Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → MEINUNGEN


STANDPUNKT/539: Eine Dame mit einem Lächeln (Uri Avnery)


Eine Dame mit einem Lächeln

von Uri Avnery, 13. Februar 2016


ES IST nicht leicht, ein Araber in Israel zu sein.

Es ist nicht leicht, eine Frau in der arabischen Gesellschaft zu sein.

Es ist nicht leicht, ein Araber in der israelischen Politik zu sein.

Es ist sogar noch weniger leicht, eine arabische Frau in der Knesset zu sein.

Hanin Soabi ist all dies zugleich. Vielleicht hat sie deshalb ständig ein Lächeln auf den Lippen - das Lächeln eines Menschen, der schließlich doch siegreich war.

Dieses Lächeln kann sehr verärgern. Verärgern und provozieren.

Dieser Tage hat Soabi etwas erreicht, von dem keine arabische Frau in Israel jemals geträumt hat: das ganze Land spricht über sie. Nicht eine Stunde, nicht einen Tag lang, sondern wochenlang.

Der größte Teil der jüdischen Israelis hasst sie. Soabis Lächeln ist triumphierend.


HANIN GEHÖRT zu einem großen Familien-Clan, der in mehreren Dörfer bei Nazareth herrscht. Zwei Soabis waren in den frühen Tagen der Knesset dort Abgeordnete - einer war ein Vassall der damals herrschenden zionistischen Labor-Partei gewesen, der andere ein Mitglied der linken zionistischen Mapam-Partei. Er war es, der den denkwürdigen Satz prägte: "Mein Land ist mit meinem Volk im Krieg".

Hanin Soabi ist ein Mitglied der Balad ("Heimat")-Partei, eine arabische, nationalistische Partei, die von Asmi Bishara, einem israelisch-palästinensischen Intellektuellen, gegründet wurde. Bishara war ein Bewunderer von Gamal Abd-al-Nasser und seiner pan-arabischen Vision. Als der Shin Bet im Begriff war, ihn unter irgendeinem Vorwand zu verhaften, behauptete er, er leide an einer ernsten Nierenerkrankung, das Gefängnis würde sein Leben gefährden und floh aus dem Land.

Er ließ eine Knesset-Fraktion mit drei Abgeordneten zurück, das war eine von drei arabischen Fraktionen ähnlicher Größe. Sie alle waren eine ständige Irritation ihrer jüdischen Kollegen. Deshalb erfanden diese ein Gegenmittel. Ein neues Gesetz wurde verabschiedet, das jeder Partei, die nicht genügend Wähler für eine Vier-Mitglieder-Fraktion zusammenbekam, den Zugang zur Knesset versperrte. (Eine höhere Prozenthürde hätte die Orthodoxe Jüdische Partei gefährdet.)

Die Logik war einfach: die drei kleinen arabischen Fraktionen hassten sich gegenseitig. Eine war kommunistisch (mit einem jüdischen Mitglied), eine war islamistisch und eine war nationalistisch (Balad).

Aber siehe da: wenn sie mit Vernichtung bedroht werden, können sich sogar Araber einigen. Sie bildeten eine "Gemeinsame Liste" ("Gemeinsame" nicht "Vereinigte") und gewannen so 13 Sitze - drei mehr als vorher. Sie sind jetzt die drittgrößte Fraktion in der Knesset, direkt nach Likud und Labor, ein Ärgernis für viele ihrer Kollegen.



DIES IST der Hintergrund des neuesten Skandals.

Seit Monaten ist Israel jetzt mitten in einer Mini-Intifada. In den zwei früheren Intifadas handelten "Terroristen" in Gruppen unter Befehlen von Organisationen, die leicht infiltriert werden konnten. Dieses Mal handeln einzelne alleine oder zusammen mit Cousins, denen man vertrauen kann, ohne dass es zuvor Anzeichen dafür geben würde. Die israelischen Kräfte (Armee, Polizei, Shin Bet) bekommen vor diesen Taten keinerlei Informationen im Voraus und können sie daher nicht verhindern.

Außerdem sind viele der heutigen "Terroristen" Kinder - Jungen und Mädchen - die nur ein Messer aus der Küche ihrer Mutter mitnehmen und ganz spontan losrennen und den nächsten Israeli angreifen. Einige von ihnen sind 13, 14 Jahre alt. Einige der Mädchen nahmen Scheren mit. Alle wissen, dass sie höchst wahrscheinlich an Ort und Stelle von Soldaten oder vorbeigehenden bewaffneten Zivilisten erschossen werden.

Die bevorzugten Opfer sind Soldaten oder Siedler. Wenn keine da sind, greifen sie jeden Israeli, den sie sehen, an, egal ob Mann oder Frau.

Die mächtigen israelischen Sicherheitskräfte geben zu, dass sie hilflos gegen diese Art von "Infantifada" (wie mein Freund Reuven Wimmer sie nennt) sind. In ihrer Verzweiflung tun die Sicherheitskräfte, was sie in solchen Situationen immer tun: sie benutzen Methoden, die zuvor schon oft versagten.

Abgesehen von den Exekutionen an Ort und Stelle (gerechtfertigt oder nicht gerechtfertigt), schließen diese Methoden die Zerstörung des Hauses der Familie ein, um andere abzuschrecken, oder die Verhaftung der Eltern oder anderer Familienmitglieder.

Offen gesagt verabscheue ich diese Methoden. Sie erinnern mich an einen Nazi-Begriff meiner Kindheit: "Sippenhaft". Es ist barbarisch. Es ist auch äußerst unwirksam. Ein Junge, der sich entschieden hat, sein Leben für sein Volk zu opfern, wird von so etwas nicht abgeschreckt. Dafür gibt es keinen einzigen Gegenbeweis. Im Gegenteil, es ist verständlich, dass solch barbarische Akte den Hass schüren und zu mehr solcher Angriffe motivieren.


ABER DIE scheußlichste und dümmste Maßnahme ist, die Körper der Toten zurückzuhalten. Ich schäme mich fast, darüber zu schreiben.

Nach fast jedem "terroristischen" Akt wird der Leichnam des Täters - Erwachsener oder Kind - von den Sicherheitskräften mitgenommen. Nach muslimischem Gesetz und Brauch müssen Tote noch am selben Tag oder am nächsten beerdigt werden. Sie zurückzuhalten, ist ein äußerst grausamer Akt. Unsere Sicherheitsdienste glauben, dass dies zur Abschreckung beiträgt. Für Muslime ist dies ein schlimmes Sakrileg.

Auch das gehört zum Hintergrund des neuesten Skandals: Die drei Balad-Mitglieder der arabischen Partei besuchten die Familien der Täter einer "terroristischen Gewalttat", deren Leichname zurückgehalten wurden. Nach eigenen Angaben gingen sie dorthin, um darüber zu sprechen, wie man die Leichname zurückerlangen könne. Die Sicherheitskräfte beharren darauf, dass sie auch kondolierten und eine Gedenkminute abhielten.

Die gesamte Knesset war aufgebracht. Wie können sie das wagen? Mörder zu loben und ihren Familien Sympathie entgegenzubringen?

Die Balad-Mitglieder der gemeinsamen Fraktion sind außer Soabi mit ihrem Lächeln, Bassal Gatas und Gamal Zahalka. Ich habe Gatas nie persönlich getroffen. Er ist 60 Jahre alt und ein christlicher Araber, Doktor der Ingenieurwissenschaft und Geschäftsmann. Er war lange Zeit Mitglied der kommunistischen Partei, wurde aber rausgeschmissen, als er auf seinem Recht bestand, die Sowjetunion zu kritisieren. Asmi Bishara ist sein Cousin. Im Fernsehen macht er den Eindruck eines sensiblen Menschen.

Gamal Zahalka betrachte ich als persönlichen Freund. Einmal nahmen wir gemeinsam an einer Konferenz in Italien teil und unternahmen einige Ausflüge mit unseren Frauen. Ich habe ihn sehr gern.

Die drei Balad-Mitglieder wurden für einige Monate aus der Knesset ausgeschlossen. Sie dürfen nur an Knesset-Abstimmungen teilnehmen (ein Recht, das keinem Knesset-Abgeordneten vorenthalten werden darf). Jetzt wird ein neuer Gesetzentwurf vorgelegt, der besagt, dass die Knesset mit Dreiviertelmehrheit Abgeordnete ganz und gar aus der Knesset ausschließen kann.

Wenn das Oberste Gericht diese Gesetzesvorlage nicht für verfassungswidrig hält, bedeutet das, dass die Knesset bald Araber-rein sein wird. Eine rein jüdische Knesset für einen rein jüdischen Staat.



DAS WÄRE für Israel eine Katastrophe.

