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OFFENER BRIEF/025: Protestbrief an die Heinrich-Böll-Stiftung (Raymond Deane)



An:

Herr Helmut Adamaschek

Heinrich-Böll-Stiftung (www.bildungswerk-boell.de)

Von:

Raymond Deane, (www.raymonddeane.com)

Lieber Herr Adamaschek,

Mit großer Enttäuschung habe ich von der Entscheidung der Heinrich-Böll-Stiftung, sich von dem für den 26. Februar geplanten Vortrag Norman G. Finkelsteins zu distanzieren, erfahren.

Wenn Norman Finkelstein, der Sohn von Holocaust-Überlebenden, eine "umstrittene" Person ist, dann deshalb, weil seine Gegner eine Kontroverse um ihn entfachten, indem sie ihn auf brutalste Weise zum Antisemiten abstempelten. Diese Gegner, machen wir uns nichts vor, sind diejenigen, die eine bedingungslose Unterstützung des Staates Israel, seiner Verbrechen ungeachtet, und eine totale Unterdrückung kritischer Ansichten in Bezug auf diesen Staat, ob sie nun von Juden oder Nichtjuden stammen, befürworten.

Rolf Verleger, der Vorsitzende der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost e. V., hat Norman Finkelstein als "einen stolzen und bewußten Juden, der sich gegen die Vereinnahmung der jüdischen Tradition durch jüdischen Blut-und-Boden-Nationalismus wehrt", beschrieben.

Professor Verleger hat die Gegner Finkelsteins zu Recht mit denjenigen, die in den fünfziger Jahren in den USA den McCarthyismus betrieben, verglichen.

Sie, Herr Adamaschek, haben zugelassen, daß der Name der Heinrich-Böll-Stiftung durch die Verbindung zu solchem McCarthyismus besudelt wurde.

Doch es kommt noch schlimmer. Als ein geplanter Vortrag des im Exil lebenden israelischen Historikers Ilan Pappe im Oktober 2009 in München auf Geheiß des dortigen Oberbürgermeisters abgesagt wurde, hat Professor Pappe geschrieben, daß sein Vater "auf ähnliche Weise als deutscher Jude in den dreißiger Jahren mundtot gemacht wurde". Wie er selbst, wurden sein Vater und dessen Freunde als "'humanistische' und 'friedenswillige' Juden betrachtet, deren Stimmen unterdrückt und zum Schweigen gebracht werden mußten." Angesichts der Entscheidung, seinen Vortrag zu zensieren, gab sich Professor Pappe "über den Stand der Redefreiheit und der Demokratie im heutigen Deutschland besorgt, wie jeder anständige Mensch es sein müßte."

Sie, Herr Adamaschek, haben zugelassen, daß der Name der Heinrich-Böll-Stiftung durch die Verbindung mit solcher Zensur und mit dem Abbau der deutschen Demokratie, für den sie steht, besudelt wurde.

Als andere Juden, darunter Evelyn Hecht-Galinski, Felicia Langer, Hajo Meyer und der bereits erwähnte Rolf Verleger, "aus der Reihe tanzten", haben wir ansehen müssen, wie in Deutschland die Mechanismen der Diffamierung reibungslos funktionierten. Die Tatsache, daß diese Diffamierung häufig zum Teil das Werk anderer Juden ist, macht sie keineswegs akzeptabler oder weniger antidemokratisch.

Die Schaffung einer Kultur der Einschüchterung und der (Selbst-)Zensur kann man nicht als positiven Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung bezeichnen. Im Gegenteil, sie stellt einen Rückschritt dar, der berechtige Fragen hinsichtlich des Ausmasses, in dem die deutsche Demokratie wirklich zu Rede- und Meinungsfreiheit ermutigt, wenn sie mit politischer Zweckdienlichkeit kollidiert und wenn diese politische Zweckdienlichkeit mit den Menschenrechten und dem Recht auf politische Tätigkeit - insbesondere mit den lange vorenthaltenen Rechten der Palästinenser, die allen Grund haben, Deutschland als einen ihrer schlimmsten Gegner zu sehen - kollidiert. Deutschland wird niemals wirklich seine faschistische Vergangenheit bewältigt haben, bis es seine bedingungslose Unterstützung für den völkermordenden und rassistischen Staat Israel aufgibt, bis es aufhört, die Rede- und Meinungsfreiheit derjenigen, die diesen Staat kritisieren, zu unterdrücken, und bis es auf die Stürmer-ähnliche Diffamierung, der diese Kritiker ausgesetzt werden, verzichtet.

In seinem literarischen Schaffen und in seinen journalistischen Arbeiten hat Heinrich Böll versucht, in Deutschland ein neues demokratisches Bewußtsein zu definieren, das produktiven Nutzen aus der Vergangenheitsbewältigung zog. Ich meine, daß die Stiftung, die Sie, Herr Adamaschek vertreten, durch ihre Beteiligung an der Diffamierung und der Zensur von Norman Finkelstein es versäumt hat, diesen notwendigen Prozeß voranzutreiben, und sich als unwürdig erwiesen hat, den Namen eines so großen Schriftstellers und Humanisten wie Heinrich Böll zu tragen.

Mit freundlichen Grüßen,

Raymond Deane

(Komponist, Gründungsmitglied und ehemaliger Vorsitzender der Ireland-Palestine Solidarity Campaign, der abwechselnd in Deutschland und Irland lebt)

Quelle:
Raymond Deane, 17. Februar 2010
mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht im Schattenblick in eigener Übersetzung zum 19. Februar 2010