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STANDPUNKT/338: Die Stunde der Heuchler (Hans Fricke)


Die Stunde der Heuchler

von Hans Fricke, 8. Dezember 2013



Die weltweite Betroffenheit und Trauer über den Tod von Nelson Mandela, seine Würdigung als großen Revolutionär und herausragenden Menschen darf nicht vergessen machen, dass Nelson Mandela und seine Mitkämpfer jahrzehntelang nicht nur gegen das rassistische Apartheitregime Südafrikas und dessen Mörderbanden kämpfen mussten, sondern dass sie sich einer nahezu geschlossenen Front jener Staaten des Westens gegenüber sahen, die dieses mörderische Regime und alle seine Verbrechen bis zum Schluss aktiv unterstützten und materiell sowie personell förderten, während sie den African National Congress (ANC) unter Führung von Nelson Mandela als terroristisch denunzierten und ihn selbst als Mörder und Verbrecher verleumdeten und verfolgten.

Noch 1987 bezeichnete die englische Premierministerin Margaret Thatcher den ANC als "typische Terrororganisation", Abgeordnete ihrer Partei nannten Nelson Mandela "schwarzen Terroristen" und forderten, ihn erschießen zu lassen.

Franz Josef Strauß begeisterte sich für die Rassentrennung. Im Jahr 1988 - Nelson Mandela saß bereits seit einem Vierteljahrhundert in Haft - erklärte Strauß bei einem Dinner mit der Polit-Elite Südafrikas: "Nie in meinem 40-jährigen politischen Leben habe ich eine so ungerechte und unfaire Behandlung eines Landes erlebt, wie sie Südafrika widerfährt." Als langjähriger gern gesehener Gast des Apartheidregimes verteidigte der bayrische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender die weiße Regierung des Landes und äußerte Verständnis für die Unterdrückung der schwarzen Mehrheit durch die weiße Bevölkerung.
Noch 1988 war Strauß Ehrengast von Außenminister Pik Botha.
Es sei schlicht "unzulässig schlechterdings vom Apartheitregime zu sprechen", schrieb er einmal an seinen CDU-Kollegen Helmut Kohl. In den sechziger Jahren lobte er die "hohe religiöse und moralische Verantwortlichkeit" der politischen Führung als mögliches "Modellbeispiel" für die Welt.
Die Abschaffung der Apartheid nannte Strauß "unverantwortlich" und die Gleichstellung der schwarzen Mehrheit "nicht wünschenswert". Treffen mit ANC-Vertretern lehnte er ab.

Noch nachsichtiger gegenüber dem rassistischen Regime war die US-Regierung unter Ronald Reagan. 1980 setzten die USA Mandelas ANC auf ihre Terrorliste. Als der US-Kongress 1986 den "Comprehensive Anti-Apartheid Act" mit Unterstützung von Demokraten und Republikanern verabschiedete, der Wirtschaftssanktionen und Reisebeschränkungen gegen die südafrikanische Regierung vorsah und Mandelas Freilassung forderte, legte Reagan sein Veto ein.
Sein Schmusekurs mit der weißen Regierung folgte auch der Logik des Kapitalismus.

Dass Thatcher, Reagan und Strauß auf der Seite der rassistischen Banden und ihres brutalen Mordens und Schlachtens von Menschen standen, belegt deren Charakter und den ihrer Anhänger und Zöglinge hinreichend.

Bei einem Besuch in Washington beschimpfte der südafrikanische Bischof Desmond Tutu die Haltung der Reagan-Regierung deshalb als "unmoralisch, böse und absolut unchristlich". Er sagte die berühmt gewordenen Sätze: "Du bist entweder für oder gegen Apartheid, und damit meine ich nicht nur theoretisch. Du bist entweder auf der Seite der Unterdrückten oder auf der des Unterdrückers. Du kannst nicht neutral sein."
Reagan aber blieb stur und blockierte Mandelas Freilassung.[1]
Ein Abgeordneter, der zwei Mal gegen Mandelas Freilassung stimmte, war der spätere US-Vizepräsident Dick Cheney. Er sagte 20 Jahre später: "Der ANC wurde damals als Terrororganisation betrachtet. Ich habe überhaupt kein Problem mit meiner Entscheidung."
Erst 2008 strichen die USA den ANC von ihrer Terrorliste.

