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KRIEG/1709: Militär - planen, schmieden, Messer wetzen ... (SB)



Heer, Luftwaffe und Marine werden künftig kräftig aufwachsen müssen, um den veränderten Anforderungen der Landes- und Bündnisverteidigung gerecht zu werden. Die Planungen gehen davon aus, dass wir uns bis 2023 auf einen jährlichen Finanzbedarf von etwa 60 Milliarden Euro hinbewegen müssen.
Henning Otte (verteidigungspolitischer Sprecher der Union) [1]

Wenngleich die Befähigung der Bundesrepublik, ihre Interessen mit militärischen Mitteln durchzusetzen, im Kontext des Nordatlantischen Bündnisses und der Europäischen Union angesiedelt ist, entspringt sie doch zugleich eigenständigen Ambitionen, umfassende Zugriffsinstrumente im Dienst hegemonialen Übergriffs zu entwickeln, in Stellung zu bringen und anzuwenden. Die seit langem erhobene Forderung der US-Regierung, die europäischen Verbündeten müßten ihren Rüstungshaushalt auf das in der NATO vereinbarte Ziel von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigern, ist Wasser auf die Mühlen eines deutschen Militarismus, der darüber seine strategischen Entwürfe als unvermeidlich zu erfüllende Bündnisverpflichtungen kaschieren kann. Ideologisch als Verteidigung deklariert, treibt deutsches Vormachtstreben bestehende Konflikte in der eskalierenden Zuspitzung waffenstarrender Auseinandersetzungen auf den großen Krieg zu, obgleich dessen zentrales Schlachtfeld Mitteleuropa wäre und Deutschland bereits im ersten Schlagabtausch der Verwüstung anheimfallen würde.

Zugleich hat die zunehmend bellizistische Ausrichtung deutscher "Sicherheitspolitik" einen immensen sozialpolitischen Preis, da die gewaltigen Lasten eines massiv umgeschichteten Bundeshaushalts vor allem jenen Teilen der Bevölkerung aufgebürdet werden, die am stärksten auf staatliche Sozialleistungen angewiesen sind. Während der aktuelle Verteidigungsetat etwa 39 Milliarden Euro umfaßt, liefen 1,5 Prozent des BIP auf rund 60 Milliarden und 2 Prozent auf geschätzte 80 Milliarden hinaus. Wenngleich die 2-Prozentmarke derzeit noch als illusorisch bezeichnet wird, weil Regierungspolitik mögliche Widerstände bis hin zu Revolten präventiv ins Visier nehmen muß, werden die 1,5 Prozent in wachsendem Maße als notwendig und fast schon beschlossene Sache gehandelt. So kündigt der verteidigungspolitische Sprecher der Union im Bundestag, Henning Otte (CDU), an, daß Heer, Luftwaffe und Marine künftig "kräftig aufwachsen" müßten, um den "veränderten Anforderungen der Landes- und Bündnisverteidigung gerecht zu werden: Die Planungen gehen davon aus, dass wir uns bis 2023 auf einen jährlichen Finanzbedarf von etwa 60 Milliarden Euro hinbewegen müssen."

Warum das angeblich unabdingbar ist, erklärt der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, als ranghöchster deutscher Militär auf eine Frage nach den "strategischen Prioritäten Deutschlands": "Und wie Sie wissen, brauchen wir als weltweit tätige Marktwirtschaft auch freie Handels- Transport- und Kommunikationslinien". [2] Wenngleich diese euphemistische Wortwahl wohlweislich alle unmittelbaren Assoziationen mit Kriegsführung ausspart, ist sie doch nicht aus der Luft gegriffen. Um dauerhaft ökonomische Kriege zu führen und die Exportoffensive fortzuführen, bedarf es eines Fundaments militärischer Macht, die ökonomische Stärke erst durchsetzungsfähig macht, weil sie deren Voraussetzungen und Bedingungen weltweit diktieren kann. Das tritt im Zuge der insbesondere von Washington forcierten Demontage der politischen Abkommen und gewachsenen Übereinkünfte deutlich zutage, welche die essentiellen Parameter der Herrschaftssicherung brachial in den Vordergrund katapultiert.

Als Projekt der hiesigen Eliten korrespondiert die deutsche Aufrüstung daher mit den Ansprüchen der Bevölkerung auf einen Lebensstandard über dem vieler anderer Länder und insbesondere auf Kosten all jener Menschen, die in Versorgung der Bundesrepublik mit Rohstoffen und Billigprodukten, als Hungerlöhner in ausgelagerten Fertigungen, als Abfallverwerter und auf viele andere Weisen ihrer Substanz beraubt werden. Deutsche Produktivitätsvorteile und ein riesiger Niedriglohnsektor machen es wiederum möglich, andere Volkswirtschaften niederzukonkurrieren und massenhaft ökonomische Existenzen zu vernichten. Ohne Waffengewalt im mindesten aus dem Fokus antimilitaristischen Widerstands zu rücken, läßt sich die Frage von Krieg und Frieden doch nicht mit einer vordergründigen Dichotomie hinreichend bearbeiten, welche die massenhafte Vernichtungsgewalt einer imperialistischen Friedensordnung ausblendet.

Zwei Jahre lang haben Verteidigungsministerium und Militärführung an der Konkretisierung einer Rüstungsoffensive gearbeitet, deren Resultat nun als sogenanntes "Fähigkeitsprofil der Bundeswehr" den Aufbau einer modernen Armee bis 2031 beschreibt und der Geheimschutzstelle des Bundestags übermittelt wurde, wo Abgeordnete ihn unter Bedingungen einsehen können. Wie aus den veröffentlichten Grundzügen hervorgeht, ist in drei Zwischenschritten bis 2023, 2027 und 2031 vorgesehen, insbesondere vier Komplexe in Angriff zu nehmen: Eine hochmoderne Ausrüstung aller Soldaten mit gleichem Gerät und nicht nur bei Auslandseinsätzen. Das Füllen "hohler Strukturen", womit das Ausleihen von Großgerät zwischen Verbänden beendet werden soll. Ein Ausbau der Cyberverteidigung sowie der Kapazitäten im Weltraum für satellitengestützte Überwachung und vernetzte Luftverteidigung.

Das Fähigkeitsprofil legt indessen den Schwerpunkt bis 2023 auf die Aufgaben Deutschlands als Rahmennation der NATO-Speerspitze, für die eine vollausgestattete deutsche Brigade gestellt werden muß. Diese schnelle Eingreiftruppe (Very High Readiness Joint Task Force - VJTF) wurde 2014 gegründet und soll innerhalb von drei Tagen an jeden Ort verlegbar sein, wo sie benötigt wird. Im kommenden Jahr übernimmt die Bundesrepublik die Führung dieser Angriffsformation zur beschleunigten Kriegsführung. Berücksichtigt werden auch die NATO-Beschlüsse vom Juli, wonach 30 Bataillone, 30 Kampfflugzeuge und 30 Marineeinheiten in 30 Tagen mobilisierbar sein sollen. In Deutschland werden drei Divisionen mit acht kampffähigen Brigaden sowie vier Einsatzverbände der Luftstreitkräfte aufgebaut, für die Marine sind elf neue Fregatten vorgesehen. In den Plänen werden erstmals konkrete Zahlen zu beschaffender Panzer und benötigter Soldaten genannt, aber auch erhebliche Umstrukturierungen angekündigt. Die Streitkräfte zur Landesverteidigung sollen zu Systemverbünden zusammengelegt werden, indem beispielsweise das Heer gezielt Luft- und Seeunterstützung bekommt. [3]

Ursula von der Leyen spricht von einem "großen Modernisierungsplan", der zeige, "wohin die Reise geht. Die Soldatinnen und Soldaten spüren, dass wir nach dem Tiefpunkt im Jahr 2015 nach 25 Jahren des Schrumpfens in der Bundeswehr jetzt langsam die Talsohle durchschritten haben. Aber es liegt noch ein langer Aufstieg vor uns, den wir bewältigen müssen." Die allenthalben kolportierten Mißstände und Mängel geben einen vorzüglichen Deckmantel ab, der angeblich nicht einsatztauglichen Truppe eine gehaltvolle Kur zu verordnen. So verlangt die neue Konzeption der Bundeswehr denn auch, daß ihre Fähigkeiten "von kleineren Einsätzen bis hin zum anspruchsvollsten Einsatz im Rahmen einer sehr großen Operation innerhalb und am Rande des Bündnisgebietes reichen". Gleichzeitig sei es notwendig, weltweit "hoch intensive Operationen in schneller Reaktion bis hin zu lang andauernden stabilisierenden Einsätzen im Rahmen der Sicherheitsvor- und Krisennachsorge" zu führen, wie es im Papier heißt.

Die Verteidigungsministerin gibt der großen Koalition vor, wie das gewaltige Vorhaben im Haushalt durchgesetzt werden soll: "Wir haben einen genau festgelegten Finanzrahmen, der von der Bundesregierung bei der NATO auch so angezeigt worden ist." 2019 würden für den Verteidigungsetat 1,3 Prozent des BIP zur Verfügung gestellt, 2024 seien es 1,5 Prozent. Als gebe es kein Zurück mehr, spielen die maßgeblichen Akteure einander die Bälle zu, während für die Öffentlichkeit demokratischer Parlamentarismus in Szene gesetzt wird. Nachdem der Wehretat bereits ein Streitpunkt zwischen den Koalitionären gewesen war, erhöhte SPD-Finanzminister Olaf Scholz die Mittel für 2019 um etwa vier Milliarden Euro auf 42,9 Milliarden Euro. Die finanziellen Mittel trotzte von der Leyen in zähen Verhandlungen dem Finanzminister ab, heißt es. Dessen Plänen zufolge sind etwas mehr als 43 Milliarden Euro bis zum Jahr 2022 vorgesehen, während die Streitkräfte nun eine Erhöhung auf 60 Milliarden Euro bis 2023 fordern. Um diese Diskrepanz auszubügeln, wird also noch jede Menge demonstratives Armdrücken und zähneknirschendes Einlenken erforderlich sein - sofern niemand der Bundesregierung entscheidend in die Parade fährt.


Fußnoten:

[1] www.zdf.de/nachrichten/heute/von-der-leyen-legt-plan-zur-bundeswehr-modernisierung-vor-100.html

[2] www.wsws.org/de/articles/2018/09/05/mili-s05.html

[3] www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-wehretat-soll-auf-60-milliarden-euro-steigen-a-1226388.html

6. September 2018


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