Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → MEINUNGEN


STANDPUNKT/454: Katzen im Sack (Uri Avnery)


Katzen im Sack

von Uri Avnery, 25. April 2015


ES IST ein ziemlich ekelhaftes Spektakel.

Die israelische Rechte hat einen riesigen Wahlsieg errungen. (Bei näherer Prüfung war der Sieg nicht ganz so riesig. Tatsächlich war es überhaupt kein Sieg. Der riesige Sieg des Likud wurde nur auf Kosten anderer rechter Parteien errungen.)

Der rechte Block als Ganzes ist überhaupt nicht vorangekommen. Um eine Mehrheitskoalition zu bilden, ist die Partei von Moshe Kahlon nötig; die Mehrheit seiner Wähler sind mehr links als rechts. Kahlon hätte leicht überzeugt werden können, sich einer linken Koalition anzuschließen, wenn der Führer der Labor-Partei, Jitzhak Herzog eine resolutere Persönlichkeit gewesen wäre.

Sei es, wie es sei, Benjamin Netanjahu ist jetzt eifrig dabei, seine Regierung zu bilden.

An der Stelle wird es ekelhaft.


EIN KAMPF geht weiter. Ein Kampf aller gegen alle. Ein Kampf ohne Regeln oder Grenzen.

Jeder will Minister werden. Jeder in Likud und den anderen voraussichtlichen Koalitions-Parteien. Politiker in Hülle und Fülle.

Und nicht nur irgendein Minister. Die Ministerien sind nicht gleich. Einige sind angesehener andere weniger angesehen. Man kann das besonders wichtige Finanzministerium (das Kahlon schon für sich gesichert hat) nicht mit dem Umweltministerium vergleichen, das von allen und jedem verachtet wird. Noch das Bildungsministerium mit seinen Tausenden von Beschäftigten (Lehrern u.ä.) oder das Ministerium für Gesundheit (mit seinen vielen Ärzten, Krankenpflegern und anderen), mit dem Sportministerium (das kaum Angestellte hat).

Es gibt mehrere Klassen von Ministerien. An der Spitze stehen die drei Großen - das Verteidigungs-, das Finanz- und das Außenministerium. Das Verteidigungsministerium wird gewöhnlich bewundert ("unsere tapferen Soldaten") und erhält einen riesigen Anteil des Staatsbudgets. Jedermann und seine Frau (wie wir im hebräischen Slang sagen) will Verteidigungsminister werden.

Beamte des Verteidigungsministeriums verachten Beamte des Außenministeriums - wie übrigens das ganze Land. Die Cocktail-Schlürfenden sind keine wirklichen Männer (noch wirkliche Frauen). Doch der Posten des Außenministers ist heiß umworben. Er (oder sie) reist die ganze Zeit herum und vertritt den Staat, wird mit den Größen der Welt fotografiert. Und last not least: ein Außenminister kann keine Fehler machen. Wenn Beziehungen mit dem Ausland falsch laufen, klagt keiner den Außenminister an. Wenn überhaupt, dann ist es der Ministerpräsident, der angeklagt wird.


AM MORGEN einer Wahl, wenn der Schlachtenstaub sich gelegt hat, schielen Dutzende von Politikern nach den wenigen Ministerien.

Alle führenden Kandidaten der voraussichtlichen Koalitionsparteien werfen begehrliche Blicke auf die noch leeren Ministerstühle. Eines der großen drei Ministerien? Wenn das nicht, dann doch eines der wünschenswerten mittleren? Wenn auch das nicht, dann doch wenigstens eins der kleineren? Oder vielleicht Ministerstellvertreter? Das Wasser läuft ihnen im Mund zusammen.

Das Problem ist: das israelische Gesetz bestimmt, dass die Regierung nur aus 18 Ministerien bestehen darf. Keine "Minister ohne Portefeuille". Die Zahl der vertretenden Minister ist auch streng begrenzt.

Wer hat wohl solch ein stupides Gesetz verabschiedet? Ich denke, es war Yair Lapid, der in einem Moment der Anmaßung veranlasste, das Gesetz zu verabschieden. Es ist natürlich weitgehend populär. Es spart Geld. Jeder Minister, selbst ohne Geschäftsbereich, ist berechtigt, eine geringe Anzahl von Mitarbeitern, ein Büro, einen Dienstwagen mit Chauffeur zu haben. Verglichen mit dem Preis eines einzelnen Kampfflugzeuges, ist das nichts. Aber für die Allgemeinheit ist es ein Symbol der Verschwendung. Also haben wir dieses Gesetz.

Wie bringt man 40 ehrgeizige Politiker in 18 Ministerien unter? Es geht nicht. Entweder man verändert das Gesetz - wie jetzt viele verlangen - oder man weist sehr viele verärgerte Politiker ab - auf eigenes Risiko.

Man kann einige von ihnen mit kleineren Posten vertrösten, als Vorsitzende/r eines Knesset-Komitees oder als Botschafter. Es ist allerdings nicht dasselbe.


ALL DIES ist menschlich, all zu menschlich. Politiker sind Menschen. Wenigstens die meisten.

Warum bin ich also so angewidert?

Vielleicht sollte ich dies erklären.

In mittelalterlichen Zeiten, als eine Armee, hauptsächlich aus Söldnern bestehend, eine Stadt eroberte, plünderte sie diese. Die Bürger wurden getötet, Frauen vergewaltigt, aber vor allem wurde Besitz gestohlen. In einer modernen, demokratischen Gesellschaft sollten Politiker nicht dasselbe dem Land antun, das sie gewählt hat.

Ein Regierungsministerium ist keine Beute. Stimmt, in den USA gab es eine Redensart: "Dem Sieger die Beute", und von der Siegerpartei wurde erwartet, dass sie alle Regierungsjobs im Land an ihre Strohmänner verteilt. Aber das war vor langer Zeit - im letzten Jahrhundert.

Ein Minister wird beauftragt, einen bestimmten Teil der Regierungsfunktionen zu übernehmen. Er oder sie macht bedeutende Entscheidungen, die das Leben der Bürger beeinflusst. Die Öffentlichkeit hat das Recht, zu erwarten, dass alle Regierungsämter und -dienste auf die bestmögliche Weise von den qualifiziertesten Leuten ausgeübt werden.

Warum sollte also ein Ministerium - sagen wir das Umweltministerium - von einem politischen Dummkopf geführt werden, der keine Ahnung von dem hat, was ihm oder ihr anvertraut wird? Oder noch schlimmer, von einem politischen Nichtsnutz, dem alles schnuppe ist, der nur die Zeit ohne eklatantes Missgeschick verbringen will, bis ein besseres Ministerium in seine/ihre Hände fällt.

Aber die Umwelt ist eine sehr wichtige Sache. In ihr geht es um das Leben der Menschen. Gerade jetzt ist ganz Israel empört über den Verdacht, dass die großen chemischen Fabriken in der wunderschönen Bucht von Haifa für die vielen Krebsfälle unter den dort heimischen Kindern verantwortlich sind. Und der Minister? Ich weiß nicht einmal, wer dies ist.



ICH ERINNERE mich an ein krasses Beispiel.

Als Ehud Barak, der Führer der Labor-Partei, 1990 einen überwältigenden Wahlsieg über Benjamin Netanjahu errungen hatte und er seine Ministerliste veröffentlichte, stockte allen der Atem.

Was wie ein sadistischer Streich aussah: Barak ernannte lauter falsche Leute für die falschen Jobs. Der freundliche Professor für Geschichte Shlomo Ben Ami wurde Minister der Polizei, wo er elendiglich scheiterte. Yossi Beilin, der sich als bedeutender Staatsmann betrachtete, wurde ins Justizministerium geschickt, usw.

Nun mag etwas Ähnliches geschehen. Likuds "Bogie" Ya'alon, der gewöhnlich als "Bock" (vom deutschen Wort Ziegenbock) betrachtet wird, wird im Amt bleiben. Keine regierende Partei wird jemals das Verteidigungsministerium aufgeben.

Die Wahl von Kahlon als Finanzminister könnte vernünftig sein - aber dies wird Netanjahu aufgenötigt, da er ohne Kahlon keine Regierung hat.

