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KOLLATERAL/017: Syrien - Vom Ölexporteur zum Importeur, politischer Streit legt letzte Raffinerie lahm (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. April 2013

Syrien: Vom Ölexporteur zum Importeur - Politischer Streit legt letzte Raffinerie lahm

von Karlos Zurutuza


Bild: Karlos Zurutuza/IPS

Kurdische Milizen in Syrien kontrollieren seit Anfang März das Erdöl-Gebiet Rumelan
Bild: Karlos Zurutuza/IPS

Derik, Syrien, 12. April (IPS) - Am 1. März um sieben Uhr morgens brachten kurdische Milizionäre die einzige noch funktionierende Erdölraffinerie Syriens, etwa 800 Kilometer nordwestlich von Damaskus, unter ihre Kontrolle. "Sie forderten uns auf, nach Hause zu gehen und dort zwei Tage zu warten, bis alles geklärt sei", berichtet Mahmud Hassan, einer der 3.000 Arbeiter in der Raffinerie Rumelan.

Abu Muhamad zufolge, einem Ingenieur in der Produktionsabteilung, besteht die Anlage aus mehr als 1.350 Extraktoren kanadischen Typs, die über eine Fläche von etwa 3.000 Quadratkilometern verteilt sind. "Vor der Revolution konnten wir hier 165.000 Barrel Öl am Tag produzieren, heute sind es nur noch etwa 50.000 Barrel", berichtet er und fügt hinzu, dass die kurdischen Kämpfer "die Bohrlöcher schützen" und den Auftrag hätten, den Arbeitern ihren Lohn auszuzahlen.

Die Anlage ist zum Symbol für den Zerfall der syrischen Erdölindustrie geworden, die seit dem Beginn des Aufstands gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad 2011 allmählich zum Stillstand kommt. Lokalen Beobachtern zufolge ist es möglicherweise zu einer Annäherung zwischen unterschiedlichen bewaffneten Gruppen gekommen, die miteinander über den Umgang mit den verbliebenen Ölvorkommen verhandeln wollen.

Vor der Revolte gaben alle Erdölfelder des Landes täglich rund 300.000 Barrel Öl her. 2010 erreichten die Exporteinnahmen die Grenze von drei Milliarden US-Dollar. Inzwischen importiert die Regierung den Brennstoff, der einst die wichtigste Wirtschaftsachse Syriens war, um den Bedarf im Inland decken zu können.

Obwohl weiterhin Öl aus Rumelan an die Städte Homs und Banyas, 160 beziehungsweise 280 Kilometer nördlich von Damaskus, geliefert wird, sind die Fördermengen seit Beginn des Bürgerkriegs drastisch gesunken. Hassan macht dafür die internationalen Sanktionen gegen das Assad-Regime, fortwährende Sabotageakte der Rebellenbewegung 'Freie Syrische Armee' (FSA) sowie Öldiebstähle verantwortlich. Hassan hatte zuvor für mehr als zwei Jahrzehnte bei der staatlichen syrischen Erdölgesellschaft gearbeitet, der auch Rumelan gehört.


Nordosten Syriens unter kurdischer Kontrolle

Der Arbeiter befürchtet eine Katastrophe für das Land, sollten die bewaffneten Gruppen weiter über die Kontrolle über die Raffinerie streiten. Die Assad-Regierung konzentriert ihre Bemühungen unterdessen darauf, die Rebellion zu unterdrücken. Der größte Teil des Nordostens des Landes wird seit Juli 2012 de facto von Kurden-Milizen beherrscht.

Viele politische Beobachter vermuten, dass die Demokratische Unionspartei (PYD) - die größte politische Partei, die die Kurden in Syrien repräsentiert - einen Waffenstillstand mit Assad ausgehandelt hat und dafür eine größere Kontrolle über die mehrheitlich kurdisch besiedelten Regionen des Staates beansprucht. Der PYD-Vorsitzende Salah Muslim dementierte jedoch die Existenz einer solchen Übereinkunft. Doch bezweifelt niemand den großen Einfluss der Partei und ihrer Milizen - mit oder ohne den Segen der Regierung.

Kommandant Feirusha, Leiter eines der so genannten Volksschutzkomitees (YPG), berichtet, dass insgesamt mehr als 30.000 Kämpfer in allen Kurdengebieten Syriens im Einsatz seien. "Wir wenden nur dann Gewalt an, wenn dies absolut unerlässlich ist", versichert Feirusha, als er seinen Laster durch die flache Landschaft steuert, in der sich überall Ölpumpen auf und ab bewegen und Feuer brennen.

"Wir respektieren die FSA, aber wir hassen die Salafisten", erklärt der 30-Jährige, der das Kommando über rund 300 Milizionäre führt. Die Übernahme der Raffinerie von Rumelan sei auf "friedliche Weise" erfolgt, "durch Dialog und ohne Schießerei". Seine Schilderungen werden durch Filmaufnahmen eines Journalisten der Nachrichtenagentur Hawar bestätigt. Leidtragende der Übernahme sind indes die Arbeiter, deren Löhne von der Regierung seit März nicht mehr ausgezahlt werden.

Die meisten der 3.000 Beschäftigten leben mit ihren Familien nicht weit von der Raffinerie entfernt. Die Wohnblöcke aus Beton sind von Gestrüpp umgeben, an den flachen Dächern befinden sich Wasserauffangbehälter. Mit jedem weiteren Tag ohne Lohn nehmen die Sorgen der Arbeiter zu. "Wir arbeiten weiter wie bisher, an den Abläufen hat sich nichts geändert", sagt der Elektriker Hafez al Nuseibi. Er befürchtet, dass die Zurückhaltung der Löhne eine Vergeltungsmaßnahme von Damaskus für die Übernahme der Raffinerie durch die Milizen ist.


Arbeiter drohen wegen ausbleibender Löhne mit Streik

In dieser angespannten Atmosphäre schlagen Sorgen rasch in Ärger um. "Wenn wir in den nächsten Tagen kein Geld bekommen, streiken wir und lähmen das gesamte Land", droht Nuseibi. Er und seine Kollegen sind sich sicher, dass die verschiedenen politischen Gruppen alle unter einer Decke stecken. Die Verzögerung bei der Lohnauszahlung sei ein Anzeichen dafür, dass geheime Verhandlungen noch nicht abgeschlossen seien, meinen sie.

"Eine Woche nach der Übernahme der Raffinerie durch die YPG fanden zwei geheime Treffen zwischen den Kurden, der FSA und Vertretern der Regierung statt", berichtet ein Arbeiter, der seit mehr als 25 Jahren in Rumelan tätig ist. "Die Gäste wurden im Verwaltungstrakt untergebracht. Bei den Diskussionen ging es hauptsächlich darum, wie die Gewinne aus Rumelan durch drei geteilt werden können. Schließlich kamen sie überein, dass die FSA sowie die YPG-PYD jeweils 30 Prozent erhalten würden. 40 Prozent waren demnach für Damaskus bestimmt."

Gewaltsame Zusammenstöße zwischen der FSA und der YPG erreichten ihren Höhepunkt während der dreimonatigen Gefechte in Serekaniye, 500 Kilometer nordöstlich von Damaskus. Beide Seiten schlossen im Februar einen Waffenstillstand.

Muhamad hofft, dass die streitenden Parteien bald einen gemeinsamen Nenner finden. "Eine Unterbrechung der Produktion wäre für uns fatal. Wir wären handlungsunfähig, während Damaskus weiter Öl von Russland und China sowie aus dem Iran empfangen würde." (Ende/IPS/ck/2012)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/04/oil-flows-beneath-the-battlefield/

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IPS-Tagesdienst vom 12. April 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. April 2013