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KRIEG/1650: Mehr vom gleichen ... Marschbefehl Syrien (SB)



Und wieder heißt es Verantwortung zu übernehmen, in diesem Fall für die blutigen Folgen sozialer Ausgrenzung in der französischen Gesellschaft, in der die meisten Attentäter von Paris aufgewachsen sind. Deutschland zieht in den Krieg, um die Früchte der jahrzehntelangen postkolonialen und imperialistischen Zerrüttung des Nahen und Mittleren Ostens zu ernten. Man dürfe nicht abseits stehen, wenn mit dem Islamischen Staat eine Ausgeburt des terroristisch Bösen zurückgedrängt werden soll. Dabei pfeifen es die Spatzen selbst im öffentlich-rechtlichen Rundfunk von den Dächern - der IS ist ein Zerfallsprodukt des US-amerikanischen Regimewechsels in Bagdad. Die Besatzer legten der vom gestürzten Machthaber Saddam Hussein benachteiligten schiitischen Bevölkerungsmehrheit die Zügel in die Hand und verhalfen dem neuen starken Mann Nuri al-Maliki dazu, ein Abbild niemals überwundener despotischer Grausamkeit zu werden. Die nun in Bedrängnis geratene sunnitische Minderheit wuchs, unterstützt von den geostrategischen Kontrahenten der iranischen Schutzmacht Malikis, Saudi-Arabien und Katar, zu neuer Stärke auf und bekämpfte in Syrien, durchaus im Sinne der NATO-Staaten, den Verbündeten Teherans, Bashir al-Assad.

So kompliziert und unübersichtlich die Gemengelage, so klar und eindeutig der politische Wille der Bundesregierung, endlich zu den traditionellen imperialistischen Akteuren in der Region aufzuschließen. Was in Afghanistan mit leidvoller Konsequenz für die dort lebenden Menschen seit 14 Jahren vorexerziert wird und sich wider allen Prognosen von einem vollständigen Abzug der Bundeswehr zu einer Okkupation des Landes mit unabsehbarem Ausgang mausert, geht im nahöstlichen Pulverfaß in die nächste Runde einer Politik, die alle Widerlegung der Behauptung, man vergieße Blut, um das Blutvergießen zu beenden, standhaft ignoriert. Daß dies die Gefahr von Anschlägen in der Bundesrepublik, wie sie in Paris geschahen, massiv erhöht, versteht sich von selbst.

Um das unvermeidliche Resultat des sich anbahnenden Kriegseinsatzes der Bundeswehr, die weitere Entuferung der sogenannten Flüchtlingskrise, im wortwörtlichen Sinne in Grenzen zu halten, wird mit der türkischen AKP-Regierung ein Akteur in diesem sich ausweitenden Flächenbrand hofiert, dessen geostrategische Ambitionen das Risiko unkontrollierbarer Entwicklungen erst recht in die Höhe treiben. Recep Tayyip Erdogan will nicht nur einen Regimewechsel in Damaskus herbeiführen, sondern hat auch der kurdischen Bevölkerung im eigenen Land wie in Nordsyrien den Krieg erklärt. Der Präsident des NATO-Staates Türkei zieht im Kampf gegen die innere Opposition alle Register politischer Repression, und das gilt nicht nur für die Aktivistinnen und Aktivisten der PKK und anderer Linksparteien, sondern auch für Journalisten und Anwälte, die die verbliebenen Reste bürgerrechtlicher Freiheit in Anspruch nehmen. Can Dündar und Erdem Gül, führende Redakteure der Tageszeitung Cumhuriyet, werden aufgrund einer persönlichen Anzeige Erdogans von einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe bedroht, weil sie die militärische Aufrüstung des IS durch den türkischen Staat publik gemacht haben. Der kurdische Menschenrechtsanwalt Tahir Elci wurde auf offener Straße regelrecht hingerichtet, nachdem er zuvor Hunderte von Todesdrohungen nationalistischer Türken und AKP-Anhänger erhalten hatte. Das sind nur die jüngsten Ereignisse einer Geschichte von Widerstand und Unterdrückung, die spätestens seit den Protesten um den Gezi-Park und Taksim-Platz vor zwei Jahren eine immer breitere Blutspur hinterläßt.

Wer in diesem Krieg erfolgreich sein und gleichzeitig die vor seiner Gewalt flüchtenden Menschen draußen halten will, darf aus der Wahl seiner Verbündeten keinen Schönheitswettbewerb machen. Der an die unheilige Tradition deutsch-türkischer Kriegsallianzen anknüpfende Pakt zwischen Berlin und Ankara erweist sich schon jetzt aufgrund des brisanten Konflikts zwischen der Türkei und Rußland als eine strategische Zwangslage, die die Bundeswehr noch enger an die aggressivsten Akteure in diesem Kriegsszenario bindet. Bereits beim ersten Antritt schrumpfen die Meriten, die die Bundesregierung bei diesem Waffengang zu erlangen trachtet, auf das häßliche Format abgeschlagener Köpfe und gefolterter Leiber. An der Seite Erdogans, der seine neoosmanische Agenda mit islamistischem Glaubenseifer unterfüttert, tritt die Bundesrepublik gegen die wenigen säkularen Kräfte in der Region, die zivilgesellschaftliche Opposition in der Türkei und die kurdische Selbstorganisation im nordsyrischen Rojava, an. Trotz Pfarrerstochter als Bundeskanzlerin und Pfarrer als Präsident noch kein Gottesstaat, gibt die Bundesregierung im Bündnis mit reaktionären Kräften vor, selbige in Gestalt des IS zu bekämpfen.

All das macht in Sicht auf das innere Krisenmanagement - und damit den sozialen Krieg in aller Welt - durchaus Sinn. Der sich verschärfende Klassenkonflikt und seine sozialrassistische Kanalisierung werfen den Schatten gewaltsam ausgetragener Verteilungskämpfe voraus. Über deren Ursache kann in einem kriegführenden Land weit besser hinweggegangen werden als in einer Gesellschaft, die dem vielzitierten Anspruch an Freiheit und Demokratie tatsächlich gerecht würde. Zugleich gilt es in einer von materieller Not und ökologischer Zerstörung heimgesuchten Welt, das Korsett überlebenstechnischer Bemittelung so eng zu schnüren, daß der Griff auf die verbliebene Autonomie der Menschen auch dann gelingt, wenn eigentlich alles dagegen spricht, sich weiterhin Staat und Kapital zu unterwerfen.


Fußnote:

Zu den Anschlägen von Paris:
KRIEG/1649: Angriff auf die Freiheit ...? (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/volk1649.html

29. November 2015


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