Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → MEINUNGEN


STANDPUNKT/509: Ariels Katzen (Uri Avnery)


Ariels Katzen

von Uri Avnery, 4. November 2015


JEDES MAL, wenn man denkt, die Grenze ist erreicht, taucht wieder etwas auf, und die Grenze verschiebt sich.

Man mag gedacht haben, dass die Hitler-Mufti-Geschichte die absolute Grenze des Wahnsinns wäre. Aber nun kommt Uri Ariel und beweist, dass das falsch ist. Ariels Katzen sind noch schlimmer als Netanjahus Mufti.

Ariel ist Minister. Ein Minister für was? Fast keiner weiß das genau. Bis jetzt. Jetzt kommt heraus, dass er der Minister für Landwirtschaft ist.

Als solcher ist er auch Minister für Katzen. Ja, ja - ich mache keinen Scherz. Selbst in Israel sind Katzen keine landwirtschaftlichen Tiere. Sie ziehen keinen Pflug und legen keine Eier. Sie werden nur kastriert.

Und hier liegt der Hase im Pfeffer. Israel ist voller Katzen. Die Leute lieben sie. Aber je mehr sie sich vermehren, um so weniger haben sie zu fressen. Also hat vor einiger Zeit die Regierung sich darum bemüht, besitzerlose Katzen zu fangen und sie zu kastrieren, um die Katzen-Population zu dezimieren und ihnen ein anständiges, katzenwürdiges Katzenleben zu ermöglichen.

Wer bezahlt das? Der Minister für Landwirtschaft, natürlich. Wer sonst?

(Warum? Keiner weiß es. Dafür muss es irgendeinen verborgenen Grund geben.)

Kommen wir zu Ariel. Er ist ein Politiker vom extremsten rechten Flügel. In anderen Ländern würde man ihn vielleicht einen Faschisten nennen, aber in Israel mögen wir das F-Wort nicht.

Er wurde in einem religiösen Kibbuz geboren - von denen es einige gibt - schloss sich einer Siedlung an und wurde ein Führer in der Siedlerbewegung. Als Rehavam Zeevi, mit Spitznamen Gandhi, der Schutzheilige der äußersten Rechten, ermordet wurde, übernahm Ariel seinen Sitz in der Knesset. Mit seinen fanatischen Nachfolgern gründete Ariel eine extreme Partei, schloss sich einer anderen extrem-rechten Partei an, trennte sich von ihr, schloss sich einer anderen rechten Partei an. Gegenwärtig gehört er einer Unterpartei der "Jüdisches Heim-Partei" an und ist Minister. Wie schon gesagt.

Ariel ist eine ernste Person. Ich hab ihn niemals lächeln gesehen. Tatsächlich habe ich den Verdacht, dass seine Oberlippe gelähmt ist. Er ist keiner der alltäglichen männlichen und weiblichen Demagogen, mit denen die gegenwärtige Regierung reichlich versehen ist. Er ist wirklich ernst.

Im letzten Jahr war er der Minister für Hausbau, ein außerordentlich passender Job, da seine Hauptfunktion ist, die Siedler mit Wohnungen zu versehen. Aber nach der letzten Wahl wurde er nur Landwirtschaftsminister, und schien - passenderweise - dahinzuvegetieren.

Siedler sitzen auf einer Menge arabischem Ackerland, aber sie betreiben nicht wirklich Landwirtschaft. Ihre Haupt-Aktivität in der Landwirtschaft scheint das Herausreißen der benachbarten arabischen Olivenbäume zu sein.

Bis jetzt.


JETZT KOMMT GOTT dazu. Gott schuf alle Lebewesen und sagte zu ihnen: "Mehret euch!" Es ist das erste von Gottes unzähligen Geboten. Deshalb ist das Kastrieren streng verboten.

Als neuer Minister für Landwirtschaft entdeckte Ariel zu seinem Schrecken, dass sein Ministerium Geld bekam, um die Katzen zu kastrieren. Schrecklich. Eine schändliche Sünde in den Augen Gottes!

Also verordnete der Minister, mit dieser gottlosen Praxis sofort aufzuhören. Aber was sollte man mit den Katzen tun? Ariel dachte lange nach und kam auf sein Lieblingswort: Transfer.

Wenn israelische Faschisten dieses Wort benutzen, meinen sie normalerweise den Transfer von Arabern. Ariels verschiedene, bei ihm aufeinander folgende Parteien sprachen alle von "Transfer" (sie gebrauchen auch im Hebräischen das englische Wort transfer) - Transfer aus der Westbank, Transfer aus dem Gazastreifen, Transfer aus Ost-Jerusalem, Transfer auch aus dem eigentlichen Israel. Während er also intensiv über die Katzen nachdachte, fand er offensichtlich die Lösung: warum sie nicht auch transferieren?