Während der heutige britische Premierminister und Tory-Chef David Cameron sich bereits 2006 bei Mandela für die Haltung der Thatcher-Regierung entschuldigte, ist in dieser Beziehung vom deutschen Regierungschef bis heute kein Wort des Bedauern zu hören.
Angela Merkel entschuldigt sich leider nicht für die jahrzehntelange Unterstützung West-Deutschlands für das Apartheidregime (die DDR unterstützte Mandela und den ANC auch materiell) und dafür, dass 1996 zahlreiche Unionsabgeordnete Mandelas Rede vor dem Bundestag verhindern wollten, da dieser ja ein Terrorist sei. Für die Glückwünsche der Union an die damalige Apartheidregierung hat sie sich leider auch nicht entschuldigt.

Offenbar ist sie wie US-Präsident Obama der irrigen Auffassung, ein schwülstiger Nachruf erspart ihnen diese längst überfällige Entschuldigung beim Volk von Südafrika.

Im übrigen ist die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen 1973 angenommene und 1976 in Kraft getretene Internationale Konvention über die Bekämpfung und Bestrafung des Apartheid-Verbrechens (deutsch in: Gesetzblatt der DDR, Teil II, 1974, S. 492 ff.) von der BRD wie von den USA offensichtlich infolge wirtschaftlicher und militärischer Interessen nicht ratifiziert worden. Auch nach "Herstellung der deutschen Einheit" durch den Einigungsvertrag von 1990 hat die Bundesrepublik nicht die Gelegenheit wahrgenommen, den 1974 vollzogenen Beitritt der DDR zur Anti-Apartheid-Konvention der UN für das ganze Gebiet Deutschlands anzuerkennen. Inzwischen ist das Apartheidverbrechen (als Art. 7 j) in den Katalog der vom Internationalen Strafgerichtshof zu verfolgenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgenommen worden.

Thejiwe Mtintso, die damalige Botschafterin Südafrikas in Kuba, charakterisierte die Heuchler des Westens bereits im Dezember 2005: "Heute hat Südafrika viele neue Freunde. Gestern haben diese Freunde unsere Führer und Kämpfer Terroristen genannt, uns aus ihren Ländern gejagt und zur gleichen Zeit das Südafrika der Apartheid unterstützt.
Diese gleichen Freunde wollen heute, dass wir Kuba denunzieren und es isolieren."
Doch es seien die Kubaner und nicht diese "neuen Freunde" gewesen, die zu Tausenden ihr Leben für die Freiheit der Völker im südlichen Afrika gegeben hätten.

Es war das sozialistische Kuba, das es damals nicht bei warmen Worten beließ, sondern dessen Soldaten für die Befreiung des gesamten südlichen Afrika vom rassistischen Apartheidregime kämpften. Insgesamt mehrere zehntausend kubanische Internationalisten hatten ab 1975 auf der Seite der Befreiungsbewegung MPLA gegen eine Intervention Südafrikas im gerade unabhängig gewordenen Angola gekämpft. Die Niederlage der Rassisten dort öffnete den Weg zur Unabhängigkeit Namibias 1990 und zur Befreiung Südafrikas.

