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STANDPUNKT/732: Hab Mitleid mit dem Mandelbaum (Uri Avnery)


Hab Mitleid mit dem Mandelbaum

von Uri Avnery, 17. Februar 2018


HAB MITLEID mit dem Mandelbaum, besonders wenn er in voller Blüte steht.

Mandelblüte. So heißt auch der Leiter der Rechtsabteilung, der "Rechtsberater der Regierung" genannt wird.

Der Rechtsberater wird von der Regierung ernannt, muss aber völlig unabhängig sein. Er ist praktisch der Generalstaatsanwalt, die Person, die das letzte Wort bei der Anklage von Menschen hat, besonders der Anklage des Ministerpräsidenten. Das ist jetzt sein unglückliches Schicksal.

Jetzt ist Mandelblit (so sprechen wir seinen Namen auf Hebräisch aus) in einer unmöglichen Position. Der Ministerpräsident ist von der Polizei offiziell in zwei Anklagepunkten der Bestechung beschuldigt worden. Jetzt muss Mandelblit entscheiden, ob er ihn vor Gericht bringt.

Aber Benjamin Netanjahu ist lange Zeit sein Wohltäter gewesen, hat ihm zu seiner hohen Stellung verholfen. Beißt man die Hand, die einen gefüttert hat? Oder verrät man seine Pflicht?

Eine schreckliche Wahl.


AVICHAI MANDELBLIT wurde in Tel Aviv in eine politisch rechtsgerichtete Familie hineingeboren. Sein Vater war ein Mitglied der Irgun und ein Anhänger der rechten Partei. Abichai ("Mein Vater [Gott] lebt") nahm die Religion im Alter von 25 Jahren an und setzte sich eine Kippa auf den Kopf.

Nachdem er Jura studiert hatte, diente er in der Armee als Militär-Richter im besetzten Gazastreifen und anderen Militärjobs bis er der Chef der Justizabteilung der Armee wurde. Von dort war es ein kurzer Sprung zum Regierungs-Sekretär, die rechte Hand des Ministerpräsidenten, der zufällig Benjamin Netanjahu war.

Als das Amt des "Rechtsberaters der Regierung", eines Amtes mit gewaltiger Macht, frei wurde, sah sich Netanjahu nach einem Kandidaten um. Und wen sah er? Ja, ganz richtig - den guten, loyalen Mandelblit.

Am Horizont zogen schon alle möglichen Verdächtigungen auf kriminelle Handlungen herauf. Die wichtige Stellung des Rechtsberaters wurde sehr bedeutsam. Den religiösen Anwalt vom rechten Flügel zu ernennen, war ein kluger Schritt.

Wie klug? Nun wir werden es bald wissen.



NETANJAHU HAT nicht immer die klügste Wahl getroffen.

Fast zur gleichen Zeit als er den Chef-Rechtsberater wählte, wählte er auch einen neuen Chef der Polizei.

Seine Wahl war eine totale Überraschung. Er nahm nicht einen der dienstältesten Polizisten, von denen jeder Jahre der Erfahrung hinter sich hatte, sondern eine vollkommen anonyme Person. Und nicht zufällig anonym. Er war die Nummer zwei des internen Sicherheitsdienstes - des Shin Bet.

Roni Alshech wollte den Job nicht. Er wollte Chef des Shin Bet werden. Aber Netanjahu zwang ihn beinahe. Er versprach, ihn zum Shin Bet-Chef zu ernennen, falls er - Netanjahu - noch in vier Jahren Ministerpräsident wäre. Das war ein nicht so feiner Wink: Du hilfst mir, meinen Job zu behalten und ich gebe dir den von dir gewünschten Job.

Der neue Polizeichef war ein Rätsel. Er ist von jemenitischer Herkunft, ziemlich ungewöhnlich für Israels Elite. Er sieht nicht wie ein Polizei-Offizier aus. Ein Witzbold nannte ihn "ein Fass mit einem Schnauzbart". Er spricht nicht in der Öffentlichkeit - wie es sich für eine Person gehört, die die meiste Zeit ihres Lebens im Geheimdienst zugebracht hat.

Mit diesen beiden Getreuen an seiner Seite hatte Netanjahu nichts zu fürchten. Eine Reihe Verdächtigungen wegen krimineller Handlungen tauchte auf, aber keiner glaubte, dass etwas dabei herauskommen würde. Netanjahu war einfach zu klug.

Was waren dies für Verdächtigungen?

Erstens, ein Milliardär mit großen Geschäfts-Interessen in Israel hat ihn zehn Jahre lang regelmäßig mit kubanischen Zigarren der teuersten Sorte versorgt und auch mit "rosa" Champagner und einigen Schmuckstücken für seine Frau. Alles zusammen machte das einen Wert von etwa einer viertel Million Dollar aus. Ein australischer Milliardär schloss sich an.

Zweitens gab es da ein Geschäft mit dem Boss der zweitgrößten Zeitung in Israel: Ein Gesetz sollte verabschiedet werden, das die Verbreitung der Nummer 1 begrenzte, und dafür sollte die Nummer 2 positiv über Netanjahu berichten. Die bewundernde Berichterstattung der Zeitung Nummer 1 war ohnehin sichergestellt. Sie gehört Sheldon Adelson, einem amerikanischen Casino-Milliardär und sie macht keinen Hehl daraus, dass ihr einziger Zweck ist, Netanjahu zu verherrlichen.

Die dritte Sache betrifft den Verdacht, von einem deutschen Schiffsbauer, der Unterseeboote für Israels Atomwaffen produziert, bestochen worden zu sein. Es ist ein Multi-Milliarden-Deal. Die der Bestechungs-Verdächtigungen sind schwerwiegend, aber noch nicht öffentlich gemacht worden.

