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LAIRE/1358: Ausbeutung - beim Namen genannt ... (SB)



In der Demokratischen Republik Kongo profitieren angeblich manche Kinder davon, daß sie im Bergbau arbeiten. Nur in wenigen Minen würden sie besonders schlimm ausgebeutet, behauptete kürzlich ein Rohstoffexperte auf NDR Info. Wenige Tage zuvor hatte ein Wirtschaftsethiker aus München im Deutschlandfunk erklärt, daß bei der Fertigung von Billigwaren in Südostasien keine Ausbeutung stattfindet und alle Seiten davon profitieren, daß dort so günstig produziert wird. In beiden Standpunkten offenbart sich die überhebliche Perspektive des Herrenmenschen, der sich nicht vorstellen will, welche Schmerzen Tätigkeiten beispielsweise im kongolesischen Bergbau oder in den südostasiatischen Nähbetrieben bei Kindern wie auch Erwachsenen auszulösen vermögen.

Die Digitalisierung der Gesellschaft und der Umstieg von fossilen Energien auf Erneuerbare soll der kapitalistischen Wirtschaftsordnung einen Innovationsschub verleihen, für den der Einsatz großer Mengen bestimmter Rohstoffe, beispielsweise Kupfer, Kobalt und Seltene Erden, erforderlich wird. Um den Bedarf zu decken ist der Tiefseeboden ins Visier von Politik und Industrie geraten. Die Bundesrepublik Deutschland gehört zu jenen Staaten, die sich im östlichen Pazifik zwischen Hawaii und Kalifornien ein riesiges Areal zur Exploration von Manganknollen gesichert haben, die jene begehrten Metalle enthalten.

Gegenwärtig wird noch bei der zuständigen Internationalen Meeresbodenbehörde in Kingston, Jamaika, über ein Regelwerk verhandelt, nach dem in Zukunft die Bodenschätze gehoben werden dürfen. Auch wenn die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) schon seit Jahren die möglichen ökologischen Folgen des Meeresbodenbergbaus erforscht, weiß man noch viel zu wenig über mögliche Akkumulations- und Synergieeffekte sowie die Langzeitfolgen solcher flächendeckenden Eingriffe.

Vor diesem Hintergrund stellen manche BGR-Vertreter es so dar, als ob der umstrittene Meeresbodenbergbau eine Alternative zu Kinderarbeit im Bergbau der DR Kongo sei. Das trifft jedoch allein deshalb nicht zu, weil so große Mengen an Rohstoffen benötigt werden, daß die Kinderarbeit weitergeht und zusätzlich der Meeresboden ökologisch zerstört wird. Außerdem kann Kinderarbeit nicht über einen Marktmechanismus beendet werden. Die Entlohnung der Kinder ist schon derart gering, daß es niemals dazu kommen wird, daß die Weltmarktpreise für die Rohstoffe so weit fallen, daß sich Kinderarbeit nicht mehr lohnt. Eher wäre als Reaktion auf so einen theoretischen Fall damit zu rechnen, daß die Kinder noch schlechter bezahlt werden als bisher.

In der Sendung "Echolot auf hoher See: Woher kommen die Rohstoffe für die Energiewende?" des NDR Info vom 2.12.2019 kolportierte BGR-Mitarbeiter Philip Schütte jene Mär, daß der Meeresbodenbergbau Kinderarbeit ablösen könnte. Zugleich relativierte er Kinderarbeit, indem er erklärte:

"Wenn es jetzt einfach darum geht, dass ein Kind im Rohstoffsektor leichte Tätigkeiten gemeinsam vielleicht mit seiner Familie unternimmt und dadurch vielleicht die Familie noch Einkommen hat, damit das Kind dann sein Schulgeld bezahlen kann: Wer ist man dann als Europäer, dass man sich da hinstellt und sagt 'Nee, das ist verboten!'

Es gibt da sehr viele Kinder, mehrere tausend, die auf den Minen unterwegs sind, aber die, die die tatsächlich schlimmste Form der Kinderarbeit durchführen, das haben wir auf zwei, drei Minen gesehen, von knapp 60 Minen, die wir uns angeschaut haben. Also muss man dann relativieren." [1]

Schütte hebt hier auf einen unter anderem in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit geführten Diskurs ab, wonach die Sicht eines Weißen aus Europa, auch wenn er "nur" helfen will, abgehoben und arrogant sein kann, weil, wenn man den Kindern die Verdienstmöglichkeit untersagt, deren Armut womöglich zunimmt. Bei diesem Argument wird jedoch der entscheidende Zusatz unterschlagen: Unter den gegebenen sozioökonomischen Bedingungen. Diese werden von Schütte und anderen gar nicht erst in Frage gestellt, rührte das doch an den Voraussetzungen ihres Wohlstands.

Die Industrieländer sorgen permanent dafür, daß das Wohlstandsgefälle gesichert bleibt. In Afrika wächst zwar eine Mittelschicht heran, allerdings sehr langsam. Zugleich bleibt die Armut auf sehr hohem Niveau. Das hat unter anderem damit zu tun, daß der Abbau von Rohstoffen extrem profitabel ist, und das kann er nur sein, weil die Arbeit billig ist. Unverhohlen schreibt die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in einem "Wegweiser für deutsche Unternehmen" über den Risikostandort DR Kongo: "In einigen Branchen wie dem Bergbau oder dem Mobilfunk sind die Gewinnmargen derart hoch, dass private Unternehmen Milliarden-US-Dollar zu investieren bereit sind". [2]

Diese "Milliarden" kommen dadurch wieder rein, daß die Menschen in der DR Kongo, gleich welchen Alters, sich sprichwörtlich dabei aufreiben, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie befinden sich am untersten Ende der Wertschöpfungskette und sind die Verlierer der globalisierten Warenproduktion.

Einen ähnlichen Standpunkt wie Schütte vertrat der Wirtschaftsethiker Christoph Lütge von der TU München im Interview mit dem Deutschlandfunk zum Thema "Billigprodukte im Black Friday Sale". Er sprach nicht konkret zur DR Kongo oder Kinderarbeit, sondern über die Arbeitsverhältnisse in den Ländern des Südens im allgemeinen. Auf die Frage der Moderatorin Christiane Kaess, ob die Arbeiterinnen und Arbeiter in Asien mit ihren extrem niedrigen Löhnen letztlich den Preis für die Billigproduktion bezahlen, erwiderte Lütge:

"Über solche Argumente muss ich mich wirklich lustig machen. Das ist einfach kompletter Unsinn. Das muss ich einfach mal ganz klar so sagen. Sie haben vorhin über Gewinnmargen gesprochen. Bezogen auf die Löhne in Asien ist eine Riesen-Gewinnmarge drin. Das liegt alles im Risiko des Unternehmers. Das ist nichts, was auf irgendwelche Arbeiter in Asien oder in anderen Regionen der Welt abgewälzt wird, wo übrigens auch mittlerweile die Löhne deutlich gestiegen sind. Diese Vorstellung von manchen Leuten hier in Deutschland, wir beuten hier irgendwelche Leute in Asien aus, das ist einfach kompletter Humbug." [3]

Es sei eine Win-Win-Situation, "alle profitieren", insbesondere diejenigen, die weniger Geld haben. Ausbeutung findet nicht statt. Den Ländern in Asien gehe es besser dadurch, daß sie Produkte für uns herstellen, sagte Lütge.

Zwei Stimmen, die stellvertretend für einen in Politik und Wirtschaft verbreiteten Standpunkt sind, demzufolge die profitorientierte Wirtschaftsordnung, die solche gesundheitlich ruinösen Lohnarbeitsbedingungen hervorbringt, Schicksal ist und nicht etwa Ergebnis eines von Vorteilserwägungen bestimmten und durch sämtliche Mittel der rechtlichen, politischen und militärischen Gewalt fortwährend gesicherten Interesses an der Dauerbefestigung des Wohlstandsgefälles vom Globalen Norden zum Globalen Süden.


Fußnoten:

[1] https://www.ndr.de/nachrichten/info/sendungen/das_forum/forum5786.pdf

[2] https://www.giz.de/de/downloads/Neue-maerkte-kongo.pdf

[3] https://www.deutschlandfunk.de/billigprodukte-im-black-friday-sale-niemand-wird.694.de.html?dram:article_id=464611

9. Dezember 2019


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