Einfach genial. Aber wohin? Der Minister konnte sich natürlich nicht mit solchen Kleinigkeiten abgeben. Irgendwohin transferieren. In ein afrikanisches Land. Mozambik, Zimbabwe? Viele afrikanische Länder würden sie für viel (natürlich von den USA geliefertes) Geld nehmen. Sie sind nicht jüdisch, sie könnten sie kastrieren und zur eigenen Zufriedenheit töten.


DOCH WIE Netanjahu und sein Mufti, so lösten Ariel und seine Katzen einen Sturm aus. Israel ist voller Tierliebhaber, Kämpfer für Tierrechte und dergleichen. Sie erhoben sich wie ein Mann, um gegen diesen neuen Holocaust zu protestieren.

Ariel musste einen Rückzieher machen. Kein Transfer. Was also mit den Katzen tun? Das weiß im Augenblick keiner.

(Ehrlich gesagt: ich bin auch ein Tierliebhaber, ich liebe besonders Katzen. Ich brachte einmal eine kleine Katze nach Hause und nach kurzer Zeit hatte meine drei-Zimmerwohnung 13 Katzen - abgesehen von ihren beiden Untermietern, meiner Frau und mir. Jetzt habe ich keine; aber die Katzen auf meiner Straße bekommen immer etwas von meinen Mahlzeiten).


JETZT AMÜSIERT sich das ganze Land darüber, aber es ist keine witzige Angelegenheit. Die äußerst rechte Regierung leidet unter einer wahren Gesetzgebungs-Manie, die jede Woche neue Höhepunkte erreicht.

Abgeordnete der Koalition - Minister und einfache Knesset-Abgeordnete - wetteifern miteinander darin, lächerliche oder grauenhafte oder sowohl lächerliche als auch grauenhafte Gesetzesvorlagen vorzulegen. Regierungs-Gesetzgeber führen einen wahren Veitstanz auf.

In dieser Woche erließ die Knesset ein Gesetz, das Richter dazu zwingt, Steine-Werfer, auch 13jährige Kinder, zu einer Mindestgefängnisstrafe von - je nach den Umständen - zwei oder vier Jahren zu verurteilen. In Israel sind Kinder unter 14 Jahren nicht strafmündig, aber es wurde eine Lösung dafür gefunden: Die Staatsanwälte ziehen ihre Gerichtsfälle so weit hinaus, bis die Angeklagten den 14. Geburtstag erreicht haben.

Die Eltern der nach diesem Gesetz verurteilten Kinder verlieren für diese Zeit alle Sozialleistungen und müssen eine Geldstrafe von 10.000 Schekel (2500 US$) zahlen.

Ein anderer neuer Gesetzentwurf schreibt vor, dass es Friedens- und Menschenrechts-Aktivisten nicht erlaubt sei, das Knesset-Gebäude ohne ein Sonderabzeichen zu betreten. Dies gilt nur für Mitglieder von Vereinigungen, die von ausländischen Regierungen Geld erhalten.

Viele Israelis werden an Nazibefehle erinnert, Juden mußten immer einen gelben Davidstern tragen. Einige schlugen sogar vor, dass das Abzeichen gelb sein und die Form eines sechszackigen Sterns haben sollte.

Diese Vereinigungen (darunter bekannte wie B'Tselem, eine Vereinigung, die sogar von der Armee respektiert wird) müssten bei ihrer gesamten Korrespondenz ihre ausländischen Finanzquellen angeben.

Der Trick hinter diesem Vorschlag ist, dass rechte Vereinigungen keine Unterstützung ausländischer Regierungen brauchen, weil sie in dem Geld schwimmen, das von ausländischen Juden bereitgestellt wird. Sheldon Adelson zum Beispiel ist reicher als viele Regierungen und er ist nur einer der Multi-multi-Milliardäre, die ganz offen Netanjahu und die Likud-Partei finanzieren.

Die EU und einige einzelne europäische Regierungen unterstützen einige Friedens- und Menschenrechtsvereinigungen (leider nicht Gusch Schalom) - sehr zum Kummer von Likud-Abgeordneten. Daher kommt die neue Idee.

Ein weiterer neuer Gesetzentwurf wird das Gesetz gegen Aufwiegelung verändern. Bis jetzt musste man, um jemanden (gemeint ist: einen Araber) wegen Aufwiegelung verurteilen zu können, beweisen, dass die direkte und unmittelbare Gefahr bestand, dass seine Worte zu terroristischen Aktionen führen würden. Jetzt nicht mehr. Da alle Araber sagen und schreiben, dass sie gegen die Besetzung sind, kann nach diesem Gesetz nun jeder verurteilt werden.

Dann gibt es noch das "Nationalgesetz". Es besagt, dass Israel der Nationalstaat des jüdischen Volkes" ist. Das ist natürlich ziemlich albern: ein Volk und eine Nation sind zwei sehr verschiedene Begriffe.

Nach der bestehenden rechtlichen Formel ist Israel "ein jüdischer und demokratischer Staat". Beide Begriffe sind hier gleich. Der neue Gesetzentwurf sagt in seiner ursprünglichen Version, wenn ein Widerspruch zwischen dem "jüdischen" und dem "demokratischen" Charakter des Staates besteht, dann müsse der "demokratische" dem "jüdischen" weichen. In einfachen Worten: Israel hört auf, demokratisch zu sein.

Es gab daraufhin einen öffentlichen Aufschrei, woraufhin diese Worte fallen gelassen wurden. Aber auch so diskriminiert der Gesetzentwurf die 20 Prozent Bürger Israels, die Araber sind, und weitere 5 Prozent, die aus religiösen Gründen nicht als Juden anerkannt werden.

Dann ist da noch Ayelet Shaked, die Justizministerin, die die Hauptfeindin des Obersten Gerichtes ist. Dieses ehrenhafte Institut ist die Hauptstütze der Besatzung, aber in einzelnen Fällen blockiert es manchmal die Regierung. Die Ministerin, die sich auf ihr gutes Aussehen verlässt, sagt und tut die scheußlichsten Dinge. Sie fand für dieses Ärgernis eine Medizin: die Schaffung eines parallelen Gerichtshofs.

Dieses Gericht, das Gericht der Nationalen Sicherheit, würde für alle Fälle zuständig sein, bei denen die Regierung nicht erwarten kann, dass das Oberste Gericht in ihrem Sinn urteilt. Solche Gerichte bestehen schon in vielen totalitären Ländern.


DER EIFER der Minister erinnert mich an einen Witz, der in unserer Armee umlief.

Es gibt vier Arten von Offizieren: 1. der intelligente und fleißige, 2. der intelligente und faule, 3. der dumme und faule, 4. der dumme und fleißige.

Sie werden im Folgenden nach dieser Ordnung bewertet: Die besten sind die intelligenten und fleißigen: Sie tun viel und alles, was sie tun, ist gut. Dann kommen die intelligenten und faulen: Sie tun wenig, aber was sie tun, ist gut. Dann kommen die dummen und faulen: Alles, was sie tun, ist schlecht, aber Gott sei Dank tun sie nicht viel. Die vierte Kategorie ist die schlimmste: Sie tun eine Menge, aber alles, was sie tun, ist katastrophal.


ALL DIES geschieht in einem Land, das noch immer als die "einzige Demokratie im Nahen Osten" bekannt ist. Man kann sich nur fragen, wie lange diese Bezeichnung von der zivilisierten Welt akzeptiert wird.

Vor kurzem sagte Netanjahu etwas, das die Welt hätte schockieren können, wenn die Welt zugehört hätte. Aber Netanjahu hat so viel Dinge gesagt, dass sogar viele Israelis aufgehört haben, ihm zuzuhören.

Eines der bekanntesten Sätze in der Bibel ist eine Frage, die Avner an Yoav richtet. Avner war König Sauls Armeechef. Yoav war der Kommandeur unter David. Nach einem langen Bürgerkrieg, der von David gewonnen wurde, wandte sich Avner (nachdem ich mich selbst genannt habe) an Yoav und fragte: "Soll das Schwert (uns) auf immer verschlingen? Weißt du nicht, dass daraus am Ende nur Jammer kommen wird? (2. Samuel 2,26.) Yoav hörte nicht auf ihn und am Ende tötete er Avner.

Im alten Hebräisch liest sich der Text buchstäblich: "Willst du immer und ewig das Schwert fressen?"

In dieser Woche beantwortete Netanjahu die alte Frage. Er sagte dem israelischen Volk: "Wir werden immer und ewig das Schwert fressen!"

In die heutige Sprache umgesetzt: "Ja, wir werden immer und ewig durch das Schwert leben. Es wird nie Frieden sein."

Es ist nicht so, dass Netanjahu den Krieg liebt. Er weiß nur, dass, um Frieden zu erreichen, wir die besetzten Gebiete zurückgeben müssen. Weder er noch die Leute, die ihn umgeben, sind bereit, dies zu tun.

Das ist das ganze Problem auf den Punkt gebracht.



Copyright 2015 by Uri Avnery

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Redigiert von der Schattenblick-Redaktion

*

Quelle:
Uri Avnery, 04.11.2015
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang