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STANDPUNKT/384: Ein für alle Mal! (Uri Avnery)


Ein für alle Mal!

von Uri Avnery, 26.7.2014



IN DIESEM Krieg haben beide Seiten dasselbe Ziel: der Situation, die vor dem Krieg bestand, ein Ende zu setzen. EIN FÜR ALLE MAL!

Dem Raketenbeschuss vom Gazastreifen nach Israel ein Ende zu setzen. Ein für alle Mal.

Der Blockade des Gazastreifens durch Israel und Ägypten ein Ende zu setzen - ein für alle Mal.

Warum kommen die beiden Seiten also nicht ohne ausländische Einmischung zusammen, um sich auf ihr "wie du mir - so ich dir" zu einigen?

Sie können nicht, weil sie nicht mit einander reden. Sie können einander töten, aber sie können nicht mit einander reden. Um Himmels willen nicht!


DAS IST kein Krieg gegen Terror. Der Krieg als solcher ist ein Terrorakt.

Keine Seite hat eine andere Strategie, als die zivile Bevölkerung der anderen Seite zu terrorisieren.

Die palästinensischen Kampforganisationen in Gaza versuchen ihren Willen durchzusetzen, indem sie israelische Städte und Dörfer mit Raketen beschießen, weil sie hoffen, dass das die Moral der Bevölkerung untergaben und diese dann die Beendigung der Blockade erzwingen werde, die den Gazastreifen zu einem "Freiluftgefängnis" macht.

Die israelische Armee bombardiert die Bevölkerung des Gazastreifens und zerstört ganze Stadtteile in der Hoffnung, dass die Bewohner (die, die überleben) die Hamas-Führung abschütteln.

Beide Hoffnungen sind natürlich töricht. Die Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass die Terrorisierung einer Bevölkerung sie dahin bringt, sich hinter ihren Führern zu einigen und den Feind noch mehr zu hassen. Dies geschieht jetzt auf beiden Seiten.


WENN MAN in einem Krieg über beide Seiten spricht, kann man kaum den Eindruck der Symmetrie vermeiden. Aber dieser Krieg ist von Symmetrie weit entfernt.

Israel hat eine der größten und wirksamsten Militärmaschinerien der Welt. Hamas und seine lokalen Verbündeten kommen auf etwa ein paar Tausend Kämpfer. Wenn überhaupt.

Am besten kann man es mit der mythologischen Geschichte von David und Goliath vergleichen. Aber diesmal sind wir Goliath, und sie sind David.

Die Geschichte wird im Allgemeinen missverstanden. Es stimmt, Goliath war von riesiger Gestalt, und David war ein kleiner Hirte. Aber Goliath war bewaffnet mit altmodischen Waffen - mit schwerer Rüstung, Schwert und Schild - und konnte sich kaum bewegen, während David eine moderne Überraschungswaffe hatte: die Schleuder, mit der er aus der Entfernung töten konnte.

Hamas hoffte, dasselbe mit seinen Raketen zu erreichen, deren Reichweite eine Überraschung war. Auch die Zahl und die Wirksamkeit ihrer Tunnel, die unter die israelische Grenze reichen. Doch dieses Mal war auch Goliath erfinderisch, und die "Eiserne Kuppel"-Raketenbatterien fingen praktisch alle Raketen aus Gaza ab. Sie hätten sonst die Bevölkerungszentren, einschließlich meines Tel Aviver Stadtviertels, schädigen können.

Jetzt wissen wir, dass keine Seite die andere Seite zur Kapitulation zwingen kann. Es ist ein Unentschieden. Warum also weiter töten und zerstören?

Da liegt der Hase im Pfeffer. Wir können nicht mit einander reden. Wir benötigen einen Vermittler.


EINE KARIKATUR in Haaretz zeigte in dieser Woche, wie Israel und Hamas mit einander kämpfen und eine Schar Vermittler in einem Kreis um sie herumtanzen.

Sie wollen alle vermitteln. Sie kämpfen mit einander, weil jeder von ihnen vermitteln will, wenn möglich alleine. Ägypten, Katar, die USA, die UN, die Türkei, Mahmoud Abbas, Tony Blair und andere mehr. Vermittler in Hülle und Fülle. Jeder will aus dem Elend des Krieges etwas für sich herausschlagen.

Das ist ein erbärmlicher Haufen. Die meisten sind jämmerlich, einige ausgesprochen ekelhaft.

Sehen wir uns Ägypten an: beherrscht von einem blutbefleckten militärischen Diktator. Er arbeitet rund um die Uhr mit Israel zusammen, wie es Hosny Mubarak vor ihm getan hat, nur effizienter. Da Israel alle Land- und Meergrenzen des Gazastreifens beherrscht, ist Ägyptens Grenze Gazas einzige Verbindung mit der Welt - falls sie geöffnet ist.

Aber Ägypten, der frühere Führer der arabischen Welt, ist jetzt ein Subunternehmer Israels, noch entschiedener als Israel selbst, den Gazastreifen auszuhungern und die Hamas auszurotten. Das ägyptische Fernsehen ist voller "Journalisten", die die Palästinenser in vulgärsten Tönen verfluchen und vor ihrem neuen Pharao kriechen. Aber Ägypten besteht jetzt darauf, der einzige Vermittler für einen Waffenstillstand zu sein.

Der UN-Generalsekretär eilt durch die Welt. Er wurde von den USA für diesen Job ausgewählt, weil er nicht besonders klug ist. Jetzt sieht er bemitleidenswert aus.

Aber nicht bemitleidenswerter als John Kerry, eine pathetische Figur, die hin- und herfliegt, um jeden davon zu überzeugen, dass die USA noch immer Weltmacht ist. Vergangen sind die Tage, in denen Henry Kissinger den Führern Israels und der arabischen Länder befahl, was sie zu tun oder zu lassen hatten (besonders, dass sie nur mit ihm und nicht miteinander zu reden hätten).

Welches ist die genaue Rolle von Mahmoud Abbas? Offiziell ist er auch der Präsident des Gazastreifens. Aber er macht den Eindruck, als versuche er, zwischen der de facto Gaza-Regierung und der Welt zu vermitteln. Er steht Tel Aviv sehr viel näher als Gaza.

Und so geht die Liste weiter. Die lächerliche Figur Tony Blair. Die europäischen Außenminister, die versuchen einen Fototermin mit ihrem neofaschistischen israelischen Kollegen zu ergattern. Alle zusammen sind ein ekelhafter Anblick.

Ich möchte meiner Regierung und den Hamas-Führern zuschreien: Um Gottes willen, vergesst die ganze traurige Bande, redet mit einander!


DIE KAMPFKRAFT der Palästinenser überrascht alle, besonders die israelische Armee. Statt jetzt um eine Waffenpause zu bitten, weist die Hamas einen Waffenstillstand zurück, solange bis ihre Forderungen erfüllt seien. Benjamin Netanjahu dagegen scheint eifrig darauf bedacht, die Kampfhandlungen zu soppen, bevor Israel noch tiefer im Gaza-Morast versinkt, ein Albtraum für die Armee.

Der letzte Krieg begann mit der Ermordung des Hamas-Militärkommandeurs Ahmad al-Jaabari. Sein Nachfolger ist Mohammed Deifein, ein alter Bekannter, den Israel schon mehrfach versuchte, umzubringen, ihm aber nur schwere Verletzungen zufügte. Es scheint jetzt, dass er weit fähiger ist als sein Vorgänger - das Tunnelgewebe, die Produktion von viel wirksameren Raketen, die besser trainierten Kämpfer - all dies zeigt einen kompetenteren Führer.

(Das ist schon einmal passiert: Wir ermordeten einen Hisbollah-Führer, Abbas al-Mussawi, und bekamen einen weit talentierteren: Hassan Nasrallah)

Am Ende wird eine Art Feuerpause kommen. Es wird nicht "das Ende ein für alle Mal" sein. Das ist niemals so.


DER HASS zwischen beiden Seiten ist gewachsen. Er wird bleiben.

Der Hass vieler Israelis auf Israels arabische Bürger ist beträchtlich gewachsen, und das kann lange Zeit nicht verbessert werden. Israels Demokratie hat einen harten Schlag bekommen. Neo-faschistische Gruppen, einst eine Randerscheinung, sind nun vom Mainstream akzeptiert worden. Einige Minister und Knesset-Abgeordnete sind ausgesprochen faschistisch.

