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STANDPUNKT/839: Weltpolitik unter Druck (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 15. Februar 2019
german-foreign-policy.com

Weltpolitik unter Druck


BERLIN/WASHINGTON/WARSCHAU - Vor der heute startenden Münchner Sicherheitskonferenz setzen US-Aggressionen und innereuropäische Opposition gegen die offene Berliner Dominanz zentrale Projekte der deutschen Weltpolitik massiv unter Druck. Am gestrigen Donnerstag hat US-Vizepräsident Mike Pence auf einer gegen Iran gerichteten Konferenz, die der EU-Staat Polen mitveranstaltete, von der EU den Ausstieg aus dem Nuklearabkommen verlangt. Schon zuvor hatte Washingtons Botschafter in Berlin die Gründung einer Art Tauschbörse für den künftigen Handel mit Iran als "Missachtung der US-Politik" attackiert. Für Deutschland ist das Abkommen mit Iran eines der Projekte, mit denen es sich eine eigenständige Führungsposition in der Weltpolitik erkämpfen will. Ein zweites ist die Pipeline Nord Stream 2, die Berlin die zentrale Stellung in der Erdgasversorgung der EU und entsprechenden Einfluss sichern soll. Es gerät in Gefahr, weil Paris seine konstante Unterordnung unter deutsche Ziele nicht mehr hinnehmen will. Hinzu kommen Versuche Washingtons, die Berliner Dominanz im Osten der EU zu brechen.

"Krieg gegen den Iran"

Als gravierende Provokation wird in Berlin die gestern beendete Warschauer Mittelostkonferenz eingestuft. Zu der Konferenz hatten die Vereinigten Staaten sowie das EU-Mitglied Polen aufgerufen. Die Veranstaltung war als Manifestation gegen Iran konzipiert, das als einziges Land des gesamten Mittleren Ostens nicht eingeladen wurde. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der an ihr teilnahm, hatte vorab sogar erklärt, man werde in der polnischen Hauptstadt "unser gemeinsames Anliegen eines Krieges mit dem Iran" forcieren. Nach empörten Reaktionen hatte Netanjahus Büro das Wort "Krieg" durch das Wort "Bekämpfung" ersetzt.[1] Besondere Attacken galten dem neuen Finanzvehikel INSTEX ("Instrument in Support of Trade Exchanges"), das als eine Art Tauschbörse funktionieren und den Handel von EU-Ländern mit Iran trotz der US-Sanktionen aufrechterhalten soll. Experten halten INSTEX für unzulänglich und urteilen, es "taug[e] nicht zum Befreiungsschlag".[2] Washington geht dennoch aggressiv dagegen vor. Der US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, hat die Gründung von INSTEX als "Missachtung" der US-Politik angegriffen und offen gedroht: "Amerikanische Sanktionen zu umgehen ist nicht ratsam".[3] Am gestrigen Donnerstag hat US-Vizepräsident Mike Pence auf der Warschauer Konferenz die Attacken gegen INSTEX fortgesetzt und zudem gefordert, die EU müsse nun endlich ebenfalls das Atomabkommen aufkündigen.[4]

"Fort Trump"

Die US-Angriffe treffen Berlin in doppelter Weise. Zum einen ist der Kampf um die Beibehaltung des Atomabkommens mit Iran eines der wenigen Themenfelder, auf denen die Bundesregierung offen gegen die Vereinigten Staaten opponiert, um sich eine eigenständige Führungsposition in der Weltpolitik zu sichern.[5] Zum anderen wiegt schwer, dass mit Polen ein EU-Mitgliedstaat aus der gemeinsamen Linie der Union ausgeschert ist und den Vereinigten Staaten seine Hauptstadt als Bühne für lautstarke Angriffe auf Berlin und Brüssel zur Verfügung gestellt hat. Warschau ist zur Zeit um einen ständigen US-Militärstützpunkt im Land bemüht ("Fort Trump") und deshalb zu Hilfsdiensten für Washington geneigt. Die Bundesregierung, die sich seit geraumer Zeit verstärkt um eine einheitliche EU-Außenpolitik bemüht und dazu inzwischen die Pflicht zur Einstimmigkeit bei außenpolitischen Beschlüssen aufheben will, betrachtet die Durchführung der Konferenz als offene Unbotmäßigkeit seitens einer Regierung, mit der sie ohnehin zahlreiche Konflikte austrägt.

Basis für die Weltpolitik

Zu diesen zählt der erbitterte Machtkampf um die Pipeline Nord Stream 2, der in dieser Woche eine überraschende Wendung genommen hat. Laut Beschlüssen, auf die sich Unterhändler des Europaparlaments und des Ministerrats in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch geeinigt haben, ist der Bau der Röhre nur noch unter erschwerten Bedingungen möglich. Das Projekt verliert dadurch erheblich an Rentabilität.[6] Die Beschlüsse sind ein schwerer Rückschlag für Berlin, das vor allem aus zwei Gründen auf Nord Stream 2 setzt. Die Pipeline wäre zum einen geeignet, den deutschen Zugriff auf die riesigen russischen Erdgasvorräte zu vergrößern - dies zu einer Zeit, zu der China immer stärker in die russische Erdgasbranche einsteigt und sich in Kürze womöglich ebenfalls Zugriff auf die westsibirischen Erdgasfelder verschafft, aus denen Berlin sich bislang exklusiv bedienen kann (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Zum anderen würde Nord Stream 2 die Stellung Deutschlands als Erdgasverteilzentrum der EU weiter stärken. Von beidem versprach sich Berlin eine Kräftigung seiner energiepolitischen Basis wie auch seiner Kontrolle über die EU - wichtige Voraussetzungen für die höchst ehrgeizige Weltpolitik, die die Bundesrepublik seit geraumer Zeit anstrebt.[8]

Deutsch-französische Konflikte

Dabei ging die Bundesregierung bis vor kurzem davon aus, sie könne die nun gefällten Brüsseler Beschlüsse zu Nord Stream 2 mit Hilfe einer Sperrminorität zuverlässig verhindern. Das ist nun an einem überraschenden Seitenwechsel Frankreichs gescheitert, das zuvor an der Seite Deutschlands jede Entscheidung gegen Nord Stream 2 ohne Einwand mitblockierte. Beobachter weisen darauf hin, dass Berlin in den vergangenen Jahren sämtliche Pariser Initiativen, die die Realisierung französischer Interessen in der EU zum Ziel hatten, ausgebremst hat, dafür allerdings stets französische Unterstützung bei der Durchsetzung seiner eigenen Interessen verlangte und zudem mittlerweile sehr weit reichende Forderungen an Frankreich stellt, zuletzt etwa diejenige, Frankreichs Atomstreitmacht einem EU-Kommando zu unterstellen oder sie zumindest einem deutschen Mitentscheidungsrecht über ihren Einsatz zu unterwerfen (german-foreign-policy.com berichtete [9]). Ob die Ankündigung von Präsident Emmanuel Macron, nicht an der Seite von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Münchner Sicherheitskonferenz aufzutreten - dort dürfte der deutsche Vorstoß erneut diskutiert werden - damit in unmittelbarer Verbindung steht, ist nicht klar.[10]

Brüche in der EU

Die Konflikte in der EU, die zu einem guten Teil auf offener Opposition zur Berliner Dominanz in der Union beruhen (german-foreign-policy.com berichtete [11]), werden nun von den Vereinigten Staaten weiter geschürt. In diesem Sinne darf nicht nur die gestern beendete Mittelostkonferenz in Warschau gewertet werden, die den ohnehin vorhandenen Keil zwischen Deutschland und Polen tiefer treibt, sondern auch die Reise von US-Außenminister Mike Pompeo nach Ungarn und in die Slowakei. Pompeo forderte von den dortigen Regierungen, die ein durchaus gespanntes Verhältnis zu Berlin haben, ganz offen, sich der US-Außenpolitik anzuschließen und sich noch aggressiver gegen Russland und insbesondere gegen China zu positionieren; die Volksrepublik hat in diversen Ländern Ost- und Südosteuropas erhebliche Summen investiert und gilt dort inzwischen als bedeutender Wirtschaftspartner.[12] Pompeos Auftritte in Budapest und in Bratislava, bei denen er sich als Befehlsgeber gegenüber Abhängigen gerierte, stellten zugleich den Anspruch Berlins in Frage, nicht nur als Zentralmacht der gesamten EU, sondern vor allem auch als Hegemonialmacht in Ost- und Südosteuropa zu fungieren. Washington setzt damit seinen Kampf gegen das deutsche Streben, eine führende Stellung in der Weltpolitik "auf Augenhöhe" mit den USA einzunehmen, nicht nur im Rahmen der Auseinandersetzungen um das Atomabkommen mit Iran und um Nord Stream 2 fort, sondern auch in der EU selbst. Das ist möglich, weil die deutsche Dominanzpolitik dort zunehmend - und selbstverschuldet - auf Widerspruch stößt.


Anmerkungen:

[1] Netanjahu sorgt mit Äußerung über "Krieg mit dem Iran" für Wirbel. handelsblatt.com 13.02.2019.

[2] Azadeh Zamirirad: Atomkrise mit Iran: INSTEX taugt nicht zum Befreiungsschlag. swp-berlin.org 01.02.2019.

[3] "Das ist Missachtung der US-Politik". tagesschau.de 10.02.2019.

[4] Pence Calls On European Allies To Withdraw From Iran Nuclear Deal. rferl.org 14.02.2019.

[5] S. dazu Die Tauschbörse der EU.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7734/

[6] Gaskompromiss verteuert Nord Stream 2. Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.02.2019.

[7] S. dazu Die Macht der Röhren.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7857/

[8] S. dazu State of the Union
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7720/
und Die Ära der Großmachtrivalitäten.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7775/

[9] S. dazu Hegemonie nach deutscher Art
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7799/
und Die nukleare Frage.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7775/

[10] Michaela Wiegel: Frankreich will Atomstreitkraft nicht teilen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.02.2019.

[11] S. dazu Brüche in der Union.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7854/

[12] S. dazu Die Neue Seidenstraße (II).
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7033/

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Februar 2019

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