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RAUB/005: Mali - Konflikt generiert Kindersoldaten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. Mai 2012

Mali: Konflikt generiert Kindersoldaten

von William Lloyd-George

In den Reihen der Tuareg-Kämpfer in Mali wurden auch Kinder gesehen - Bild: © William Lloyd-George/IPS

In den Reihen der Tuareg-Kämpfer in Mali wurden auch Kinder gesehen
Bild: © William Lloyd-George/IPS

Niamey, Niger, 8. Mai (IPS) - In der kleinen Stadt nahe Kidal im Norden Malis zu bleiben, kostete Hassan Toure große Überwindung. Er hatte große Angst um seine Kinder. Denn seit dem Rückzug der Regierungstruppen Ende März sind bewaffnete Tuareg-Milizen und Banditen in der Region aktiv, die Minderjährige als Kämpfer rekrutieren.

"Ich wollte wegen meiner Kinder von hier weg", sagt Toure, der aus Angst vor Repressalien seine wahre Identität verbirgt. "Doch können wir es uns nicht leisten, unseren Laden zu verlieren. Er würde in unserer Abwesenheit geplündert und zerstört." Der Familienvater berichtet, dass er vergeblich versucht habe, seine Kinder zu Hause zu halten. Am 29. März kam sein ältester Sohn, der 15 ist, aber nicht mehr zurück.

"Von anderen Kindern aus der Nachbarschaft habe ich erfahren, dass er mit bewaffneten Männern fortgegangen ist", erzählt Toure. "Ich kann seitdem nicht mehr schlafen und mache mir große Sorgen, was diese Männer mit ihm anstellen."

Nach Angaben von Corinne Dufka, einer Mitarbeiterin der Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW), haben ihr bei einem Mali-Besuch im April mehrere Zeugen bestätigt, Kindersoldaten in den Reihen der Rebellen gesehen zu haben, vor allem bei der Nationalen Befreiungsbewegung von Azawad (MNLA).

Aus dem HRW-Bericht 'Mali - War Crimes by Northern Rebels' vom 30. April geht hervor, dass viele Kinder Sturmgewehre trugen und so müde aussahen, als würden sie gleich zusammenbrechen.

Dufka bezeichnete die Präsenz von Kindern in den Reihen bewaffneter Gruppen im Norden Malis als "sehr beunruhigende Entwicklung". Sie forderte die Kommandeure dieser Gruppen auf, keine Kämpfer unter 18 Jahren mehr zu rekrutieren und alle Minderjährigen sofort freizulassen, damit sie mit Hilfe von Kinderschutzorganisationen nach Hause gebracht werden können.


Auch Zwölfjährige rekrutiert

Zeugen erklärten gegenüber HRW, die von ihnen gesichteten Kindersoldaten seien etwa zwischen zwölf und 17 Jahren alt gewesen. Lehrer aus der Region berichteten, einige ihrer Schüler unter den Milizionären erblickt zu haben.

Tuareg-Rebellen kämpfen - unter unterschiedlichen Namen - bereits seit der Unabhängigkeit von Mali 1960 gegen den Staat. Die MNLA machte sich die politische Instabilität in der Hauptstadt Bamako nach dem Sturz von Präsident Amadou Toumani Touré am 22. März und den leichten Zugang zu Waffen aus Libyen zunutze und rief am 6. April im Norden den neuen Staat Azawad aus.

Beobachtern zufolge hat die MNLA noch nicht die Kontrolle über die Region erlangt und streitet mit mehreren islamistischen Gruppen um die Vormachtstellung. Die Gruppe 'Ansar Dine' unter Führung des ehemaligen Tuareg-Rebellenführers Iyad Ag Ghali hat inzwischen angekündigt, das islamische Recht der Scharia in dem Gebiet einzuführen. Ansar Dine kämpft nicht um die Unabhängigkeit, sondern will erreichen, dass innerhalb der Grenzen Malis ein islamischer Staat entsteht.

Zeugen berichteten, dass unter den Ansar Dine-Kämpfern weniger Kinder zu sehen seien. Sie äußerten sich jedoch besorgt darüber, dass die Gruppe Mitte April in den nordmalischen Regionen um Gao, Dire und Niafounke einen neuen Vorstoß zur Rekrutierung von Minderjährigen unternommen hat. Die Heranwachsenden sollen in Lagern nahe Gao ausgebildet worden sein.

Auch Berichte über ausländische Islamistengruppen lassen die Lage zunehmend unsicher erscheinen. Diese Gruppen sind zwar schon seit längerem im Norden des Landes präsent, können aber erst seit kurzem das Machtvakuum für sich nutzen und sich ungehindert fortbewegen.

Die nigerianische Gruppe 'Boko Haram', der regionale Zweig des Terrornetzwerks Al Kaida sowie ihr Ableger, die Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (MUJAO), sind zurzeit im Norden Malis aktiv. Auch sie sollen Kindersoldaten rekrutieren.

Am 6. April stürmten Bewaffnete das algerische Konsulat in Gao und kidnappten den Konsul und sechs Mitarbeiter. Wie aus Kreisen der MNLA verlautete, sind Boko Haram und MUJAO für die Entführung verantwortlich. Als die MNLA nach eigenen Angaben die Diplomaten zu retten versuchte, hätten die Islamisten fünf Jungen zwischen zehn und zwölf Jahren mit Sprengstoffgürteln vorgeschickt, um die Angreifer abzuwehren. Nach Drohungen, die Kinder würden sich in die Luft sprengen, zog sich die MNLA zurück.


Vergewaltigungen

HRW berichtete außerdem über die Entführung und Vergewaltigung von Mädchen. Zeugen beschuldigen die MNLA, Zwölfjährige in verlassene Gebäude verschleppt und sie tagelang vergewaltigt zu haben. Mangelnde medizinische Versorgung, Rechtlosigkeit und unzureichende Hilfe haben dazu geführt, dass Mädchen und Frauen in der Region wenig Schutz genießen.

Das UN-Büro für Humanitäre Angelegenheiten (OCHA) schätzt, dass seit Januar dieses Jahres mindestens 284.000 Menschen durch den bewaffneten Konflikt im Norden Malis aus ihren Dörfern vertrieben wurden. 107.000 sollen sich weiter in Mali aufhalten, während die übrigen wahrscheinlich in Nachbarländer wie Niger, Burkina Faso, Algerien und Mauretanien geflohen sind. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.hrw.org/news/2012/04/30/mali-war-crimes-northern-rebels
http://www.unocha.org/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107669

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2012