Avigdor Lieberman scheint ein "Kushan" auf das Außenministerium zu haben, (ein Kushan war ein Zertifikat für Besitz in den guten alten Tagen des Osmanischen Reiches). Obwohl er von seinen Wählern bei der Wahl abgestraft wurde (seine Partei verlor die meisten ihrer Sitze), bestand Netanjahu darauf, dass er in seinem Amt bleibt, in dem er eine Katastrophe war. Viele Außenminister in aller Welt weigern sich, ihn zu treffen, weil sie ihn für einen Beinah-Faschisten halten. Er war stolz auf seine Freundschaft mit Vladimir Putin, aber jetzt, wo Russland versprach, seine unübertroffenen Boden-Luft-Raketen an den Iran zu liefern, setzte dies Netanjahus Träumen, Irans Nuklearanlagen zu bombardieren, ein Ende.

Dies lässt für Naftali Bennet, den extrem-rechten "natürlichen Verbündeten" von Netanjahu, nichts übrig, und in diesem Moment sind die Koalitions-Erbauer eifrig dabei, das Wirtschaftsministerium zu erweitern, um ihn damit zu trösten. Mehrere Funktionen müssen zusammengescharrt werden, egal, ob dies nützlich ist oder nicht.

Ist das gut? Eine effiziente Regierung? Nun ja.


DIE WURZEL des Übels ist die Kombination von zwei sehr verschiedenen Eigenschaften unseres demokratischen Systems - und nicht nur unseres.

In diesem System werden Politiker Minister. Das scheint ganz natürlich. Tatsächlich ist es das nicht.

Politiker sind angeblich hoch motiviert, hoch intelligent, hoch begabte Verwalter. In Wirklichkeit sind sie es nicht.

Im Gegensatz zur landläufigen Auffassung ist Politik ein Beruf. Man sagt, es sei ein Beruf für jene, die keine Talente haben. Aber das stimmt nicht ganz. Politiker benötigen bestimmte Begabungen, aber diese haben nichts mit denen zu tun, die von einem Abteilungsleiter verlangt werden.

Ein Politiker muss in der Lage sein, jahrelang sich endlos leere Reden von Partei-Schreiberlingen anzuhören, an endlos langen Zusammenkünften teilzunehmen, Mitglied endloser Komitees zu sein. Er muss bereit sein, Leuten zu schmeicheln, die er verachtet, an Hochzeiten und Beerdigungen teilzunehmen und bei all diesen Ereignissen totlangweilige Reden zu halten.

Danach, wenn er die Spitze erreicht hat, wird er auf einmal aufgefordert, das Gesundheitsministerium zu leiten - ohne irgendwelche Qualifikation auf diesem Gebiet. An dieser Stelle liegt der sprichwörtliche Hund begraben.

In Großbritannien hat man eine Lösung gefunden: Das Ministerium wird tatsächlich von Berufsbeamten geführt. Der Minister, der oft ein Objekt stiller Belustigung ist, hat nur mit dem Beschaffen der Geldmittel zu tun. Man sehe sich nur die lustige TV-Serie "Ja, Minister!" an.

Ein ganz anderes System herrscht in den USA. Die Menschen wählen einen Präsidenten, und er allein ernennt die Minister, die häufig überhaupt keine Politiker sind. So kann er Experten ernennen, deren Fähigkeiten sich bereits erwiesen haben.

In Israel kombinieren wir das Schlechteste aus allen Systemen. Alle Minister sind Partei-Politiker. Sie bringen ihre Strohmänner mit, die die Hauptpositionen in den Ministerien besetzen.

Eine Folge dieses Systems ist, dass verschiedene Ministerien verschiedenen Parteien angehören. Das macht ein gemeinsames Planen fast unmöglich - abgesehen von der Tatsache, dass Israelis im Allgemeinen nicht in der Lage sind, etwas zu planen. Tatsächlich sind wir sehr stolz auf unsere Fähigkeit zu "improvisieren".

Als er noch Minister für Landwirtschaft war, erzählte mir Ariel Sharon einmal: "Wenn ich etwas tun will, für das ich nur mein eigenes Ministerium benötige, kann ich es tun. Wenn ich etwas tun will, das die Zusammenarbeit mehrerer Ministerien voraussetzt, kann ich es nicht tun."


WENN MAN einen Sack mit Katzen füllt, wird man wegen Tierquälerei angeklagt.

Aber was ist das, verglichen damit, Politiker in 18 Ministerien zu stecken?



Copyright 2015 by Uri Avnery

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Redigiert von der Schattenblick-Redaktion

*

Quelle:
Uri Avnery, 25.04.2015
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang