwangsläufig zu Lasten der Bevölkerung gehen und zahlreiche Opfer zur Folge hätten. Nicht Friedensliebe und Humanität lassen Teile der Angriffsfront zögern, sondern schlicht ihre vorrangigen Interessenlagen in dieser Weltregion und darüber hinaus.

Aus europäischer Sicht ist der Iran in erster Linie ein Lieferant begehrter Rohstoffe und Handelspartner, mit dem man gedeihliche Geschäfte machen will. Die iranische Führung steht einem weitreichenderen Zugriff im Wege, doch wiederum nicht so sehr, daß man die kapitalistische Systemkrise leichten Herzens durch drastisch steigende Ölpreise befeuern möchte. Dem Angriffspakt zu entsagen hieße jedoch, sich aus dem Konzert künftiger Führungsmächte zu verabschieden, woraus sich die tendentielle Ambivalenz der Europäer erklärt, die ihre neoimperialistische Kompetenz lieber im Nadelstreifenanzug als in der Kampfmontur vorgetragen sehen würden, wobei eine Variante letzten Endes nicht ohne die andere auskommt.

In den Vereinigten Staaten denkt man längst über den auf Zentralasien zielenden Angriff hinaus und hat den asiatisch-pazifischen Raum zum künftigen Kriegsschauplatz deklariert. So sehr man den Keil zwischen Rußland und China treiben will, so notwendig erzwingt die Doktrin der von den USA angestrebten endgültigen Weltordnung die Einkreisung der Chinesen auch von der anderen Seite. Wenngleich der Militärschlag gegen den Iran daher in Washington auf der Tagesordnung steht, fürchtet man doch einen langen Krieg oder gar einen regionalen Flächenbrand, der das Gros der militärischen Kräfte bindet und den Zeitplan der globalstrategischen Agenda heillos durcheinanderbringt.

Für Israel geht es zuerst und vor allem darum, die absolute Führerschaft in der Region präventiv und gewaltsam durchzusetzen. Da israelische Regierungen eine partnerschaftliche Koexistenz mit ihren Nachbarn seit jeher als unverzeihliche Schwäche und nicht hinzunehmende Beschneidung ihrer territorialen Ansprüche zurückweisen, stellt sich für sie der frühzeitige Militärschlag gegen den Iran als vordringliche Option dar. Indessen warnen selbst israelische Militärs und Geheimdienstexperten vor den kaum lösbaren Problemen eines alleinigen Angriffs, weshalb man die US-Regierung unbedingt mit ins Boot des Krieges holen muß.

Beim Gipfeltreffen zwischen Benjamin Netanjahu und Barack Obama ging es dem israelischen Premierminister darum, einen Automatismus US-amerikanischer Kriegsbeteiligung festzuschweißen, den ihm der US-Präsident jedoch aus den genannten Gründen verweigern mußte, wollte er seinen Handlungsspielraum wahren. Die Bündnispartner und Kontrahenten begegneten einander auf einem politischen Schlachtfeld, das sich aus diversen Scharmützeln zusammensetzt, die beide zu ihren Gunsten auszusteuern versuchten. In Zeiten des Wahlkampfs und bedrängt von den Republikanern war Obama bemüht, die mächtige pro-israelische Lobbygruppe AIPAC gewogen zu stimmen. In ihrer rassistischen Suprematie duldet das weiße Establishment den ersten schwarzen Präsidenten ähnlich wie Colin Powell im Amt des Außenministers nur unter Vorbehalt und auf Widerruf, soweit er alle Reformhoffnungen bindet und in die Sackgasse führt, ansonsten aber falkischer als die Falken zur Sache geht.

Vor dem Treffen im Weißen Haus hatte Obama erklärt, die USA zögen im Atomstreit mit Teheran alle Optionen in Betracht und könnten eine iranische Bombe nicht akzeptieren. Zunächst gelte es aber, auf diplomatischem Wege und mit Sanktionen weiter Druck auszuüben. Als Wink mit dem Zaunpfahl an die Adresse republikanischer Heißsporne, vor allem aber der israelischen Regierung, kritisierte er leichtfertiges Kriegsgerede, das die Wirkung der Sanktionen untergrabe und den Ölpreis steigen lasse. Zwar ist geheim, worüber die beiden Staatschefs in ihrem fast zweistündigen Treffen sprachen, doch scheint Obama nicht die von Netanjahu eingeforderten Zugeständnisse gemacht zu haben. Danach sagte der US-Präsident lächelnd in die Kameras, daß er und Netanjahu eine diplomatische Lösung bevorzugten.

Der Premierminister revanchierte sich mit einer Rede vor 13.000 jubelnden Delegierten der AIPAC, indem er die höchste Trumpfkarte israelischer Staatsräson zog. "Wir haben darauf gewartet, dass Diplomatie wirkt. Wir haben darauf gewartet, dass Sanktionen wirken. Aber wir können es uns nicht leisten, noch länger zu warten", verkündete er auf dem Höhepunkt seines Vortrags. "Als Premierminister von Israel werde ich nicht zulassen, dass mein Volk unter dem Schatten der Auslöschung leben muss." Um seine Behauptung zu bekräftigen, daß der Iran die Vernichtung Israels plane, zitierte Netanjahu aus Briefen zwischen dem Jüdischen Weltkongreß und der US-Regierung aus dem Jahr 1944. Darin flehte der Weltkongreß Amerika an, Auschwitz zu bombardieren. Washington lehnte mit der Begründung ab, "solch ein Bemühen könnte ein noch rachsüchtigeres Handeln der Deutschen provozieren." Nach einer Kunstpause rief Netanjahu der Menge zu: "Stellen Sie sich das vor: 'ein noch rachsüchtigeres Handeln' als der Holocaust [1]." "Meine Freunde, 2012 ist nicht 1944", fuhr Netanjahu fort. "Heute haben wir unseren eigenen Staat. Und die Aufgabe des jüdischen Staates ist es, jüdisches Leben zu verteidigen und die jüdische Zukunft zu sichern [2]." "Der jüdische Staat wird es jenen, die uns zerstören wollen, nicht erlauben, die Mittel zu diesem Zweck zu erlangen [3]."

Die Delegierten beklatschten Netanjahus Auftritt euphorisch im Minutentakt, der zweifellos nicht nur die Israel-Lobby in den USA munitionieren, sondern darüber hinaus als Brandrede die Öffentlichkeit der westlichen Welt auf Kriegskurs einschwören sollte. Den Holocaust dafür zu instrumentalisieren und damit einmal mehr jede Kritik israelischer Regierungspolitik für illegitim zu erklären, macht die von Netanjahu bemühte Parallele nicht glaubwürdiger. Seine Regierung bläst zum Angriffskrieg gegen ein Land, das im Unterschied zu Israel weder Atomwaffen besitzt, noch definitiv mit deren Erlangung begonnen hat. Der Begriff "Prävention" wird damit einmal mehr in ein Werkzeug der Willkür verkehrt, das Vorwände konstruiert, um in angeblicher Selbstverteidigung Waffengänge vom Zaun zu brechen.

Der oberste Führer der Islamischen Republik Iran, Ayatollah Ali Khamenei, hatte noch vor dem Sieg seiner Anhänger bei den Parlamentswahlen die erhobenen Vorwürfe gegen sein Land mit folgenden Worten zurückgewiesen:

Die iranische Nation hat den Besitz von Atomwaffen niemals angestrebt und wird das auch künftig niemals tun. Ohne jeden Zweifel wissen die Entscheidungsträger der Länder, die uns entgegentreten, nur zu gut, daß der Iran nicht nach Atomwaffen strebt. Die Islamische Republik erachtet Atomwaffenbesitz aus logischen, religiösen und theoretischen Gründen für eine schwere Sünde und ist der Überzeugung, daß die Verbreitung solcher Waffen sinnlos, destruktiv und gefährlich ist. [4]

Ende März oder Anfang April kehren die Vertreter Ayatollah Khameneis, dessen Autorität dank des Wahlergebnisses beträchtlich gestärkt ist, zu den Atomgesprächen mit den USA, Britannien, Frankreich, Rußland und China sowie Deutschland an den Verhandlungstisch zurück. Wenngleich die Weichen für einen Militärschlag gestellt sind, haben es die Regierungen der westlichen Mächte noch immer in der Hand, nach Afghanistan, dem Irak und Libyen die Fackel des Krieges nicht in ein weiteres Land dieser Region zu tragen und damit die Apokalypse zu beschleunigen.

Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,819601,00.html

[2] http://www.morgenpost.de/politik/ausland/article1920860/Netanjahu-will-im-Atomstreit-nicht-laenger-warten.html

[3] http://www.focus.de/politik/ausland/iran/netanjahu-trifft-obama-unzerbrechliche-verbindung-von-usa-und-israel_aid_720921.html

[4] http://www.atimes.com/atimes/Middle_East/NC06Ak03.html

6. März 2012