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KRIEG/1599: 1000 Kinder bekommen Post von der Bundeswehr (SB)




Daß man jungen Menschen frühzeitig Gelegenheit geben sollte, ihre Kindheit nicht mit nutzlosem Kindsein zu verschwenden und lieber ihre Karriereplanung gezielt in Angriff zu nehmen, scheint in dieser Gesellschaft Konsens zu sein. Da mutet es wie ein amüsanter Fauxpas an, wenn die Bundeswehr etwa 1000 Kindern in Ostholstein eine Broschüre schickt, um ihnen die Arbeit bei der Truppe schmackhaft zu machen, obgleich einige der Angeworbenen erst wenige Wochen alt sind. Ein Einzelfall ist das nicht, hatte man doch bereits im Dezember 2011 mehr als 2000 Kindern und Jugendlichen aus Eutin ähnliche Broschüren sowie einen Bewerbungsbogen geschickt. Das Personalmanagement der Bundeswehr in Köln spricht im aktuellen Fall von einer "sehr unangenehmen Geschichte", will sich bei den betroffenen Familien entschuldigen und sieht die Ursache des Versehens bei der zuständigen Meldebehörde. Diese habe irrtümlich nicht die Adressen der Einwohner ab 17 Jahren an die Bundeswehr übermittelt, sondern jene der Jugendlichen unter 17 Jahren. Der zuständige Büroleiter des Amtes in Lensahn mußte sich den Schuh anziehen und spricht selbst von einem "dummen Fehler." [1]

Ärgerlich ist das allemal, könnte diese Nachlässigkeit doch ein schlechtes Licht auf die Praxis der Meldebehörden werfen, solche personenbezogenen Daten wie selbstverständlich an die Bundeswehr weiterzugeben. Der kritischen Rede wert ist das aber nicht, da der gläserne Bürger schließlich auf die bestmögliche Weise beweisen kann, daß er nichts zu verbergen hat. Und daß deutsche Soldatinnen und Soldaten in aller Welt ihre Frau respektive ihren Mann stehen, um unseren Lebensstandard, unsere Werte und unsere Freiheit zu verteidigen und sie rückständigen Völkerschaften als Vorbild nahezubringen, verdient höchste Anerkennung.

Schade nur, daß die jungen Empfänger der guten Nachricht erst in etlichen Jahren verstehen werden, welche Chance ihnen da entgangen ist, sich vor allen andern Altersgenossen Vorteile im Wettbewerb um eine selbstbestimmte Lebensplanung zu verschaffen. Daß die Bundeswehr jungen Menschen viele interessante Arbeitsplätze und persönliche Herausforderungen bietet, wie ihre Homepage auf einem Reiter namens "Karriere" nahelegt, werden diese Kinder womöglich erst in der Schule erfahren, wenn sie sympathische Werbeoffiziere mit schmissigen Unterichtseinheiten darüber aufklären. Dann können sie staunend erfahren, daß sie bei der Truppe junge, ehrgeizige, mitteleuropäische Männer und Frauen treffen, um Abenteuer zu erleben, ihre Kindheitsträume umzusetzen, außergewöhnliche Maschinen und Waffen bedienen zu lernen und fremde Länder zu bereisen, sie überdies finanziell abgesichert und Teil einer großen Gemeinschaft sind. [2]

Wer wollte den Kindern diese Gelegenheit madig machen und die Verantwortung dafür übernehmen, daß sie später womöglich als Leistungsverweigerer, Loser und prekärer Bodensatz des Gemeinwesens enden, statt in der Uniform das Beste aus sich zu machen! Freiburger Medienforscher haben das getan und Zweifel an der Jugendarbeit des Militärs aufgeworfen. So lief im Herbst auf der Internetseite der Jugendzeitschrift "Bravo" ein Werbevideo, das potentielle Rekruten mit Popmusik und Urlaubsfotos bei ihrer Abenteuerlust packen sollte. Die Jugendseite www.treff.bundeswehr.de. komme zwar weniger bunt und poppig als das Video daher, funktioniere aber nach ähnlichen Prinzipien. Waffen, Panzer und Kriegsschiffe seien ästhetisch inszeniert, doch worauf sie im Einsatz zielen, sehe man nicht. Auch könnten Schüler beispielsweise Stundenpläne herunterladen, die im Hintergrund ein Eurofighter ziert. Sie fänden Fotos von Kameraden am Lagerfeuer und von Paraden auf Prachtstraßen, während die spärlichen Bilder aus den Krisengebieten Kinder zeigten, die einen Bundeswehrsoldaten anlachen. Man könne gar Panzer-Poster bestellen und im Forum über Kondition und Kampfsport mitdiskutieren.

Gut nur, daß Junior-Professor Friedemann Vogel und seine wissenschaftliche Hilfskraft Maximilian Haberer vom Institut für Medienkulturwissenschaft in ihrer Pilotstudie "Die Zukunft im Visier - Die mediale Selbstinszenierung der Bundeswehr gegenüber Jugendlichen auf www.treff.bundeswehr.de" derselben lediglich vorhalten, sie wolle an der Jugend vor allem über Emotionen und kaum über Argumente andocken. Man sollte junge Menschen besser über das Leben beim Militär aufklären und beispielsweise die Funktion der Bundeswehr im Rahmen internationaler Friedenstruppen und die damit verbundenen Gefahren, Erfolge und Mißerfolge diskutieren, schlagen die beiden Forscher vor. Auch könnte man kontrovers erklären, wie es zu den aktuellen Krisen auf der Welt gekommen ist oder welche Schwierigkeiten entstehen, wenn Soldaten lange Zeit auf engem Raum zusammenleben. Das stimmt versöhnlich, geht es den beiden Autoren der Studie doch offensichtlich nicht darum, die Truppe in den Schmutz des Krieges zu ziehen oder gar dessen Sinnhaftigkeit in Abrede zu stellen.

Die Bundeswehr selbst sieht in ihrer Selbstdarstellung kein Problem. Man könne Jugendlichen nicht zumuten, daß reale Einsatzbilder gezeigt werden, plädiert Presseoffizier Guido Hedemann für einen vernünftigen Pragmatismus. Es gehe vielmehr erst einmal darum, das Interesse von Jugendlichen zu wecken, wozu es einer zielgruppengerechten Sprache bedürfe. Wenn dann ein konkreter Arbeitsplatz in Frage kommen könnte, klärten Soldaten die Interessenten in Einzelgesprächen über mögliche Entbehrungen und Gefahren wie Tod und Verwundung auf. Recht hat er, buhlen doch Firmen und Behörden gleichermaßen um junge, motivierte Mitarbeiter, weshalb die Truppe seit Karl-Theodor zu Guttenbergs Abschaffung der Wehrpflicht gut beraten ist, motivierende Werbekampagnen im Internet zu schalten, Jugendmessen zu besuchen, Musikwettbewerbe und Beachvolleyball-Turniere zu organisieren, in Jugendmagazinen wie "Bravo" und "Spiesser" zu inserieren und vor allem als Wehrdienstberater in die Schulen zu gehen. [3]

Letzteres ist kein Problem, hat die Bundeswehr doch sogenannte Kooperationsvereinbarungen mit den Kultusministern von acht Bundesländer abgeschlossen, die Jugendoffizieren den Zugang zu Schulen und den Kontakt zu Referendaren erleichtern. Mittlerweile gibt es rund hundert hauptamtliche Jugendoffiziere, die laut Vorschrift nicht werben, sondern nur informieren. So kommen fast 200.000 Jugendliche pro Jahr zum ersten Mal in Kontakt mit dem Militär, das ihnen den Weg zu den Beratern weist, wo sie dann Karrierenägel mit Köpfen machen können. Wünschten Schulen Informationen über den Arbeitgeber Bundeswehr, könnten sie hierzu den Wehrdienstberater zu einer Informationsveranstaltung einladen, versichert die Bundeswehr, daß es "eine glasklare Abgrenzung" zwischen den Aufgabenbereichen des Jugendoffiziers zur sicherheitspolitischen Kommunikation und des Wehrdienstberaters zur Personalgewinnung gebe.

So lernen die Kleinen, daß deutsche Soldaten in Afghanistan Sicherheit schaffen und das Land voranbringen, wovon auch die Bundeswehr nicht zurückstehen darf, weil wir Mitgliedstaat der NATO sind: Wird ein Mitgliedstaat angegriffen, helfen die anderen. Das versteht jedes Kind und wird nicht die dumme Frage stellen, wer da wen angegriffen hat. Ist erst einmal die Lust geweckt, selbst Kameradschaft und Abenteuer zu suchen, viel Spaß und Freude im tatkräftigem Einsatz zu erleben und im Auslandsdienst etwas für seine Mitmenschen zu tun, sind wir auf dem richtigen Weg. Daß man im Leichensack zurückkommt, ist schließlich nicht der Regelfall, posttraumatische Störungen sind etwas für Weicheier und tote Afghanen zählt sowieso keiner mehr.

Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-verschickt-versehentlich-kindern-werbepost-a-890648.html

[2] http://www.spiegel.de/schulspiegel/abi/bundeswehr-wirbt-um-jugendliche-forscher-analysieren-jugendseite-a-876180.html

[3] http://www.spiegel.de/schulspiegel/nachwuchsmangel-bei-der-bundeswehr-freundschaftsanfrage-in-flecktarn-a-748434-2.html

24. März 2013