Jeder fünfte Israeli ist ein Araber. Die arabische Minderheit in Israel ist eine der größten nationalen Minderheiten pro Einwohner in der Welt. Solch eine Minderheit aus dem politischen Prozess rauszuwerfen, wird die ganze Struktur des Staates schwächen.

Als der Staat gegründet wurde, glaubten wir, dass nach einer oder zwei Generationen die Kluft zwischen den beiden Gemeinschaften sich schließen würde. Das Gegenteil ist geschehen.

In den frühen Jahren war die politische Zusammenarbeit zwischen Juden und Arabern im gemeinsamen Friedenslager stark und nahm sogar noch zu. Diese Zeit ist längst vorüber. Die Kluft ist breiter geworden.

Es gab und gibt einen entgegengesetzten Trend. Viele Araber sind in wichtigen Berufen integriert, wie z.B. in der Medizin. Als ich das letzte Mal im Krankenhaus war, konnte ich nicht erraten, ob der Chefarzt meiner Abteilung Jude oder Araber war. Ich musste meinen (arabischen) Pfleger fragen. Er bestätigte mir, dass der sehr freundliche Arzt Araber war. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das arabische medizinische Personal im Allgemeinen freundlicher war als das jüdische.

In einigen Berufen sind Araber mehr oder weniger integriert. Aber der allgemeine Trend ist entgegengesetzt. Wo einmal herzliche Beziehungen zwischen Nachbarschaften oder zwischen politischen Organisationen bestanden, lösten sich die Kontakte oder verschwanden ganz.

Es gab Zeiten, in denen meine Freunde und ich fast jede Woche arabische Städte und Dörfer besuchten. Nun nicht mehr.

Alles zusammengenommen, ist das kein einseitiger Prozess. Arabische Bürger, die seit so langer Zeit beleidigt und zurückgewiesen worden sind, haben die Lust auf Zusammenarbeit verloren. Einige von ihnen sind islamistischer geworden. Die Ereignisse in den besetzten Gebieten beeinflussen sie stark. Eine dritte und vierte Generation israelisch-arabischer Bürger wird stolzer und selbstständiger. Diese Menschen sind von den Versäumnissen der jüdischen Friedensbewegungen tief enttäuscht.

Die arabischen Mitglieder aus der Knesset zu werfen, ist "schlimmer als ein Verbrechen - es ist dumm!", wie es bekanntlich einmal ein französischer Politiker ausdrückte.

Es würde die Bindungen zwischen dem israelischen Staat und mehr als 20% seiner Bürger zerreißen. Einige Israelis mögen davon träumen, die Araber allesamt aus dem Land zu werfen - alle sechs Millionen von ihnen aus dem eigentlichen Israel, der Westbank und dem Gazastreifen - doch dies ist ein Hirngespinst. Die Welt, in der dies einmal möglich war, existiert nicht mehr.

Was möglich ist und schon besteht, ist eine schleichende Apartheid. Sie besteht schon in der Westbank und in Ost-Jerusalem und - wie es diese Episode zeigt - sie wird auch im eigentlichen Israel Realität.

Die Hysterie, die das Land nach dem Besuch der "Terroristen"-Familien heimgesucht hat, hat auch die Labor-Partei und sogar Merez ergriffen.

Ich setze "Terroristen" in Anführungsstriche, weil sie nur für Juden Terroristen sind. Für Araber sind sie Helden, Shahid. Muslime, die ihr Leben opfern, um die Größe Allahs zu bezeugen.

Die Frage ist natürlich, was ist die Aufgabe eines arabischen Knesset-Mitglieds? Die Juden zu verärgern? Oder die Kluft zu schmälern und die Israelis zu überzeugen, dass der israelisch-arabische Frieden möglich und erstrebenswert ist. Ich fürchte, dass Soabis Lächeln nicht hilft, dieses Ziel zu erreichen.


FALLS DIESE Affäre irgendetwas bewirkt hat, dann das, dass sie die Argumente für die "Zweistaaten-Lösung" bestärkt. Lasst jeden der beiden Staaten ein eigenes Parlament haben, in dem sie all die Dummheiten begehen können, die sie wollen, und einen gemeinsamen Koordinierungsrat, wo ernsthafte Entscheidungen getroffen werden können.



Copyright 2016 by Uri Avnery

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Redigiert von der Schattenblick-Redaktion

*

Quelle:
Uri Avnery, 13.02.2016
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Februar 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang