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FLUCHT/013: Pakistan - Flüchtlingen aus Afghanistan droht Ausweisung, Ausland protestiert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. August 2012

Pakistan: Flüchtlingen aus Afghanistan droht Ausweisung - Ausland protestiert

von Zofeen Ebrahim


Die meisten afghanischen Flüchtlinge wollen in Pakistan bleiben - Bild: © Zofeen Ebrahim/IPS

Die meisten afghanischen Flüchtlinge wollen in Pakistan bleiben
Bild: © Zofeen Ebrahim/IPS

Karachi, 7. August (IPS) - Pakistan steht unter zunehmendem internationalem Druck, das Bleiberecht für afghanische Flüchtlinge zu verlängern. Doch die Regierung in Islamabad scheint fest entschlossen, die Menschen aus dem kriegszerrissenen Nachbarland zum Jahresende in die Heimat zurückzuschicken.

"Wenn ihr Flüchtlingsstatus am 31. Dezember erlischt, werden sie gehen müssen", sagt Habibullah Khan, Staatssekretär im pakistanischen Ministerium für Bundesstaaten und Grenzgebiete. Diese Entscheidung komme nicht unerwartet, sondern sei von langer Hand vorbereitet und vom Kabinett gebilligt worden.

In Pakistan leben derzeit etwa drei Millionen Afghanen, von denen 1,7 Millionen offiziell als Flüchtlinge anerkannt sind, von denen wiederum die Hälfte in Flüchtlingslagern lebt. Die meisten Familien anerkannter und nicht anerkannter Flüchtlinge sind bereits seit mehr als 30 Jahren in Pakistan.

Auf die Rückkehr so vieler Menschen ist Afghanistan nicht vorbereitet. Angesichts des geplanten Abzugs aller NATO- und ISAF-Truppen bis 2014 haben die Afghanen mit vielen internen Problemen zu kämpfen. Es gilt die Aufständischen unter Kontrolle zu halten, die marode Wirtschaft wiederzubeleben und die wachsende Macht der Warlords einzugrenzen. Doch Khan zufolge entwickeln sich die afghanischen Flüchtlinge auch für Pakistan zunehmend zu einer Gefahr für den Rechtsstaat und die soziale Stabilität.

Der Sprecher der afghanischen Flüchtlinge, Haji Abdullah Bukhari, der in einem der größten Camps in der südlichen Hafenstadt Karachi lebt, ist erbost. "Unsere afghanischen Kolonien sind friedlicher als die gesamte Stadt Karachi. Bevor solche haltlosen Anschuldigungen geäußert werden, sollten Beweise vorgelegt werden."


Afghanistan wäre durch Rückkehrer überfordert

Bukhari ist ein hoch angesehener Stammesältester. Er lebt seit 30 Jahren in Pakistan, führt ein Elektrogeschäft und engagiert sich sozial. Er zeigt sich zuversichtlich, dass die Aufenthaltsgenehmigung für die Flüchtlinge zum dritten Mal verlängert wird. "Ich sage nicht, dass wir nicht von hier fortgehen werden, doch momentan ist Afghanistan schwach und kann diese Last nicht schultern."

Der afghanische Flüchtling Amanullah Mughai bringt seit einigen Jahren Schicksalsgenossen zur Grenze. "Ich will nicht zurückgehen", erklärt er. "Es würde weitere 30 Jahre dauern, bis ich dort wieder heimisch würde."

Im Alter von acht Jahren kam Mughai aus einem Dorf in der nordafghanischen Provinz Kundus nach Pakistan. Inzwischen hat er neun Kinder, die alle in der neuen Heimat geboren wurden. "Sie haben niemals einen Fuß nach Afghanistan gesetzt und sehen Pakistan als ihr Land. Leider sieht Pakistan das anders."

Wenn die Aufenthaltserlaubnis ausläuft, werden die Afghanen alle als Illegale betrachtet. Bilal Agha, der für das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR arbeitet, hält eine Ausweisung in den kommenden Monaten für ein Verbrechen. Nach internationalem Recht dürfen Flüchtlinge nicht in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden, wenn dort ihr Leben oder ihre Freiheit gefährdet sind.

"Kein internationaler Akteur, der mit Flüchtlingen zu tun hat, wird dies akzeptieren", erklärt Agha. "Für den UNHCR ist es klar, dass niemand zwangsweise zurückgeschickt werden kann, wenn er das nicht will." Das UN-Flüchtlingshilfswerk will versuchen, für die Sicherheit nach Ablauf des Bleiberechts zu sorgen.

Einige Afghanen ohne Papiere seien bereits unter Berufung auf das Ausländergesetz von 1956 festgenommen worden, so der Experte. Nach Verbüßung einer Haftstrafe würden sie abgeschoben und den afghanischen Grenzbehörden in Anwesenheit von Konsulatsvertretern übergeben.


Poröse Grenzen

Bukhari weiß, dass in Wirklichkeit ständig Menschen in beide Richtungen die durchlässigen Grenzen passieren."Die Türen stehen immer offen", sagt er. Pakistan habe vergeblich versucht, alle im Land lebenden Afghanen zu registrieren. Die Behörden seien aber nicht imstande, alle zu erfassen, die über die unzureichend kontrollierte Grenze kämen.

Wie Bukhari lebt auch Mughai in Camp Jadeed in der nordwestlich von Karachi liegenden Stadt Gadap. Das Lager nimmt 80 Prozent der rund 70.000 in Karachi registrierten afghanischen Flüchtlinge auf.

"Die meisten Afghanen verdingen sich als Tagelöhner. Sie arbeiten in Teppichwebereien, der Lederindustrie, in der Fischereiwirtschaft oder im Recycling-Geschäft", sagt Agha Azam, der Koordinator der Repatriierungsstelle für afghanische Flüchtlinge der pakistanischen Regierung. Azam betreibt seit mehr als neun Jahren ein Zentrum für freiwillige Repatriierung in Gadap.

Seit Anfang des Jahres habe das Zentrum etwa 2.600 Afghanen aus Karachi zur Grenze nach Afghanistan geschickt. Alle Betroffenen hätten jeweils 150 US-Dollar Bargeld als Starthilfe erhalten. Wie viele dieser Personen über dieselbe Grenze wieder zurück nach Pakistan kämen, könne er nicht sagen.

Die Flüchtlinge argumentieren, dass sie sich über die Jahre in Pakistan eine neue Existenz aufgebaut hätten. "Das hier war in den achtziger Jahren noch ödes Land, und wir lebten in Zelten", berichtet Bukhari. "Da wir kein Dach über dem Kopf hatten, wurden unsere Kinder häufig von Schlangen und Skorpionen gebissen. Erst vor kurzem konnten wir uns Lehmhäuser bauen."

In den meisten dieser Siedlungen fehlen die grundlegenden Gesundheits- und Bildungseinrichtungen. Dennoch wollen die meisten Bewohner nicht in ein Land zurückkehren, das sie kaum kennen. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.unhcr.org/pages/49e487016.html
http://www.ipsnews.net/2012/08/pakistan-says-goodbye-to-refugees-not-leaving/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. August 2012