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STANDPUNKT/879: Argentinien - Neoliberale Sparpolitik ist patriarchale Gewalt (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Argentinien
Neoliberale Sparpolitik ist patriarchale Gewalt



Demonstranten und Spruchbanner - Foto: © Fernando Almeira, CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/]

"Das Sparprogramm ist patriarchale Gewalt"
Foto: Fernando Almeira, CC BY-SA 4.0
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/

(Buenos Aires, 23. August 2019, ANRed) - Den 22. August 2019 haben soziale Bewegungen zum landesweiten Kampftag erklärt und Demonstrationen organisiert. Die neoliberale Sparpolitik als Folge der Verschuldung beim IWF und die Wirtschaftskrise treiben die Menschen auf die Straße. Wenn wir über Verschuldung sprechen, reicht es nicht aus, darüber zu reden, wie der Staat sich bei internationalen Organismen verschuldet, sondern es muss auch über die Auswirkungen dieser Verschuldung auf die Privathaushalte, die Subsistenzwirtschaft und die Lohnabhängigen, aber vor allem auf die Körper, geredet werden. Lesben und Trans*frauen bekommen die Auswirkungen der Sparpolitik unmittelbar durch die zunehmende machistische Gewalt zu spüren, erklären Verónica Gago und Luci Cavallero: Denn "sexuelle, genderbedingte und ethnische Ungleichheiten werden durch die allgemeine Schuldensituation nicht etwa angeglichen, sondern verschärft.

"Neoliberale Sparpolitik ist patriarchale Gewalt" - Der Slogan komprimiert die Ergebnisse der feministischen Gesellschaftsanalyse: Machistische und wirtschaftliche Gewalt sind zentrale Elemente des Kapitalismus und Patriarchats und arbeiten Hand in Hand, um unsere Körper zu beherrschen. In Zeiten von Wirtschaftskrise und Staatsverschuldung hilft uns die feministische Perspektive, die abstrakte Materie der Finanzpolitik zu durchschauen und zu verstehen, wie sich die massive Verschuldung auf unsere Haushalte, unsere Subsistenzwirtschaft und unser Arbeitseinkommen auswirkt. In ihrem Buch "Eine feministische Lesart der Schuldenkrise" folgen Verónica Gago und Luci Cavallero dem Ansatz, Schulden nicht länger als privates Problem zu betrachten, und lassen uns verstehen, wie sich die Schuldensituation auf das Leben von Frauen, Lesben und Trans*frauen auswirkt.


Abhängigkeiten schaffen

Der wirtschaftliche Fachjargon ist komplex. Die Finanzwelt gibt sich bewusst abstrakt, scheint mit mysteriösen Börsennotierungen und ihrer Bindung an klare logische Regeln nur so zu prahlen und inszeniert sich gern als Black Box, die mit Hilfe mathematischer und algorithmischer Formeln über Wert und Wertlosigkeit entscheidet. Ausgehend von der wirtschaftlichen Situation einfacher Privathaushalte, die oft nicht über ein festes Einkommen verfügen oder lohnabhängig sind, stellt die feministische Perspektive auf die Schulden diese Abstraktion in Frage.

Für Gago und Cavallero ist Verschuldung in erster Linie ein Mechanismus, der Abhängigkeiten schafft: Zum Beispiel der Abhängigkeitsmechanismus der Ackergifte, der bei den Agrarproduzentinnen greift. Die Verschuldung ist dann für geheime Abtreibungen verantwortlich, wenn der Preis für das Abtreibungsmedikament Misoprostol sich am Wert des Dollars orientiert. Unternehmen im informellen Wirtschaftssektor können Menschen für einen Hungerlohn ausbeuten. Die Verschuldung bestimmt die infrastrukturelle Grundversorgung oder eben Nicht-Versorgung durch das Fehlen von Gesundheitszentren. Ein Moped kaufen, um einen Lieferservice anbieten zu können: Verschuldung. Verschuldung kommt dann auf, wenn andere Unterstützungsnetzwerke pleite sind. Schulden hindern uns daran, uns aus gewaltvollen Beziehungen oder Familienstrukturen zu befreien. In anderen Situationen wiederum wirken Schulden nicht wie ein Festhalte-Mechanismus, sondern werden gemacht, um Bewegung zu ermöglichen, zum Beispiel, um auszuwandern. Schulden zwingen Trans*frauen und Transvestiten zur Prostitution als einzige Möglichkeit, sich den Lebensunterhalt zu verdienen.

Der Blick aus der gendersensiblen Perspektive lasse uns verstehen, wie Schulden unseren Haushalten, die historisch als nicht produktiv gelten und wo die Arbeitskraft nicht entlohnt wird, den Wert entziehen und entlarve die Funktionsweisen des Finanzmarkts als Mechanismen zur Kolonisierung unserer Reproduktion, so die Autorinnen.


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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. August 2019

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