Mandela selbst würdigte dies 1991 bei einem Staatsbesuch in Havanna: "Lang lebe die Kubanische Revolution, lang lebe Genosse Fidel Castro! Die kubanischen Internationalisten haben sehr viel für die Unabhängigkeit, Freiheit und Gerechtigkeit in Afrika getan. Wir bewundern die Opfer des kubanischen Volkes, die es bereit ist, im Kampf um seine Unabhängigkeit und Souveränität zu erbringen - gegen eine brutale imperialistische Kampagne, die die Fortschritte der Kubanischen Revolution zerstören will. Es kann keine Kapitulation geben. Die Frage lautet: Freiheit oder Tod. Die Kubanische Revolution ist eine Quelle der Inspiration für alle freiheitsliebenden Völker."
Von seinem Freund und Kampfgefährten Fidel Castro sagte Mandela, dass er der einzige Politiker gewesen sei, der ihn niemals in Stich gelassen hätte.

"All jene, die damals wie heute auf der Seite des Rückschritts und der Unterdrückung der Völker im Namen der 'westlichen Werte' stehen, die die Welt mit neokolonialistischen Kriegen, mit Hunger, Elend, Folter und Tod überziehen, versuchen nun, Nelson Mandela nach seinem Tod für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Von seinen und den Zielen der südafrikanischen Befreiungsbewegung soll im Bewusstsein der Menschen nichts übrig gelassen werden.
Doch das Gedächtnis der Menschheit wird sich nicht täuschen lassen. Wir trauern mit dem Volk Südafrikas um Nelson Mandela, den Revolutionär, Freiheitskämpfer und konsequenten Freund der Kubanischen Revolution, und weisen die nun betriebene Geschichtsfälschung in aller Schärfe zurück." ("Heuchler am Werk" von Heinz-W. Hammer, Vorsitzender der Regionalgruppe Essen der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba e.V., "junge Welt", 7./8.12.2013)

In diesem Zusammenhang verdient das Statement von Bundespräsident Joachim Gauck zum Tod von Nelson Mandela nicht zuletzt deshalb besondere Aufmerksamkeit, weil es darin u.a. heißt:
"Unvergessen auch seine Rolle im Versöhnungsprozess. Trotz der demütigenden Erfahrung von 27 Jahren Haft auf Robben Island fand er den Mut und die Kraft, nicht den Weg des Hasses zu gehen. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission, die er vorschlug, erinnerte die Menschen daran, dass nicht Rache, sondern Wahrheit, Recht und Vergebungsbereitschaft inneren Frieden befördern und Zukunft eröffnen."

Diese Worte aus seinem Munde rufen bei Millionen ehemaligen DDR-Bürgern verständnisloses Kopfschütteln, ja Empörung hervor. War er es doch, der sich als "Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR" berufen fühlte, als "Rächer" zu fungieren und als allgewaltiger Verwalter die Akten des MfS zu mißbrauchen.

Durch einen von ihm initiierten Zusatz zum Einigungsvertrag wurde der Plan der Bundesregierung zur Aktenvernichtung ausgehebelt und Gauck wurde williger Vollstrecker einer menschenfeindlichen Einigungspolitik, die bis heute anhält.

"Er wurde laut DER SPIEGEL 'Herr der Akten, der Großinquisitor', der offenbar auf Bestellung lieferte, aber auch eigene Politik betrieb. Wo immer "politischer Bedarf" war, die Gauck-Behörde war stets zur Stelle: in juristischen Prozessen, vor Wahlen, in Krisenzeiten, bei der Besetzung und Suspendierung von Ämtern, bei der Ablösung von Abgeordneten und der Vergabe von Posten. Besonders spektakulär und für viele politische und persönliche Entwicklungen einschneidend '... war die unter Missachtung elementarster rechtsstaatlicher Grundsätze praktizierte Medienpolitik der von Gauck geleiteten Behörde'.
Mit der Behauptung neutraler Auskünfte und unter dem Deckmamtel angeblicher Forschungen wurden Kontakte zum MfS angedeutet, vermutet, fingiert, konstruiert und belegt, die schwerwiegende Folgen für Betroffene hatten. Verdächtige, Beschuldigte und Opfer dieser Denunziationen und damit im Sinne der herrschenden 'Täter' waren neben Mitarbeitern des MfS überwiegend ostdeutsche Politiker, Juristen, Parlamentarier, Schriftsteller, Polizisten, Wissenschaftler, Künstler, Angestellte und Beamte, die sich für eine bestimmte Stelle im öffentlichen Dienst oder für ein Ehrenamt bewarben oder dieses bekleideten.
Gaucks Behördenauskunft war in politischen Strafverfahren zur Abrechnung mit der DDR und in Rentenangelegenheiten unentbehrlich. Schließlich waren es auch private Firmen und Einrichtungen, die zur Einholung von Auskünften gedrängt wurden, um festzustellen, ob ein Mitarbeiter MfS belastet ist.
Unter Gauck entwickelte sich eine bis heute anhaltende regelrechte Stasi-Jagd, die teilweise Progromcharakter annahm. Gegenstand waren die Tätigkeit im und jegliche Kontakte zum MfS: wie Informelle Mitarbeit (IM), Geheime Mitarbeit (GM), Überlassung konspirativer Wohnungen, dienstliche und berufliche Verbindungen - wie von Gauck selbst ausreichend praktiziert.
Oscar Lafontaine erklärte in einem Interview mit STERN: "Wir teilen die Auffassung des Willy-Brandt-Kreises der SPD, dass die Behörde, die er nach der Wiedervereinigung leitete, für die Aufarbeitung der DDR-Geschichte ungeeignet war und durch Gauck instrumentalisiert wurde, um die DDR auf allen Ebenen zu delegitimieren. Dabei wissen die Ostdeutschen, dass der protestantische Pfarrer Gauck durchaus zu jenen gehört hat, die von der Staatssicherheit auch Privilegien erhalten hat ...
Niemand kennt die genaue Zahl derjenigen, die sich nach dem Vorwurf einer Zusammenarbeit mit dem MfS und der daraufhin einsetzenden Medienkampagne, verbunden mit der Stigmatisierung, Bedrohung und Ausgrenzung das Leben nahmen. Es waren Menschen, die beim Aufbau einer neuen Gesellschaft helfen wollten und sich humanistischen Idealen verpflichtet fühlten ...
Als ein westdeutscher Historiker sich an die Gauck-Behörde mit der Frage wandte, ob nicht nach der Wende durch Stasi-Verfolgung schon mehr (Selbstmord-)Opfer als an der Mauer zu beklagen seien, bekam er die eiskalte Antwort: 'Darüber führen wir keine Statistik.'"
(Klaus Blessing / Manfred Manteuffel, "Joachim Gauck, der richtige Mann?", Edition BEROLINA)

Vor diesem Hintergrund ist es gelinde gesagt eine Zumutung, wenn ausgerechnet Bundespräsident Joachim Gauck in seinem Statement zum Tod von Nelson Mandela dessen Rolle im Versöhnungsprozess, seine Vergebungsbereitschaft und Ablehung des Weges des Hasses hervorhebt.

Das gilt auch für Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in ihrer Würdigung des Lebens von Nelson Mandela erklärt, dass er ein Gigant der Geschichte sei, der überzeugt war, dass nicht Haß und Vergeltung, sondern Versöhnung die Welt besser machen.
Sie hat als Bundeskanzlerin weder Gaucks Rachsucht als Chef der nach ihm benannten Behörde unterbunden noch ist sie bereit, die vielen Forderungen nach Auflösung dieser Mammut-Behörde zu erfüllen.


Hans Fricke ist Autor des 2010 im GNN-Verlag erschienenen Buches "Eine feine Gesellschaft; Jubiläumsjahre und ihre Tücken - 1949 bis 2010", 250 Seiten, Preis 15.00 Euro, ISBN 978-3-89819-341-2

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Quelle:
© 2013 Hans Fricke
mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Dezember 2013