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KRIEG/1765: Anschlag in Hanau - Öl ins Feuer ... (SB)



Clan-Kriminalität als moderne Version der Sippenhaft, Shisha-Bars als angebliche Brennpunkte organisierter Kriminalität, mörderische Flüchtlingsabwehr als staatlicher Normalbetrieb, rechte Netzwerke in sogenannten Sicherheitsbehörden - das christliche Abendland wird an vielen Fronten verteidigt, nicht nur an eindeutig als xenophob und rassistisch markierten. Wo heute KurdInnen der Feind sind, wird morgen der herkunftsdeutsche Nachbar gemeuchelt, weil er Sozialleistungen bekommt, die falsche Gesinnung hat ... Gründe zum Vollzug ultimativer Feindseligkeit gibt es so viele wie Leute, die meinen, sich ihrer bedienen zu müssen. In Hanau sind zehn Menschen gestorben, weil es in diesem Land Personen gibt, die jedes ihrer Probleme so adressieren müssen, daß immer die anderen schuld sind.

Es ist zu einfach, soziale Mißstände und Klassenwidersprüche für mörderischen Rassismus verantwortlich zu machen, schließlich gibt es zahlreiche Menschen, die ganz andere Schlußfolgerungen aus ihrer Benachteiligung und Ausgrenzung ziehen. Solidarität gerade unter denen, die diskriminiert und benachteiligt werden, zusammen kämpfen gegen Ausbeutung und Unterdrückung, auch wenn das alles andere als bequem ist und leicht fällt. Es bleibt die Wahl des einzelnen Menschen, wie mit Verächtlichkeit und Demütigung umgegangen wird. Die Formierung der sozialen Opposition gegen Rassismus und Nationalchauvinismus, gegen Patriarchat und Kapitalismus ist die naheliegendste Antwort auf die längst nicht mehr nur rhetorische, sondern ganz und gar physische Gewalt derjenigen, die meinen, das Bemühen um Akzeptanz und Anerkennung des Gegenübers, die Empathie für schwache und verächtlich gemachte Menschen als "Gutmenschentum" verhöhnen zu müssen.

Das Problem der Schuldverschiebung fängt schon an, wenn die eine mit dem anderen verglichen und für besser oder schlechter befunden wird. Sich überhaupt einem Schuldverhältnis zu unterwerfen ist Ausdruck einer passiv in Kauf genommenen Herrschaftsordnung, die nicht zu bestreiten als vermeintlich leichterer Weg bevorzugt wird. Die daraus erwachsende Feindseligkeit zeitigt im Wahn angeblich einzigartiger und ganz besonderer Existenz ihre grausamsten Ergebnisse. Mit dem Massaker an 77 Menschen hat Anders Behring Breivik 2011 vorgemacht, wohin man mit Feindbildern wie demjenigen des "Kulturmarxismus" gelangen kann. Andere Menschen nicht in ihrer Eigenheit, ob geschlechtlicher, ethnischer oder sonstiger Art zu akzeptieren, die sie ohne jeden Übergriff einfach für sich und Gleichgesinnte leben, ist Ausdruck einer maskulin verfaßten Rechthaberei, die niemanden neben sich dulden kann, der anders ist und damit die eigene Reputation in Frage stellt.

Daß die Opfer von Hanau ein Umdenken bewirken und der Verbreitung der menschenfeindlichen Ideologie vom überlegenen Wert des weißen, europäischen Habitus Einhalt gebieten, ist eher nicht zu erwarten. Wenn nur das genauere Hinhören und ein achtsameres Sprechen in sozialen Situationen dabei herauskäme, wäre schon viel gewonnen. Ohne Positionierung für diejenigen Qualitäten, die im sozialdarwinistischen Wettrennen auf jeden Fall unterliegen und mit Füßen getreten werden, bleibt jeder Anspruch auf Solidarität hohl und unglaubwürdig.

20. Februar 2020


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