Sie werden jetzt von fast allen Weltführern anerkannt und wiederholen wie ein Papagei Netanyahus abgedroschene Propagandaslogans. Aber Millionen in aller Welt haben Tag für Tag die schrecklichen Bilder der Zerstörung und des Todes im Gazastreifen gesehen. Die werden nicht durch eine Feuerpause aus ihrem Gedächtnis getilgt. Israels bereits unsichere Position in der Welt wird sich sogar noch mehr verschlechtern.

Innerhalb Israels selbst fühlen sich anständige Leute immer unwohler. Ich habe viele Äußerungen von einfachen Leuten gehört, die plötzlich an Auswanderung denken. Die erdrückende Atmosphäre innerhalb des Landes, der schreckliche Konformismus all unserer Medien (mit Haaretz einer leuchtenden Ausnahme) die Sicherheit, dass ein Krieg ständig auf den andern folgt - all dies bringt junge Leute dazu, von einem ruhigen Leben mit ihren Familien in Los Angeles oder Berlin zu träumen.

In der arabischen Welt werden die Konsequenzen noch schlimmer sein.

Zum ersten Mal waren fast alle arabischen Regierungen im Kampf gegen die Hamas auf Israels Seite. Für junge Araber überall ist dies ein Akt beschämender Demütigung.

Der arabische Frühling war ein Aufstand gegen die korrupte, unterdrückerische und schamlose arabische Elite. Die Identifizierung mit dem Elend des verlassenen palästinensischen Volkes war ein Teil davon.

Was jetzt geschehen ist, ist vom Standpunkt der heutigen jungen Araber noch schlimmer, viel schlimmer. Die ägyptischen Generäle, die Saudi-Prinzen, Kuweits Emire und ihre Kollegen in der ganzen Region stehen nackt vor der jungen Generation und verachtenswert, während die Hamas-Kämpfer wie leuchtende Beispiele aussehen. Leider kann diese Reaktion zu einem noch radikaleren Islamismus führen.


WÄHREND ICH in einer Anti-Kriegs-Demonstration in Tel Aviv stand, wurde ich von einem netten jungen Mann gefragt: "OK, nehmen wir an, dass dieser Krieg schlecht ist, was würden Sie 'um sechs Uhr abends nach dem Krieg' tun?" (Das ist der Titel eines berühmten sowjetischen Filmes über den Zweiten Weltkrieg.)

Nun, ich würde damit beginnen, alle Vermittler zu vertreiben, um direkt mit den Kämpfern auf beiden Seiten zu sprechen.

Ich wäre damit einverstanden, der Blockade des Gazastreifens zu Lande und zu Wasser sofort ein Ende zu bereiten und den Gazaern zu erlauben, einen anständigen Hafen und Flughafen zu bauen. Auf allen Straßen müssten wirksame Kontrollen dafür sorgen, dass keine Waffen hereinkommen.

Ich würde verlangen, dass die Hamas, nachdem sie internationale Garantien erhalten hat, in vernünftigen Zeitabschnitten alle Raketen entfernt und alle Tunnel unter der Grenze zerstört.

Ich würde sicher sofort alle Shalit-Austauschgefangenen freilassen, die zu Beginn dieser Krise wieder verhaftet worden waren. Eine Verpflichtung, die unter Druck eingegangen worden ist, bleibt eine Verpflichtung und von einer Regierung betrogen zu werden ist immer noch widerwärtig.

Ich würde die palästinensische Einheitsregierung anerkennen und die Welt dazu aufrufen, sie anzuerkennen und ich würde freie Wahlen eines palästinensischen Präsidenten und Parlaments unter internationaler Aufsicht nicht behindern. Ich würde die Ergebnisse respektieren, egal wie sie ausfallen.

Ich würde sofort aufrichtige Friedensverhandlungen mit der vereinten Palästinensischen Führung beginnen, und zwar auf der Grundlage der Arabischen Friedensinitiative. Jetzt, da so viele arabische Regierungen Israel akzeptieren, scheint es eine einmalige Chance für eine Friedensinitiative zu geben.

Kurz gesagt: macht ein Ende mit dem Krieg.

EIN FÜR ALLE MAL.



Copyright 2014 by Uri Avnery

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Redigiert von der Schattenblick-Redaktion

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Quelle:
Uri Avnery, 26.07.2014
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2014