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LAIRE/1291: Bitte um ein paar Krümel mehr vom Tisch der Reichen (SB)


Arm und Reich bleiben feste Größen in einer "Oxfam-Gesellschaft"



Stets in Angst um den Verlust ihrer Vorteile, treiben gegenwärtig die privilegierten Teile der Gesellschaft mal wieder eine Sau durchs Dorf: Die extremen Einkommensunterschiede gefährden die gesellschaftliche Ordnung, heißt es. Ob Weltwirtschaftsforum, Internationaler Währungsfonds (IWF) oder wirtschaftsfreundliche Zeitungen wie der "Economist", sie alle kommen zu dem Schluß, daß von der Ungleichheit eine Gefahr ausgeht. Damit reagieren die besorgten Analysten auf die ab dem Jahr 2011 weltweit aufgekommene Occupy-Bewegung, die im Hochkonsumland Nummer eins, in den Vereinigten Staaten von Amerika, Hunderttausende auf die Straße gebracht hat. Occupy Wall Street nannte sich dort die Bewegung, die kritisiert, daß ein Prozent der US-Bürger 38 Prozent des Volkseigentums besitzt. Die empörten Bürger schlugen in Manhattan, dem Finanzzentrum New Yorks, ihre Zelte auf. Das sorgte eine Zeitlang schon für eine gewisse Unruhe in den Führungsetagen der dort ansässigen Geldhäuser.

Das Muster - zunächst breiter Protest der Zivilbevölkerung, teils begleitet von gewaltsamen Ausschreitungen, dann die vermeintliche Einsicht der Wohlhabenden der Gesellschaft, daß sich etwas am "Mißstand" ändern müsse - ist von der Nahrungsmittelkrise 2007, 2008 her bekannt. Damals war es in mehreren Dutzend Ländern wegen der global exorbitant gestiegenen Lebensmittelpreise zu Unruhen gekommen. Regierungen schwankten oder wurden gar gestürzt. Kurz darauf wurden die ersten Analysen verbreitet: Der Hunger sei eine Gefahr für die gesellschaftliche Ordnung, wußte selbst die Weltbank zu berichten, die reichen Länder müßten mehr zu seiner Bekämpfung unternehmen. Dieser Appell klang allerdings eher wie eine Chiffre dafür, daß anstelle des hungrigen Knurrens der leeren Mägen das zornige Knurren der Hungernden zum Schweigen gebracht werden sollte - mit welchen Mitteln auch immer.

Vor zwei Wochen gelangte die Nichtregierungsorganisation Oxfam in einem "Media Briefing" [1] zu dem Schluß, es sei an der Zeit, nach den "großartigen Erfolgen im Kampf gegen extreme Armut" im vergangenen Jahrzehnt auch den "extremen Reichtum" bis zum Jahr 2025 zu beenden. Dazu müsse die in den meisten Ländern rasch wachsende Ungleichheit umgekehrt werden. So besäße das reichste eine Prozent der US-Bürger im Jahr 1980 noch zehn Prozent des Nationaleinkommens, dreißig Jahre später seien es schon 20 Prozent. Und das Einkommen des wohlhabendsten einen Prozents der Weltgesellschaft hätte sich um 60 Prozent innerhalb von zwanzig Jahren erhöht. Bei den reichsten 0,01 Prozent sei der prozentuale Zuwachs sogar noch größer ausgefallen.

Oxfam hinterlegt seine Analyse mit weiteren Zahlen, die den globalen Trend zur Bereicherung anschaulich machen, und kommt schließlich zu der griffigen Aussage: Im vergangenen Jahr haben die hundert reichsten Milliardäre der Welt ihren Wohlstand um 240 Milliarden US-Dollar erhöht. Diese Summe würde genügen, um den Hunger in der Welt viermal zu beenden. Zu den Forderungen Oxfams gehört auch die Einführung einer Steuer auf Kapitalgewinne.

Hierbei handelt es sich um ein älteres Konzept, das, würde es verwirklicht, zur Folge hätte, daß die Bereicherung durch Kapitalgewinne nur kräftig zuzulegen bräuchte, damit die Steuereinnahmen zur Bekämpfung der Armut zunehmen. Damit weist der Vorschlag eine sehr große Nähe zur neoliberalen Krümeltheorie auf, fachsprachlich Trickle-down-Effekt: Wenn man nur die Reichen ständig kräftig füttert, fällt um so mehr von ihrem Tisch herunter. Das käme dann den Armen zugute.

Das bedeutet, daß Oxfam nicht die Voraussetzungen von Armut und Reichtum aus der Welt schaffen, sondern nur die extremen Auswüchse beheben will. In einer von Oxfam bestimmten Welt bedürfte es vermutlich auch entsprechender Gewaltmittel, um diesen gesellschaftlichen Grundwiderspruch aufrechtzuerhalten. Um einen solchen handelt es sich insofern, als daß die Vergesellschaftung des Menschen mit dem Argument propagiert wird, dies sei zum Nutzen aller. Faktisch hat sich jedoch herausgestellt, daß die Vorteile in den Händen von wenigen liegen, die sich auf Kosten der Mehrheit bereichern.

Würde man die von Oxfam vorgeschlagenen Maßnahmen zur Umverteilung des Wohlstands ergreifen, beeinträchtigte das in keiner Weise die Möglichkeit zur Bereicherung. Man könnte sogar davon ausgehen, daß eine solche Gesellschaft propagandistisch noch gefestigter wäre, da ja durch die Umverteilung angeblich für mehr Gerechtigkeit gesorgt worden wäre.

Wenn der IWF und andere Institutionen feststellen, daß Ungleichheit gefährlich ist und zu sozialen Unruhen führen kann, dann bedeutet das nicht zwangsläufig, daß die Antwort der vorherrschenden gesellschaftlichen Kräfte auf diese "Gefahr" - aus ihrer Sicht natürlich - darin besteht, von oben nach unten umzuverteilen. Denkbar wäre auch, die Repressionen gegen das Protestpotential zu intensivieren. Eben das fand in den letzten zehn Jahren statt. Zeitgleich mit der exorbitanten Bereicherung einer kleinen Zahl von Menschen haben die US-Regierung und ihre Verbündeten nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA einen globalen Krieg gegen den Terror ausgerufen. Dieser wurde von vielen Regierungen, auch der deutschen, zum Anlaß genommen, die sogenannte innere Sicherheit auszubauen.

Dabei wurden und werden weiterhin vormals fundamentale Rechtsgrundlagen in Frage gestellt, teils sogar abgeschafft. Das faktisch eingeführte allgemeine Kriegsrecht hat unter anderem zur Folge, daß militärisch hochgerüstete Nationen unter Verletzung territorialer Hoheitsrechte Bürger anderer Staaten aus dem Hinterhalt liquidieren konnten. Anklage und Verteidigung sind nicht mehr vorgesehen. Auch werden Menschen verschleppt und viele Jahre ihres Lebens eingekerkert, ohne daß jemals Anklage gegen sie erhoben wurde. So werden jahrhundertealte Rechtsgrundlagen auf den Kopf gestellt. All diese Maßnahmen richten sich vordergründig gegen den islamischen Fundamentalismus. Sie lassen sich aber ebenso gegen einen "sozialen Fundamentalismus" eines aufmüpfigen Prekariats in Stellung bringen.

Mit dieser Entwicklung befaßt sich Oxfam nicht. Die Grundlage der Bereicherung wird nicht in Frage gestellt, was den Schluß zuläßt, daß die Organisation, auf welcher Seite sie sich selbst auch immer sieht, offensichtlich nicht die Position der Armen und Unterprivilegierten einnimmt. Denn diese bleiben in einer "Oxfam-Gesellschaft" immer noch arm und unterprivilegiert.


Fußnoten:

[1] http://www.oxfam.org/sites/www.oxfam.org/files/cost-of-inequality-oxfam-mb180113.pdf

4. Februar 2013