Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → MEINUNGEN


STANDPUNKT/733: Der Wille zum Krieg (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 19. Februar 2018
german-foreign-policy.com

Der Wille zum Krieg


MÜNCHEN - Appelle zu einer größeren Kriegsbereitschaft "Europas" und zu entschlossener EU-"Machtprojektion in die Welt" haben die gestern zu Ende gegangene Münchner Sicherheitskonferenz geprägt. Zur derzeit kräftig verstärkten Aufrüstung müsse in der EU "der gemeinsame Wille" hinzukommen, das eigene "militärische Gewicht auch tatsächlich einzusetzen", forderte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Außenminister Sigmar Gabriel verlangte, man dürfe bei der eigenen "Machtprojektion" künftig "auf das Militärische ... nicht ... verzichten". Gegenwärtig komme man dabei zwar noch nicht ohne die Mitwirkung der NATO respektive der US-Streitkräfte aus; doch wolle man mit Washington "auf Augenhöhe ... kooperieren" - und "nicht im Gefolgschaftsverband". Laut der französischen Verteidigungsministerin ist die EU in der Lage, in absehbarer Zeit so stark aufzurüsten, dass Unterstützung durch die USA nicht mehr nötig ist. Gabriel beschimpft Russland und China, mit denen sich der Westen heute in "Systemkonkurrenz" befinde, als "Autokratien".

"Freiheit und Demokratie"

Hintergrund der in München geäußerten Forderung nach größerer Kriegsbereitschaft Deutschlands und der EU ist laut Außenminister Gabriel, dass sich die Bundesrepublik in einer neuen "Systemkonkurrenz" befinde. Dabei handle es sich um eine "Systemkonkurrenz zwischen entwickelten Demokratien und Autokratien".[1] Als Autokratien - Gabriel bezog den Begriff auf Russland und China - werden politische Systeme bezeichnet, in denen ein Alleinherrscher ohne jegliche Einschränkung durch Wahlen oder durch eine Verfassung regiert. Im Machtkampf gegen Moskau und Beijing, durch dessen Aufstieg sich die globalen "Gewichte massiv verschieben" würden, gehe es "wieder um die alte Frage von Freiheit und Demokratie", behauptete Gabriel in direktem Anknüpfen an das PR-Vokabular des Kalten Kriegs. Dass es sich bei dem angeblichen Kampf für "Freiheit und Demokratie" erneut nur um Propaganda handelt, zeigt exemplarisch, dass etwa die engsten Verbündeten des Westens in Mittelost, die arabischen Golfmonarchien und -emirate, der Herrschaftsform der Autokratie sehr nahe kommen. Im historischen Kalten Krieg war der Westen sich sogar nicht zu schade, im Namen der "Freiheit" mit faschistischen Diktaturen zu kooperieren - etwa in Spanien und in Lateinamerika.

Europas Machtprojektion

Die Äußerungen Gabriels sowie von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in München bestätigen einmal mehr, dass Deutschland im globalen Machtkampf zweigleisig fährt. Demnach ist die Hauptsäule der deutschen Außen- und zunehmend auch der Militärpolitik die EU. Wie von der Leyen am Freitag erklärte, müsse zum Aufbau militärischer "Fähigkeiten und Strukturen", wie er seit dem vergangenen Jahr energisch vorangetrieben wird (german-foreign-policy.com berichtete [2]), jetzt noch "der gemeinsame Wille" hinzukommen, "das militärische Gewicht auch tatsächlich einzusetzen" [3] - also der klare Wille zum Krieg. Gabriel drang ergänzend darauf, die EU-Außenpolitik nun endlich einheitlich zu gestalten und "ein gemeinsames Verständnis" globaler Interessen zu schaffen. Außerdem müssten "Strategien und Instrumente" entwickelt werden, "um diese Interessen gemeinsam durchzusetzen": "Europa braucht ... eine gemeinsame Machtprojektion in die Welt." Dabei dürfe man "auf das Militärische ... nicht ... verzichten". In einem ersten Schritt schlägt Gabriel eine "Initiative" vor, "um von Osteuropa bis nach Zentralasien und auch in Afrika den Ausbau von Infrastruktur zu fördern, mit europäischem Geld, aber auch nach europäischen Maßstäben". Dies richtet sich erkennbar gegen Chinas "Neue Seidenstraße" [4] sowie gegen die chinesischen Aktivitäten in Afrika [5]. Allerdings sind ähnliche Vorhaben der EU bislang durchweg gescheitert (german-foreign-policy.com berichtete [6]).

"Auf Augenhöhe mit den USA"

Langfristig strebt die EU es an, ihre "Machtprojektion" ausschließlich mit ihren eigenen militärischen Mitteln durchsetzen zu können. Dies hat die französische Verteidigungsministerin Florence Parly am Freitag in München bekräftigt. Die Forderung nach "strategischer Autonomie" der EU bedeute auch, dass Brüssel perspektivisch in der Lage sein müsse, Militärinterventionen ohne Rückgriff auf die NATO oder die US-Streitkräfte durchzuführen, erklärte Parly.[7] Das aber sei zumindest gegenwärtig noch nicht der Fall, hat Gabriel in München konstatiert: "Wenn wir in dieser Welt ... prägend sein wollen, dann müssen wir aber auch erkennen, dass unsere eigene Kraft in Europa dafür nicht ausreichen wird. Weder wir noch die Vereinigten Staaten schaffen dies im Alleingang." Daher suche man - gegen Russland, gegen Nordkorea und künftig wohl auch gegen China - "den engen Austausch und die Verständigung mit den amerikanischen Verbündeten". Der Außenminister legt allerdings Wert auf die Feststellung: "Die Europäische Union ist ein durchaus selbstbewusster Partner, der vertrauensvoll und auf Augenhöhe mit den USA kooperieren will" - "aber eben nicht im Gefolgschaftsverband".

"Mehr Kampfpanzer, weniger Denkfabriken"

Entsprechend setzt Berlin entschlossen darauf, den "europäischen Pfeiler" des westlichen Kriegsbündnisses zu stärken: "Europa" müsse "auch militärisch ... mehr Eigenständigkeit und Eigenverantwortung tragen" - "letztlich auch in der NATO", forderte von der Leyen am Freitag in München. Wie berichtet wird, ist die Verteidigungsministerin als Nachfolgerin von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg im Gespräch, dessen Amtszeit im Jahr 2020 abläuft. Vorbehalte gebe es lediglich noch in der Türkei; sie gälten aber "nicht als unüberwindbar".[8] In München ist am Wochenende weithin Beifall zu der Personalie geäußert worden, die den Berliner Einfluss im westlichen Kriegsbündnis stärken würde. Allerdings müsse man dann den deutschen Wehretat tatsächlich auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöhen, urteilt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Norbert Röttgen (CDU).[9] Berlin hat 2017 gut 37 Milliarden Euro für die Bundeswehr ausgegeben; zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts wären über 65 Milliarden Euro gewesen. Frankreich hat inzwischen einen Plan vorgelegt, um seinen Wehretat entsprechend zu erhöhen; im vergangenen Jahr wären dies statt den real 32,4 Milliarden Euro mehr als 51 Milliarden Euro gewesen. Paris will das 2-Prozent-Ziel Mitte der 2020er Jahre erfüllen. Die Stimmung unter den europäischen NATO-Mächten hat Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki in München so formuliert: "Wir brauchen mehr Kampfpanzer und weniger Denkfabriken."[10]

Rücksicht auf die Ostfraktion

Bei alledem schließt Außenminister Gabriel für den Fall, dass Russland zu Zugeständnissen bereit sein sollte, einen schrittweisen Abbau der aktuellen Sanktionen nicht aus; einen solchen fordert die Ostfraktion der deutschen Wirtschaft schon lange.[11] Moskau solle "in uns auch etwas anderes erkennen als einen Gegner", warb Gabriel in München: "In der Zusammenarbeit mit Europa" lägen für Russland "Chancen für nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg". Am Rande der Sicherheitskonferenz hat Gabriel allerdings bestätigt, dass über den möglichen schrittweisen Abbau der Sanktionen in der Bundesregierung noch kein Konsens besteht. Ganz unumstritten ist lediglich, dass der militärische Druck gegenüber Moskau aufrechterhalten wird.

Eine historische Wegscheide

Gabriel ordnet die aktuelle weltpolitische Entwicklung als eine historische "Wegscheide" ein, "wie sie die Welt nur alle paar Jahrhunderte erlebt". In der Gegenwart werde entschieden, ob man "den Beginn eines neuen asiatischen Zeitalters ... und die Selbstaufgabe des ... Westens" zu konstatieren habe - oder ob "unser Kontinent" den "Mut" aufbringe, "sich den Herausforderungen einer weit unbequemeren und risikoreicheren Welt zu stellen als die, in die wir dachten hineinzuwachsen", erklärte der Außenminister in München. In den 1430er Jahren hätten sich die europäischen Mächte aufgemacht, "die Welt zu erkunden"; zur selben Zeit habe China, das schon zuvor ebenfalls begonnen hatte, auf andere Kontinente zu expandieren, dies eingestellt. In der Tat setzte sich in der chinesischen Hauptstadt damals diejenige Interessensfraktion durch, die die unwägbaren Risiken der Expansion zugunsten der Fokussierung auf eine gedeihliche Entwicklung im eigenen Reich zurückwies. Damals sei "eine Vorentscheidung über die nächsten Jahrhunderte" gefallen, erklärte Gabriel: Während China sich zurückgezogen habe, habe sich "Europa" aufgemacht, "die Welt zu erobern". Die Opfer, die die mörderischen Eroberungsfeldzüge "Europas" und seine blutige Kolonialherrschaft in Nord- und Südamerika, in Australien, in fast ganz Afrika und weiten Teilen Asiens gekostet haben, sind bekannt.


Anmerkungen:

[1] Zitate hier und im Folgenden: Rede von Außenminister Sigmar Gabriel bei der Münchner Sicherheitskonferenz. 17.02.2018. Auszüge finden Sie unter:
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7535/

[2] S. dazu Der Start der Militärunion.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7475/

[3] Zitate hier und im Folgenden: Rede der Bundesministerin der Verteidigung Dr. Ursula von der Leyen auf der 54. Münchner Sicherheitskonferenz am 16. Februar 2018.

[4] S. dazu Chinas Jahrhundertprojekt.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7292/

[5] S. dazu Einflusskampf um Afrika.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7345/

[6] S. dazu Chinas Jahrhundertprojekt
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7292/
und Einflusskampf um Afrika (II).
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7478/

[7] Leyen sieht "kräftigen Schub" für europäische Armee. Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.02.2018.

[8], [9] Thorsten Jungholt, Christoph B. Schiltz: Von der Leyen als Nato-Generalsekretärin im Gespräch. welt.de 17.02.2018.

[10] "Wir brauchen mehr Kampfpanzer und weniger Denkfabriken". faz.net 17.02.2018.

[11] S. dazu Entfremdung und Dialog.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7428/

*

Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
Herausgegeber: German News Informations Services GmbH
c/o Horst Teubert
Hartwichstr. 94, 50733 Köln
Fax: 01212 52 57 08 537
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang