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STANDPUNKT/051: Das Doppelspiel des Westens in der arabischen Krise (NFD)


NaturFreunde Deutschlands - 7. Februar 2011

Das Doppelspiel des Westens in der arabischen Krise

Clinton, Merkel & Co. setzen auf Zeit, nicht auf demokratische Reformen


Berlin, 7. Februar 2011 - Zu den anhaltenden Protesten in vielen arabischen Ländern erklärt der Bundesvorsitzende der NaturFreunde Deutschlands Michael Müller:

Demonstrationen mit Hunderttausenden unzufriedenen Menschen in den arabischen Ländern, in Tunesien musste der Präsident die Flucht ergreifen, in Ägypten wackelt der Thron von Mubarak, der - um sich zu retten - erst einmal die Parteiführung entlässt und mithilfe Amerikas auf Zeitgewinn hofft. Auch in Algerien, Jemen und Jordanien gibt es große Proteste, die aber nur in Jordanien friedlich verlaufen. Was geschieht da eigentlich in den arabischen Ländern?

In allen arabischen Ländern herrschen autoritäre Präsidenten, beziehungsweise Monarchen de facto auf Lebenszeit. Wahlen werden manipuliert, Unterdrückung ist die Regel, Korruption allgegenwärtig. Doch solange die arabischen Regierungen für Stabilität sorgen, wissen sie um die Zustimmung des Westens. So werden Despotismus und Unterdrückung abgesichert.

Der Ruf nach Demokratie und Freiheit wird lauter, zumal es sich um Gesellschaften mit sehr vielen jungen Menschen handelt, die sich nicht mehr unterdrücken lassen wollen. Oft ist der Auslöser für Proteste die schlechte wirtschaftliche Situation. Seit einiger Zeit steigen die Preise von Grundnahrungsmitteln und Kraftstoffen. Die Lage der Unterschicht, aber auch der unteren Mittelschicht, ist unerträglich, besonders für die Arbeitslosen.

Die Demonstranten glauben, dass eine demokratische Regierung ihre materielle Lage verbessern wird. Diese Hoffnung entlädt sich in schweren Unruhen. Eine besondere Rolle spielt die hohe Jugendarbeitslosigkeit. In Tunesien sind zwei Drittel der Bevölkerung unter 30 Jahre alt, davon rund 70 Prozent arbeitslos. In Ägypten ist zwar nur die Hälfte der Bevölkerung jünger als 30 Jahre, aber schon 90 Prozent der Arbeitslosen gehören zu dieser Gruppe. Viele wollen nach Europa.

Hinzu kommt das gewaltige Bevölkerungswachstum in diesen Ländern. Als Tunesien 1957 politisch unabhängig wurde, lebten dort fünf Millionen Menschen, heute elf Millionen. In Ägypten sind es 87 Millionen, die Bevölkerung wächst jährlich um 1,9 Prozent. Es gibt nicht genug Arbeitsplätze für alle, die soziale Lage spitzt sich zu.

Was macht der Westen? Erst hält er sich zurück, dann gibt er Erklärungen für die Demonstranten ab und nun will er vor allem Zeit gewinnen, um die Fäden in der Hand zu behalten, wie auch immer es in den Ländern weitergehen mag. Realpolitik nennt man das, was eigentlich nur knallharte Machtpolitik ist, verschleiert mit Behauptungen wie "notwendiger Aufbau der Demokratie" oder "Warnung vor zu schnellen Wahlen". Anders können die Aussagen von Hillary Clinton oder Angela Merkel auf der Münchener Sicherheitstagung nicht verstanden werden.

Man brauche erst einmal Zeit, um "den geordneten Übergang" zu ermöglichen. Clinton, Merkel & Co. geht es nicht zuerst um die Freiheit. Es geht ihnen um strategische Ziele, um ihre geo- und ressourcenpolitischen Interessen. Diese Doppelmoral ist unanständig.

Im Zeitalter des Peak-Oil, bei steigenden Rohöl-, Erdgas- und Kohlepreisen, rücken die wirtschaftlichen Interessen des Westens noch stärker ins Zentrum. Die steigenden Energiepreise sind zudem ein Faktor, der auch die Lebensmittelpreise in die Höhe treibt. Auch das gilt als Argument, die Despoten zu stützen, statt die Ursachen, insbesondere die Spekulation zu bekämpfen.

Sie - Obama und Putin, Cameron, Sarkozy und Merkel - haben kein Konzept, mit den Herausforderungen der schnell zusammenwachsenden, aber ungleichen und krisenhaften Welt fertig zu werden. Das ist der wahre Grund, warum die Unterstützung der Demonstranten in den arabischen Ländern so halbherzig ist. Es geht ihnen um die eigenen Interessen, nicht um den Freiheitsdrang der Menschen.

Der Westen - wie auch der Osten - hat diese Länder bisher nur für die eigenen Interessen genutzt, um Freiheitsrechte ging es nicht. Eine Konsequenz daraus war und ist die enge Zusammenarbeit mit dem Militär, das fast überall nicht nur der stabilisierende, sondern auch der gehätschelte Faktor ist. Das soll so bleiben, einschließlich der Ausbildung in den USA.

Die arabischen Länder haben für die Versorgung mit natürlichen Ressourcen eine herausragende Bedeutung. Obama und Clinton, Merkel und Sarkozy wollen dort Ruhe und die Entwicklung beeinflussen können. Natürlich soll eine Entwicklung wie im Iran verhindert werden, aber auch daran waren die Großmächte nicht unschuldig, weil es fast immer um wirtschaftliche und strategische Interessen ging.

Der großen Mehrheit der Demonstranten aber geht es um Freiheit und Demokratie. Doch wenn sie keine wirkliche Hilfe erhalten, werden auch fundamentalistische Entwicklungen möglich, die einzelne Länder ins Mittelalter zurückwerfen können.

Deshalb: Für Taktierei darf jetzt kein Platz mehr sein.


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Quelle:
Presseinformation vom 07.02.2011
Herausgeber: NaturFreunde Deutschlands
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2011