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KRIEG/1723: Syrien - der Preis der Verläßlichkeit ... (SB)



Wer den latenten bis offenen Krieg zwischen imperialistischen Akteuren wie ein Schachspiel betrachtet, dem sind die KurdInnen Nordsyriens nichts als ein Bauernopfer, das zum Zwecke größerer Gewinne geschlagen wird. "Internationale Politik", wie in den Regierungskabinetten und Ministerialbürokratien, den ThinkTanks und Redaktionen der Verlagskonzerne verstanden, ist ein Geschäft kalter Strategen, denen es nicht zuletzt um den Erhalt eigener Klassenprivilegien geht. Die Götter, denen sie mit ihrem priesterlichen Herrschaftswissen dienen, heißen Stabilität und Ordnung, Sicherheit und Handelsfreiheit. So etwas wie soziale Probleme oder Klassenkämpfe kommen bei ihnen bestenfalls als Störfaktoren vor, die zu befrieden oder unterdrücken ein breites Arsenal an massenmedialer Indoktrination, populistischer Feindbildproduktion, symbolischer Beschwichtigung und polizeilich-militärischer Gewaltanwendung bereitsteht.

Kern aller strategischen Regulation sich ankündigender Aufstände in ihren Existenzmöglichkeiten an den Rand gedrängter Menschen ist divide et impera. Nichts als die seit Jahrtausenden bewährte Politik des Teilens und Herrschens eignet sich besser, um virulente Klassengegensätze in Aktivposten der administrativen und ökonomischen Eliten zu verwandeln. Diese stehen sich, selbst wenn sie verfeindeten Lagern angehören, als Nutznießer transnationaler Wirtschaftsakteure und neoliberaler Herrschaftsprinzipien weit näher als ihren jeweiligen Bevölkerungen. So wie sich auf der Klimakonferenz in Katowice die USA und Rußland darin einig waren, die Beschränkung des Klimawandels auf 1,5 Grad nach Kräften zu hintertreiben, so scheint es keinen Dissens zwischen ihnen zu geben, der Türkei bei ihren völkerrechtswidrigen Überfällen auf Nordsyrien freie Hand zu lassen.

Mit dem von Donald Trump angekündigten Rückzug der US-Truppen aus Nordsyrien werden die Gebiete der Demokratischen Föderation Nordsyriens der Eroberung durch türkische Truppen preisgegeben. Washington bekräftigt das Bündnis mit Ankara unter Zustimmung aus Moskau, wo bereits dem Einmarsch türkischer Invasionstruppen in Afrin grünes Licht gegeben wurde. Das schließt künftige Konflikte bei der Neuordnung Syriens zwischen den USA und Rußland nicht aus, bestätigt jedoch in beiden Fällen, daß die KurdInnen als Bevölkerung ohne eigenen Staat nichts als ein Spielball in ihren Händen sein sollen. Die zur Bewegung der Blockfreien zusammengeschlossenen Länder des globalen Südens wissen ein Trauerlied davon zu singen, was es heißt, zwischen Großmachtinteressen zu geraten und in Stellvertreterkriegen aufgerieben zu werden. Nicht anders die KurdInnen, die bei der kolonialistischen Aufteilung des Nahen und Mittleren Ostens nach dem Ersten Weltkrieg leer ausgingen und bis heute schwer an den Folgen früherer geostrategischer Planspiele zu tragen haben.

Als ob es nicht ausreichte, daß die kurdische Freiheitsbewegung in der Bundesrepublik unter massiver politischer Verfolgung zu leiden hat, monieren Linke in der Bundesrepublik bis heute, daß ihre von türkischen und anderen Aggressoren umstellten nordsyrischen Organisationen ein Zweckbündnis mit den US-Truppen in Syrien eingingen. Die formlose Aufkündigung dessen durch eine Erklärung aus dem Oval Office zeigt, wie es um die Substanz dieser Allianz bestellt ist.

Schon als die kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG vor den Augen der Welt erfolgreich gegen den IS kämpften, ließ die Verfolgung ihrer AktivistInnen in der Bundesrepublik nicht nach. Das Gegenteil war der Fall, die Bundesregierung hat die politische Repression gegen die kurdische Freiheitsbewegung verschärft, während Erdogan seine Herrschaft in eine De-facto-Präsidialdiktatur verwandelte, indem er die demokratische Opposition zu Tausenden und JournalistInnen zu Dutzenden ihrer Freiheit beraubte und so aus dem politischen Verkehr zog. Nun weitet die politische Justiz in Deutschland den Kreis der nach Erdogans Lesart Terrorverdächtigen auf Journalisten wie Peter Schaber vom Lower Class Magazine aus. Gegen ihn wird offiziell nach Paragraph 129b ermittelt, so daß sich internationalistische AktivistInnen auch nichtkurdischer und nichttürkischer Herkunft in der Bundesrepublik bedroht fühlen müssen.

Wie die LCM-Redaktion in einer Stellungnahme erklärt, geht die Bundesregierung, über bereitwillige Handlangerdienste für Erdogan hinaus, mit der Maßnahme, bloße Kontakte zur YPG zu kriminalisieren, gegen die "Idee von einer anderen Demokratie, die nicht bloß ein Spektakel zur Verwaltung des Kapitalismus ist, die Idee von Selbstbestimmung und Selbstverwaltung der Gesellschaft von 'unten'" [1], vor. Dies kann eine internationalistische Linke, so fern es sie in der Bundesrepublik noch gibt, nicht ignorieren, denn genau sie ist mit dieser Form politischer Repression gemeint.

Demgegenüber den Schattenspielen geostrategischen Schwarz-Weiß-Denkens zu frönen und über die Grundlinie, das aggressive Manövrieren der NATO-Staaten als solches herauszustellen und zu kritisieren, Partei für einen staatsautoritären monopolkapitalistischen Akteur wie Rußland zu ergreifen, bedeutet nichts anderes, als den von innerimperialistischer Konkurrenz betroffenen Menschen und Bevölkerungen die Solidarität aufzukündigen. Auch wenn der russische Kapitalismus den Vergleich zu aggressiv auf ihre Peripherien und die Länder des Südens ausgreifende Akteure wie die USA und EU kaum standhält, ist die Austauschbarkeit entsprechender Strategien ein Wesensmerkmal aller Akteure, die die Welt als Schachbrett begreifen, auf dem sie über Figuren verfügen, denen jedes Lebens- und Existenzrecht abgesprochen wird.

Mit der Mißachtung der kurdischen Freiheitsbewegung durch Teile der deutschen Linken, die sie, je nach ideologischem Standort, wahlweise bezichtigen, sich einem bloß nationalen Befreiungskampf verschrieben zu haben, mit Abdullah Öcalan einem autoritären Führer auf den Leim zu gehen oder im Zweckbündnis mit den USA den antiimperialistischen Grundkonsens verlassen zu haben, wird ein Hochsitz absoluter Urteilskraft bezogen. Der Selbstherrlichkeit von Königen und Generälen auf den Feldherrnhügeln, von wo aus das Gemetzel namenloser Soldaten aus sicherer Entfernung durch das Fernrohr betrachtet wird, nicht unverwandt wird die sozial repressive Intention staatlicher Gewaltanwendung ignoriert und negiert. Was auf dem Rücken der Zivilbevölkerung und zu ihrem Dienst gepreßter Soldaten ausgetragen wird, soll jede Krieg und Kapitalismus überwindende Entwicklungsmöglichkeit zunichte machen, auch wenn die meistgenannten Motive eher territoriale Eroberung und Ressourcenraub betreffen.

Für die in Nordsyrien lebenden Bevölkerungen geht es um die Verteidigung eines emanzipatorischen Lebensmodells, das in Anbetracht der häufig regressiven Entwicklung sozialrevolutionärer Bewegungen in den europäischen Zentren um so wertvoller für die Zukunft selbstorganisierter und basisdemokratischer Politik ist. Es mag noch in den Anfängen stecken und aufgrund der permanenten Kriegssituation von inneren Widersprüchen durchzogen sein, doch welche emanzipatorische und revolutionäre Bewegung ist das nicht! Wer erwartet, daß aus den Trümmern und Ruinen kapitalistischer Totalverwertung der perfekte revolutionären Gegenentwurf ersteht, verwechselt womöglich die ästhetische Anmutung kämpferischer Ideale mit der grausamen und blutigen Wirklichkeit gesellschaftlicher Widerspruchslagen, die zu bestreiten noch nie ein Schönheitswettbewerb war.

Wie umkämpft die gesellschaftliche Zukunft auch in den privilegierten Zonen des westlichen Liberalismus sein wird, zeigt die von einer eher randläufig beachteten Krise zur weltweiten Katastrophe eskalierende Zerstörung des Lebens. Auch hier steht die Bewältigung sozialer und politischer Konflikte am Anfang möglicher Rettungsversuche. Ohne Überwindung von Kapitalismus und Klassenherrschaft wird sich keine Gesellschaft formieren können, die dem globalen Kontrollverlust die Reduzierung eigener Zerstörungsgewalt entgegenstellt. Die kurdische Freiheitsbewegung ist ein Beispiel dafür, daß der eigene Tellerrand nicht Maß aller Dinge und die Verabsolutierung vertrauter Ideologien ein schlechter Ratgeber ist. Sie zu unterstützen wird wahrscheinlich auch deshalb mit politischer Strafjustiz und der damit bewirkten Einschüchterung politisch mißliebiger AktivistInnen und JournalistInnen geahndet, weil die mögliche Eroberung weiterer Teile Nordsyriens durch türkische Truppen in der Bundesrepublik zu starken Protesten führen könnte.


Fußnote:

[1] http://lowerclassmag.com/2018/12/internationalismus-im-fadenkreuz/#more-6048

20. Dezember 2018


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