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OFFENER BRIEF/059: An die Deutsche Bundesregierung zu den Präsidentschaftswahlen in Togo (Afrique-Europe-Interact)


Afrique-Europe-Interact - Pressemitteilung vom 4. März 2020

Präsidentschaftswahlen in Togo - Diktator Faure Gnassingbé als Präsident bestätigt +++ Offener Brief von Afrique-Europe-Interact an die Deutsche Bundesregierung +++


In Togo hat Präsident Faure Gnassingbé die Präsidenschaftswahlen am 22. Februar 2020 für sich entschieden: Laut der staatlichen Wahlkommission CENI gewann Gnassingbé bereits in der ersten Runde mit 72,4 Prozent der Stimmen. Die Wahl Gnassingbés ist keine Überraschung: Das westafrikanische Land wird seit 53 Jahren von einer einzigen Familie regiert. 1967 hat General Gnassingbé Eyadéma die Macht mittels eines Putsches an sich gerissen; nach seinem Tod 2005 hat Sohn Faure Gnassingbé die Nachfolge angetreten. Große Teile der Opposition beklagen Wahlbetrug. Sie gehen davon aus, dass Agbeyomé Kodjo die Wahlen gewonnen hat. Er war einer von mehreren Oppositionskandidaten.

Vor diesem Hintergrund hat sich Afrique-Europe-Interact am 04.03.2020 ein zweites Mal mit einem offenen Brief an die Bundesregierung sowie die Abgeordneten zweier Ausschüsse des Deutschen Bundestags gewandt (siehe unten). Denn ein erster Brief von Afrique-Europe-Interact vom 05.02.2020 wurde seitens der Bundesregierung zwar kurz vor den Wahlen in Togo beantwortet, allerdings nur punktuell [1]. Hinzu kommt eine Vielzahl ungeklärter Probleme, die sich aus den jüngsten Wahlen ergeben haben.

Grundsätzlich möchte Afrique-Europe-Interact die Medien um eine kritische Beobachtung der aktuellen Vorgänge in Togo bitten, insbesondere was die Zusammenarbeit der Deutschen Bundesregierung mit dem togoischen Regime betrifft.

*

Sehr geehrter Herr Bundesaußenminister Maas,

sehr geehrter Herr Bundesminister Dr. Müller,

sehr geehrte Mitglieder des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung,

sehr geehrte Mitglieder des Unterausschuss Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln,


anlässlich der Präsidentschaftswahlen in Togo ist Afrique-Europe-Interact am 05.02.2020 mit der Bitte an die Bundesregierung herangetreten, sich gegenüber der Regierung und den staatlichen Behörden in Togo für die Durchführung transparenter, fairer und gewaltfreier Wahlen einzusetzen. Auf dieses Ansinnen hat die Bundesregierung am 14.02.2020 geantwortet. Einerseits hat uns diese rasche Reaktion gefreut. Andererseits wurde auf viele unserer Bedenken nicht näher eingegangen. Hinzu kommt, dass die Bundesregierung in ihrer Antwort Einschätzungen zur Rolle der ECOWAS sowie zu den letzten Kommunalwahlen in Togo formuliert hat, die nicht überzeugen können. Vor diesem Hintergrund möchten wir uns heute erneut an Sie wenden, einmal mehr in der Hoffnung, dass unsere Überlegungen und Fragen im Rahmen der Togo-Politik der Bundesregierung Beachtung finden.

a) Grundsätzlich möchten wir festhalten, dass es nach 53 Jahren Familiendiktatur äußerst fragwürdig ist, mit Blick auf die jüngsten Wahlen von "Demokratisierungsprozessen" in Togo zu sprechen. Denn die vielfältig unter Druck gesetzten Oppositionsparteien verfügten kaum über finanzielle Mittel, um einen effektiven Wahlkampf zu bestreiten. Dies konnte auch eine Delegation unseres Netzwerks beobachten, die sich im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen in Togo aufhielt, unter anderem, um an einer Großkundgebung von Faure Gnassingbé teilzunehmen [2]. Sowohl in den großen Städten als auch auf dem Land waren fast ausschließlich Plakate des Präsidenten zu sehen. Auch war es vor allem die Partei des Präsidenten, die unterschiedliche Formen von Großkundgebungen, Demonstrationen und partyartigen Wahlparaden organisierte (inklusive T-Shirts, Mützen und Stoffen mit Parteilogos, die die Regierungspartei in großer Zahl an die Bevölkerung verteilte- verbunden mit einer Prämie für das Tragen dieser T-Shirts, Mützen und Stoffe). Dabei kam der Regierungspartei nicht nur zu Gute, dass die staatliche Wahlkampfhilfe an die anderen Parteien derart spät ausgezahlt wurde, dass sie nicht mehr für Wahlplakate und ähnliches eingesetzt werden konnte. Vielmehr wurden auch staatliche Ressourcen in Anspruch genommen, um den Wahlkampf von Faure Gnassingbé zu unterstützen. Beispielsweise wurden Schuldirektor*innen anlässlich von Wahlkampfveranstaltungen des Präsidenten aufgefordert, die Schulen zu schließen, um dem Präsidenten einen "warmen Empfang" in der jeweiligen Stadt zu bereiten. Gleiches gilt für verschiedenste andere gesellschaftliche Gruppen, die auf staatliches Geheiß an den präsidialen Wahlkampfveranstaltungen teilnehmen mussten - mit dem absurden Effekt, dass selbst Mitglieder der Opposition auf Wahlkampfkundgebungen des Präsidenten auftraten, etwa Mitglieder von staatlich geförderten Tanz- oder Musikgruppen.

Unsere Frage an die Bundesregierung lautet daher, ob sie über den deutschen Botschafter in Togo Kenntnis von derartiger Inanspruchnahme staatlicher Ressourcen für Wahlkampfzwecke des alten und neuen Präsidenten erhalten hat. Zudem möchten wir fragen, ob die Bundesregierung tatsächlich davon ausgeht, dass nach 53 Jahren Monopolisierung der Macht durch eine einzige Familie davon ausgegangen werden kann, dass bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen in Togo eine reelle Chancengleichheit zwischen den Kandidaten gegeben war.

b) In unserem Brief vom 05.02.2020 haben wir zahlreiche Beispiele genannt, wie Vertreter*innen der Opposition im Vorfeld der Wahlen systematisch eingeschüchtert wurden - auch durch willkürliche Festnahmen, körperliche Gewalt und Folter. Dieses Klima der Einschüchterung hat sich auch nach den Wahlen fortgesetzt - begünstigt durch ein im August 2019 verabschiedetes Gesetz, wonach Demonstrationen nur noch an bestimmten Tagen, zu bestimmten Uhrzeiten und an bestimmten (überwiegend abgelegenen) Orten stattfinden können.

Die Bundesregierung ist in ihrem Brief auf diesen Problemkomplex nicht eingegangen. Daher möchten wir die Frage stellen, ob die Bundesregierung Kentnnis von diesen Vorwürfen hat und wie sie die Vorwürfe bewertet. Diese Frage umfasst auch explizit den von uns zitierten Bericht der Togoischen Liga für Menschenrechte vom November 2019, in dem zahlreiche Beispiele zu Folter und Polizeigewalt ausführlich dokumentiert werden [3].

c) Derzeit gibt es vielfältige Hinweise, dass die Wahlergebnisse unzutreffend sind. Nicht nur der Oppositionskandidat Agbeyomé Kodjo ficht die Wahlergebnisse an. Auch die Oppositionspartei Parti National Panafricain (PNP), deren Präsident Tikpi Atchadam sich bereits seit Monaten aus Angst um sein Leben im benachbarten Ausland versteckt hält, geht von einem Wahlsieg Agbeyomé Kodjos aus. Diese Einschätzungen stützen sich einerseits auf bislang nicht öffentlich zugängliche Informationen zu den tatsächlichen Wahlergebnissen [4], andererseits auf die konkreten Bedingungen, unter denen die Wahlen stattgefunden haben: So hat die Regierung nicht nur unabhängige Wahlbeobachter*innen aus der EU abgelehnt, sondern auch zivilgesellschaftlichen Wahlbeobachter*innen eine Registrierung verweigert, die aber Voraussetzung ist, um sich in den Wahlbüros aufhalten zu können. Dies betrifft unter anderem die Katholische Kirche sowie das renomierte National Democratic Institute, dem drei Tage vor den Wahlen die Teilnahme an der Wahlbeobachtung entzogen wurde. Ergebnis war, dass von den 9000 Wahllokalen gerade einmal 280 Wahllokale beobachtet wurden. Hinzu kommen zahlreiche weitere Verstöße - teils gegen grundlegende Transparenz- und Fairnessprinzipien, teilweise gegen geltende Gesetze: So wurden die Wahlergebnisse noch am Wahlabend pauschal verkündet, nicht aber getrennt nach Wahlkreisen, was wiederum jede Wahlbeobachtung wertlos macht. Weitere Beispiele lauten: Wählerlisten enthielten falsche Namen, Bürger*innen fanden sich nicht in den Verzeichnissen und konnten nicht wählen, Wahlurnen waren bereits vor der Stimmabgabe gefüllt worden, virtuelle Wahlbüros verkündeten imaginäre Ergebnisse [5]. Hinsichtlich gesetzlicher Vorgaben ist vor allem der Umgang mit dem Verfassungsgericht hochgradig bedenklich. Denn de jure setzt sich das Verfassungsgericht aus 9 Mitgliedern zusammen. Zwei davon werden nach 155der togoischen Verfassung vom Senat benannt. Ein Senat existiert derzeit jedoch nicht, sodass zwei Richter*innen fehlen. Das Verfassungsgericht, das über etwaige Klagen gegen die Wahl zu befinden hat, ist also in seiner aktuellen Zusammensetzung weder gesetzlich noch legitim; und das umso mehr, als sämtliche 7 Richter*innen als regierungsnah gelten.

In diesem Sinnen möchten wir die Bundesregierung fragen, ob ihr diese und weitere Probleme bekannt sind. Zudem möchten wir wissen, welche Konsequenzen die Bundesregierung aus dem Umstand zieht, dass nicht nur grundlegende Transparenzregeln verletzt wurden (hinsichtlich Wahlbeobachtung etc.), sondern auch gesetzliche bzw. verfassungsmäßige Vorgaben.

d) In ihrer Antwort auf den Brief von Afrique-Europe-Interact hebt die Bundesregierung auch die wichtige Rolle der ECOWAS bezüglich der innertogoischen Krise hervor: "ECOWAS hat in den vergangenen Jahren in Togo und der Region insgesamt eine starke Rolle bei Demokratisierungsprozessen und der Vermittlung in politischen Konflikten gespielt. Vor diesem Hintergrund begrüßt die Bundesregierung die Wahlbeobachtung durch ECOWAS ausdrücklich." Grundsätzlich teilen wir die Einschätzung zur Wahlbeobachtung, denn es kann kein Zweifel bestehen, dass afrikanische Belange in erster Linie durch afrikanische Insitutionen geregelt werden sollten. Gleichzeitig darf nicht aus dem Blick geraten, dass die ECOWAS gerade in der togischen Krise eine hochgradig zweifelhafte und von der togoischen Opposition massiv kritisierte Rolle gespielt hat: Denn unter ihrer Vermittlung sind die Massenproteste Anfang 2018 zwar abgeflaut, allerdings hat die togoische Regierung keine der mit der ECOWAS vereinbarten Punkte umgesetzt; und das mit der Konsequenz, dass die Parlamentswahlen im Dezember 2018 von großen Teilen der togischen Opposition boykottiert wurden. Zu diesen Vereinbarungen gehörten unter anderem die Überprüfung der Wählerregister, die Neuzusammensetzung der Wahlkommission und die Beschränkung der Amtszeit des Präsidenten auf zwei Wahlperioden (die Beschränkung auf zwei Amtszeiten wurde zwar beschlossen, allerdings gilt diese Regelung erst seit der jüngsten Wahl, so dass Fa ure Gnassingbé zum vierten Mal antreten konnte).

Vor diesem Hintergrund möchten wir die Bundesregierung zweierlei fragen: Einerseits, ob ihr bekannt ist, dass die togoische Regierung die eben erwähnten Maßnahmen nicht umgesetzt hat. Andererseits, wie die Bundesregierung diesen Umstand bewertet, auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Nichteinhaltung der getroffenen Vereinbarungen zu einem Wahlboykott der Parlamentswahlen führte, der von der Opposition weitestgehend umgesetzt wurde.

e) Eine weitere wichtige Antwort der Bundesregierung lautete, dass Deutschland - als Ausdruck seiner Bemühungen, die Demokratisierung in Togo zu unterstützen - im Juni 2019 die Kommunalwahlen in Togo unterstützt habe, bei denen auch Kandidaten der Opposition zu Bürgermeistern gewählt worden seien, unter anderem in Lomé. Diesbezüglich ist anzumerken, dass diese erstmalig seit 32 Jahren stattgefundenen Wahlen seitens der Bevölkerung kaum angenommen wurden. So lag - nach einem Bericht der französischen Tageszeitung Le Monde vom 01.07.2019 - die Wahlbeteiligung in Lomé gerade einmal bei 25 Prozent. Hinzu kommt, dass die Opposition nur zwei der dreizehn Bürgermeisterposten in Lomé gewinnen konnte und dass die siegreichen Oppositionskandidaten seitens der staatlichen Verwaltung keine eigenen Büros erhielten, um ihre Arbeit effektiv aufnehmen zu können. Vorfälle dieser Art bestätigt auch eine im Oktober 2019 vom Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen "Les Universités Sociales du Togo? veröffentlichte Studie zu systematischen Unregelmäßigkeiten bei allen zwischen 2005 und 2019 in Togo abgehaltenen Wahlen. In Bezug auf die Kommunalwahlen 2019 heißt es auf Seite 29, dass Wahlurnen bereits vor Beginn der Wahlen gefüllt wurden, dass noch vor Schließung der Wahllokale Listen mit den Ergebnissen zirkulierten und dass nicht-registrierte Wähler*innen wählten, manche sogar mit mehreren Stimmzetteln. [6]

Angesichts dieser Erkenntisse möchten wir die Bundesregierung fragen, ob ihr die zitierte Studie bekannt ist und wie sie sie die Ergebnisse der Studie bewertet (unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt die Bundesregierung Kenntnis davon erlangt hat).

Eine nähere Beschäftigung mit den Wahlen in Togo zeigt, dass das Regime von Faure Gnassingbé zwar in Teilen der Bevölkerung Rückhalt genießt (vor allem bei Funktionären und der langsam wachsenden Mittelschicht), in demokratischer Hinsicht allerdings nicht im geringsten legitimiert ist. Umso nachdrücklicher möchten wir die Bundesregierung bitten, bei den Regierungskonsultationen mit dem togischen Regime kontinuierlichen Druck Richtung Demokratisierung auszuüben. Vor allem sollte auf keiner Ebene der Eindruck erweckt werden, dass die Präsidentschaft Faure Gnassingbés unter demokratischen Vorzeichen legitim oder gar rechtens sein könnte.

Mit freundlichen Grüßen,
Volker Mörchen


Fußnoten:

[1] Der Brief ist an folgender Stelle auf unserer Webseite dokumentiert (inklusive der Antwort der Bundesregierung):
https://afrique-europe-interact.net/1850-0-Brief-an-Bundesregierung-02-2020.html

[2] Aus Gründen des Schutzes unserer Partner*innen in Togo nennen wir in diesem Brief keine genauen Orte und Daten des Aufenthalts unserer Delgation, allerdings sind wir auf Rückfrage gerne bereit, diediesbezüglichenInformationen separat zu übermitteln.

[3] Der auf französisch erschienene Bericht kann hier runtergeladen werden:
https://www.icilome.com/logonewsx/userfiles/2019/12/878700-LTDT-RAPPORT-SUR-LES-CAS-DE-TORTURES-ET-DE-VIOLENCES-POLICIERES-AU-TOGO-2019-11.pdf

[4] Seit dem 03.03.2020 ist eine vom ehemaligen Erzbischof von Lomé Philippe Fanoko Kossi Kpodzro verantwortete Webseite mit vielfältigen Auszählungsergebnissen freigeschaltet. Eine genaue Auswertung dieser Zahlen steht noch aus:
https://initiative-mgr-kpodzro.org/election2020/

[5] Diese und viele weitere Beispiele werden in einem am 25.02.2020 veröffentlichten Bericht der Friedrich-Ebert-Stiftung detailliert aufgelistet: Hans-Joachim Preuss: Und ewig grüßt die Dynastie Die Dauerherrschaft der Familie Gnassingbé in Togo zeigt sich unantastbar. Verantwortung dafür trägt auch die gespaltene Opposition. Download:
https://www.ipg-journal.de/regionen/afrika/artikel/detail/und-ewig-gruesst-die-dynastie-4102/

[6] Die auf französisch unter dem Titel "IRREGULARITES DANS LES ELECTIONS AU TOGO : NICHES POUR LA FRAUDE ?" veröffentlichte Studie kann hier runtergeladen werden:
https://www.lesust.org/galler/rapport%20fraude%20%C3%A9lectorale%20au%20togo%202019%20ust%20basse%20d%C3%A9f.pdf

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Quelle:
Pressemitteilung vom 4. März 2020
Afrique-Europe-Interact
E-Mail: info@afrique-europe-interact.net
Internet: www.afrique-europe-interact.net


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. März 2020

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