Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1592: Neue deutsche Außenpolitik - Menschenverachtung ist Programm (SB)




Von Philip Mißfelder lernen, heißt siegen lernen. Selbst in der linken Wochenzeitung Jungle World lobt man, daß sich der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag schon lange für eine Verschärfung der Sanktionen gegen den Iran einsetzt [1]. Daß sich der iranische Außenminister Ali Akbar Salehi auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesprächsbereit gezeigt hat, belegt für Mißfelder die Wirksamkeit des gegen den Iran gerichteten Sanktionsregimes, das dennoch nicht hart genug sei. Hätte man "diese sogenannten Crippling Sanctions, also auch die Sanktionen, die größere Teile der Volkswirtschaft Irans treffen und damit natürlich auch Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung haben" [2], früher eingesetzt, dann wäre die iranische Regierung bereits zu einem früheren Zeitpunkt genötigt gewesen, Zugeständnisse hinsichtlich der Forderungen der NATO-Staaten und Israels zu machen, meint der CDU-Politiker.

Der unverblümten Absicht, einen internationalen Konflikt mittels der Verschärfung der ökonomischen Lage der gegnerischen Zivilbevölkerung zu lösen, liegt eine Bereitschaft zur Anwendung menschenfeindlicher Mittel zugrunde, der der Übergang zum Ergreifen militärischer Mittel inhärent ist. Die Blaupause für diese Form imperialistischer Aggression ist das 13 Jahre währende Sanktionsregime der Vereinten Nationen gegen den Irak, das Millionen von Menschen den essentiellen Mangel an fast allem, was es zur physischen Lebenserhaltung und kulturellen Entwicklung bedarf, sowie einen vorzeitigen Tod bescherte. Daß die Aushungerung der irakischen Bevölkerung dem Regime Saddam Husseins die Möglichkeit verschaffte, die innere Opposition zu schwächen und die Bevölkerung als Opfer einer äußeren Aggression auf sich einzuschwören, ist ebenso bekannt wie die Tatsache, daß es dennoch eines zweiten Krieges bedurfte, um den angestrebten Regimewechsel in Bagdad durchzusetzen.

Warum dies im Falle des Irans anders verlaufen sollte, erklärt Mißfelder ebensowenig wie er die Frage seriös beantwortet, warum die angebliche Entwicklung von Atomwaffen durch die Teheraner Regierung politisch anders zu gewichten sei als die Existenz israelischer Atomwaffen außerhalb des atomaren Nichtverbreitungsvertrags und damit jeglicher internationalen Rüstungskontrolle. Seine Behauptung, Israel sei eine "Fackel der Freiheit" und daher "überhaupt nicht vergleichbar (...) mit den umherliegenden Ländern" [2], wirft die Frage danach auf, wie sich der demokratische Charakter des Landes mit der Mißachtung völkerrechtlicher Forderungen nach der Aufhebung des Besatzungsregimes in den Palästinensergebieten als auch der strukturellen wie politischen Benachteiligung der palästinensischen Minderheit in Israel verträgt. Auch läuft der von ihm als "wichtigster Unterschied" zu den benachbarten Staaten ausgemachte Sachverhalt, daß Israel "keinem seiner Nachbarn mit der Vernichtung aus ideologischen Gründen" drohe und daraus "ein politisches Programm" mache, in Anbetracht der Unterstellung, daß die "Vernichtung des Zionismus" im Iran "nahezu wöchentlich" [2] von Politikern des Landes verlangt werde, auf eine maßlose Übertreibung hinaus.

So liegt das faktische militärische Vernichtungspotential ganz auf der Seite Israels, dessen Regierung den Iran nicht nur militärisch bedroht, sondern immer wieder mit kriegerischen Mitteln gegen seine Nachbarn vorgeht, wie vor kurzem im Falle Syriens. Daß die israelische Regierung dies nicht aus ideologischen Gründen tue, sondern aus präventiver Selbstverteidigung, macht die Sache nicht besser, sondern treibt die Eskalationsspirale in neue Höhen. Warum sollten die attackierten Staaten nicht auf gleiche Weise verfahren, könnten ihre Regierungen doch ebenso für sich in Anspruch nehmen, sich von dem hochgerüsteten Nachbarn bedroht zu fühlen? Setzt man die Forderung der israelischen Regierung, dem Iran das Mittel der Urananreicherung im Zweifelsfall gewaltsam aus der Hand zu schlagen, ins Verhältnis zu antizionistischen Äußerungen iranischer Politiker, dann wiegt die konkrete Aggressionsdrohung mindestens so schwer wie die polemische Worthuberei einer Administration, die vielen Rüstungsexperten zufolge lediglich die Möglichkeit zum Bau von Atomwaffen vorhalten will, dies jedoch nicht konkret tut.

All das wurde häufig diskutiert und in kontroversen Positionen zementiert. Der in dieser Kontroverse auf der Seite der USA und Israels unbedingt parteiliche Mißfelder läßt allerdings eine neue Qualität deutschen Großmachtstrebens erkennen. In der Kompromißlosigkeit seiner Strategie ökonomischer Erzwingung scheint vor dem Hintergrund der Entwicklung im Irak die neoliberale Doktrin der "kreativen Zerstörung" auf. Erst einmal alles einreißen, um Staat und Gesellschaft des zerstörten Landes nach Maßgabe der eigenen Wirtschafts- und Gesellschaftsdoktrin neu aus den Trümmern erstehen zu lassen, hat im Irak das Ergebnis eines zutiefst zerrütteten, von einem permanenten Krieg niedriger Intensität heimgesuchten und vom Zerfall bedrohten Landes hervorgebracht.

Schon der Krieg des Jahres 1991, der angeblich der Befreiung Kuwaits diente, wurde explizit gegen die Bevölkerung des Iraks geführt, indem man die zivile Infrastruktur des Landes in großen Zügen zerstörte. Das daran anschließende Sanktionsregime beschränkte den Wiederaufbau auf das Notdürftigste, um die Bevölkerung im Eroberungskrieg des Jahres 2003 noch tiefer ins Elend zu treiben, als es selbst unter dem Regime der "crippling sanctions" der Fall gewesen war. Für die Traumatisierung der Irakerinnen und Iraker trug die Bundesrepublik zwar keine direkte Verantwortung, doch schreckten angeblich humanistischen Idealen verpflichtete Politiker wie der grüne Außenminister Joseph Fischer nicht davor zurück, diese insbesondere von den USA und Britannien betriebene Aggression als probates Mittel der Wahl gutzuheißen.

Der qualitative Sprung in der Argumentation Mißfelders besteht darin, daß er das von der rot-grünen Bundesregierung noch vollzogene humanitäre Täuschungsmanöver, die sanktionsbedingte Not der irakischen Bevölkerung als leider unvermeidbaren Nebeneffekt einer allein gegen die irakische Regierung gerichteten Strategie zu rechtfertigen, nicht mehr nötig hat. Mißfelder legt das christliche Bekenntnis seiner Partei voll und ganz nach Maßgabe einer Kreuzzugsideologie aus, der allein der Sieg über die Ungläubigen von Bedeutung war. Dabei versteigt er sich in seiner Begeisterung für die Errungenschaften des Staates Israel seinerseits zu jener ideologischen Begründung seiner Erzwingungsstrategie, die er iranischen Politikern als so schwerwiegendes Vergehen anlastet, daß ihr Land mit Zwangsmitteln traktiert werden kann, auch wenn es keine akute Bedrohung darstellt.

Mißfelders ideologischer Pferdefuß besteht in der Verabsolutierung eines Demokratismus, zu dessen Durchsetzung alle Mittel recht sind, wenn sie nur ungeachtet des dabei erzeugten Leides und vergossenen Blutes zum geostrategischen Erfolg führen. Im Kern unterscheidet sich seine im Deutschlandfunk kundgetane Mission nicht von der neokonservativen Suprematie eines US-Präsidenten George W. Bush, der andere Länder unter Nutzung aller nur erdenklichen Konstrukte und Irreführungen angreifen ließ, weil die gerechte Sache der weißen Suprematie am Ende jede noch so gemeine Lüge rechtfertigt. Das Recht, die Bevölkerung eines anderen Landes zur Geisel eigenen Vormachtstrebens zu nehmen, gebührt allein demjenigen, der es machtvoll durchzusetzen weiß. Dem Gebot "might makes right" gegenüber kann der Einwand doppelter Standards kein Gewicht haben, steht und fällt die Validität der Argumente doch mit der eigenen Stärke. Gefragt wird nicht nach der Egalität der Ausgangsbedingungen einer Konfliktlösung zwecks ihrer Verhandelbarkeit auf Augenhöhe, eingefordert wird die Unterwerfung unter den Primat eigener Machtfülle.

So resultiert das zivilisatorische Selbstverständnis des besseren, weil von universalen Werten geleiteten Menschen im kategorialen Nichtmenschen, wie von der US-Regierung im Terrorkrieg mit der Schaffung des in absolute Rechtlosigkeit geworfenen "illegalen feindlichen Kombattanten" vorexerziert. Dies ist der Logik des Neoliberalismus allemal adäquat, wird der Wert menschlichen Lebens doch schlußendlich an seiner fremdnützigen Verwertbarkeit gemessen. Die Bevölkerung des Irans noch härter mit Sanktionen zu treffen, als bisher schon durch den von außen induzierten Verfall der Wirtschaft des Landes erfolgt, ist nicht nur Mittel zum Zweck des Regimewechsels. Es ist ein qualitativer Angriff auf noch nicht zum Homo oeconomicus westlicher Bauart mutierte Menschen, die keineswegs Anhänger der Teheraner Regierung sein müssen, um dafür bestraft zu werden, daß der Iran eine eigenständige Regionalpolitik betreibt und durch den Überfall der USA und ihrer Verbündeten auf den Irak geostrategisch aufgewertet wurde.

Von daher geht es nicht darum, die Teheraner Regierung oder das Gesellschaftsmodell der Islamischen Republik zu unterstützen, wenn man sich gegen die gewaltsame Durchsetzung imperialistischer Forderungen im Iran ausspricht. Diese Unterstellung ist die wirksamste Waffe in der Hand eines Mißfelder und seiner Adepten, belegt sie doch den antimilitaristischen Widerstand mit einem Gesinnungsverdacht, der die eigene Parteinahme für das Kriegsbündnis NATO oder den israelischen Siedlerkolonialismus über jede Kritik erhaben machen soll. Wie Michael Lüders in einem nachlesenswerten Interview im Deutschlandfunk [3] ausführt, ist der Iran eine verbliebene Insel der Stabilität in einer von schwerwiegenden sozialen und politischen Konflikten erschütterten Region, so daß ein Angriff auf das Land verheerende Folgen weit über seine Grenzen hinaus haben könnte. Die geostrategischen Implikationen dieses Nahostexperten lassen erkennen, daß die Bundesbürger mit den Mißfeldern der Republik auf dem schnellsten Wege in eine Ära neuer Kriege unter deutscher Beteiligung sind.

Da paßt es ins Bild, daß der CDU-Politiker die Vereidigung von Bundeswehrsoldaten nicht mehr auf die Bundesrepublik, sondern auf Bündnistreue in der NATO für durchaus "nachdenkenswert" hält und Saudi-Arabien trotz aller despotischen Menschenrechtsverletzungen mit deutschen Panzern beliefern will. Auch dort zeigt die von ihm zum Dogma der eigenen Werteordnung erhobene Unvergleichbarkeit Israels ihren realpolitischen Ertrag - ob man in der "Tankstelle der Welt" Frauen unterdrückt oder Dieben die Hände abhackt, ist unerheblich, solange sie nur die eigene Reichtumsproduktion befeuert. Die Leichtigkeit, mit der sich dieser CDU-Politiker über die moralische Inkohärenz seiner Argumentation hinwegsetzt, ist weniger dem praktischen Problem geschuldet, Menschenverachtung und Menschenrechte unter einen Hut zu bringen. Es ist das Merkmal dieser jungen Generation neokonservativer Bellizisten, das Wohlergehen der eigenen Klasse frei von aller Geschichtsbeladenheit wieder zum höchsten Ziel praktischer Politik zu machen, sprich ohne Blick auf die Leichen, die den nächsten Aufstieg Deutschlands zur Großmacht pflastern, zu neuen Siegen zu eilen.

Fußnoten:

[1] http://jungle-world.com/von-tunis-nach-teheran/2042/

[2] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1999296/

[3] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1999819/

4. Februar 2013