Kein Mensch in Israel glaubt im Ernst, dass bei diesen Affären irgendetwas herauskommt. Wie könnte es auch bei den beiden handverlesenen Funktionsträgern, dem Chef-Rechtsbeamten und dem Polizeichef, anders sein?

Und dann platzte vor zwei Wochen eine Bombe. Der schweigsame Polizist erschien plötzlich im Fernsehen und deutete an, dass die Polizei im Begriff sei, Empfehlungen zu veröffentlichen, Netanjahu der Bestechung anzuklagen.

Was!? Der Chef der Polizei ein Mann der Integrität? Wohin ist die Welt nur geraten? Dies ist ein moralisches Problem. Wenn Netanjahu ihn in dem Glauben ernannt hat, er sei ein gewissenloser Mann, und nun erweist er sich als Mann mit Gewissen - heißt das nun, er hätte nur so getan, als wäre er nicht integer, sodass er mit dieser Verstellung tatsächlich nicht integer gehandelt hätte? Denken Sie mal darüber nach.

Kann eine ähnliche schrecklich Sache jetzt mit dem Rechtsberater geschehen? Kann er sich plötzlich umwenden, um auch ein Mann der Integrität zu sein? Früher oder später muss er sich entscheiden, ob er Netanjahu verklagen will oder nicht.

Armer Mann.

Als der Polizeichef im Fernsehen die kommende Polizei-Entscheidung andeutete, die Anklage zu empfehlen, war mein erster Impuls aufzuspringen und den Luftschutzkeller meines Hauses aufzuräumen.

Wenn ein Ministerpräsident so tief in inländischen Schwierigkeiten steckt, ist das erste, woran er denkt, eine militärische Krise. Nichts lenkt die Aufmerksamkeit von seinen Untaten gegen die nationalen Interessen so gut ab wie eine militärische Notlage.

Und wer hätte das gedacht - zwei Tage nach der Ankündigung im Fernsehen über Polizeiempfehlungen waren die Iraner so freundlich, eine Krise zu provozieren.

Eine iranische Spionagedrohne flog von Syrien aus in den israelischen Luftraum und wurde prompt abgeschossen. Als Antwort sandte die israelische Luftwaffe ihre Flugzeuge, um iranische Positionen in Syrien zu bombardieren. Ein israelisches Flugzeug wurde abgeschossen - ein wirklich seltenes Geschehen - und es stürzte in der Nähe eines Kibbuzes ab. Beide Besatzungsmitglieder lösten die Schleudersitze aus, einer wurde schwer verletzt.

Die kriminellen Affären wurden vollkommen vom Tisch gewischt. Jeder sprach über den bevorstehenden Krieg. Doch als Vladimir Putin intervenierte, setzte er dem Unsinn ein Ende.

Diesmal also kein Krieg. Die Polizei veröffentlichte ihre Untersuchungsergebnisse und Empfehlungen, dass Netanjahu wegen zwei Bestechungsskandalen vor Gericht muss. Das ganze Land klebte vor den Fernsehern. Alles andere war vergessen.

Netanjahu tat, was er am besten kann. Er trat live im Fernsehen auf und klagte die Ankläger aller möglichen Verfehlungen an. Diese Halunken seien bereit, die Existenz Israels aufs Spiel zu setzten - einzig und allein aus Gehässigkeit gegen ihn. Aber keine Sorge - er habe nicht die Absicht, abzutreten - nicht einmal vorrübergehend.

Während er uns direkt in die Augen schaute, strahlte er vor Ehrlichkeit und versprach, uns nicht im Stich zu lassen. Und da er die einzige Person auf Erden sei, die in der Lage sei, unsere Sicherheit zu gewähren, werde er auf seinem Posten bleiben und uns beschützen, egal, was kommen mag.

Das hat mir wirklich Angst gemacht. Ferne sei es mir, ihm zu unterstellen, er sei imstande, einen Krieg nur deshalb auszulösen, um von seinen Anklagen abzulenken. In einem Krieg werden Leute getötet. Jüdische Jungs (und Mädchen) von jüdischen Müttern. Würde ein Patriot wie Netanjahu so eine niederträchtige Sache tun, wie einen unnötigen Krieg beginnen, nur um die Aufmerksamkeit abzulenken?

Sicher nicht. Aber wenn er zwischen zwei Terminen mit seinen Rechtsanwälten eine schicksalhafte Entscheidung in einer Krise treffen muss, wird er das dann bei vollkommen klarem Verstand tun können?

Wie lange kann das so weitergehen? Experten meinen, dass Mandelblit in seiner Verzweiflung die Entscheidung ein Jahr hinausschieben kann. Er muss denken und denken benötigt Zeit.


ES GAB einmal einen polnischen Edelmann, der seinen Juden rief und ihm sagte: "Ich liebe meinen Hund sehr. Juden sind kluge Leute. Du musst meinem Hund das Sprechen beibringen, sonst werde ich dich umbringen."

"Kein Problem", antwortete der Jude, "aber einem Hund das Sprechen zu lehren, braucht Zeit. Ich brauche zwei Jahre."

"Gut", sagte der Edelmann, "aber wenn Du es nicht tust, werde ich dich töten!"

Als die Frau des Juden dies hörte, begann sie zu schreien. "Du weißt doch, dass du keinem Hund das Sprechen beibringen kannst," weinte sie.

"Mach dir keine Sorgen," sagte er ihr, "zwei Jahre ist eine lange Zeit. In zwei Jahren wird der Hund tot sein oder der Edelmann wird tot sein. Oder ich werde tot sein."



Copyright 2018 by Uri Avnery

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Redigiert von der Schattenblick-Redaktion

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Quelle:
Uri Avnery, 17.02.2018
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2018

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