Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → MEINUNGEN


LAIRE/1377: U.S. Space Force - militärische Experimente ... (SB)



Für den 16. Mai 2020 ist ein Start des wiederverwendbaren, unbemannten Raumschiffs X-37B, mit dem das US-Militär Experimente im All durchführen will, anberaumt. Interessanter als das, was die Verantwortlichen von der U.S. Space Force bereit sind, zu den Aufgaben dieser Mission mitzuteilen, dürfte das sein, was alles verschwiegen wird. Möglicherweise hätte man für die Experimente auch die Internationale Raumstation ISS als Forschungsplattform wählen können, aber dann hätte das Risiko bestanden, daß einem andere über die Schulter schauen.

Zudem dürfte es in diesem Projekt nicht allein um die Versuche, sondern auch um Tests zur Einsatzfähigkeit dieses kleineren Bruders der 2011 eingestellten Space Shuttles gehen. Die USA bauen ihre militärischen Defensiv- und Offensivfähigkeiten im Weltraum immer weiter aus, und die von Boeing gebaute X-37B füllt dabei eine bemerkenswerte "Lücke" auf dem Weg zur angestrebten "full spectrum dominance", der vollständigen Vorherrschaft der US-Streitkräfte am Boden, zu Wasser, in der Luft, im Cyberraum und im Weltall.

2006 hatte die US-Luftwaffe das Geheimprojekt X-37 von der DARPA weitergeführt, einer Forschungsstätte des US-Verteidigungsministeriums, die es ihrerseits 2004 von der Weltraumbehörde NASA übernommen hatte. Im April 2010 erfolgte der erste Start der X-37B. Das 8,80 Meter lange Raumfahrzeug wird mit Hilfe einer zweistufigen Atlas-V-Trägerrakete in den erdnahen Orbit geschossen und vermag dort eigenständige Manöver zu vollziehen. Auch die spätere Landung erfolgt automatisch. Die nun geplante Mission ist bereits die sechste mit dem auch Orbital Test Vehicle (OTS) genannten Experimentalraumschiff.

Die Verantwortung für Start, Betrieb und Landung liegt bei der 2019 gegründeten U.S. Space Force, die X-37B selbst bleibt in der Zuständigkeit des Rapid Capabilities Office (RCO) der U.S. Air Force. Start- und Landeplatz ist der Raumhafen Cape Canaveral in Florida.

Während der fünf Missionen in den letzten zehn Jahren war das Raumschiff fast sieben Jahre und zehn Monate im All. Die letzte Landung erfolgte im Oktober 2019 nach 780 Tagen Dauereinsatz. Das liefert bereits einen Hinweis auf offensichtlich langfristig angelegte Nutzanwendungen. Erstmals wird nun ein Servicemodul am hinteren Ende des X-37B angebracht, in dem verschiedene Experimente untergebracht sind. Dazu gehört der kleine Satellit FalconSat-8 der US-Luftwaffenakademie, deren Kadetten damit fünf Experimente durchführen wollen. In zwei weiteren Experimenten der NASA werden die Auswirkungen der Weltraumstrahlung und Mikrogravitation auf Saatgut und verschiedene Materialien erforscht - typische Experimente, wie sie auf der ISS hätten durchgeführt werden können.

Das U.S. Naval Research Laboratory führt einen Versuch zum Auffangen von Sonnenenergie und ihrer Nutzung als Mikrowellenstrahlung durch. Die könnte zum Boden abgestrahlt werden, lautet eine in den Medien verbreitete Vermutung. Der Vorteil wäre, daß die Sonnenenergie im All unabhängig von den Wetterbedingungen zur Verfügung steht. [1]

Die Vorstellung, erneuerbare Energien direkt aus dem All abzugreifen, aufzukonzentrieren und zur Erde zu schicken, mutet allerdings wenig vorteilhaft gegenüber altbewährten, bodengestützten Methoden der Sonnenenergienutzung an. Mehr Plausibilität kommt jedoch der Idee zu, daß diese experimentelle Grundlagenforschung eines Tages in die Verfügbarkeit von quasi unbegrenzter Energie für militärische Zwecke in der Atmosphäre und im Weltraum mündet. Mit den Mikrowellen könnten beispielsweise Laser betrieben werden, mit denen gegnerische Satelliten ausgeschaltet werden. Oder die Mikrowellen werden als Antriebsenergie für eigene Satelliten und weltraum- und atmosphärengestützte Systeme genutzt. Jedenfalls wird die hohe Attraktivität von Mikrowellenanwendungen im All daran deutlich, daß verschiedene Teilstreitkräfte der USA seit längerem mit Forschungen auf diesem Gebiet befaßt sind.

Da das US-Militär abgesehen von Allgemeinplätzen bislang kaum Informationen über die Aufgabe des Experimentalraumschiffs X-37B herausgegeben hat, kann darüber viel spekuliert werden. X-37B wurde in einem relativ niedrigen Orbit von weniger als 320 Kilometer Höhe beobachtet. Damit flog das Raumschiff noch unterhalb der Bahnen der ISS. Möglicherweise wollen die Vereinigten Staaten Spionagesatelliten in niedrigeren Umlaufbahnen um die Erde kreisen lassen. Das hätte den Vorteil noch genauerer Aufnahmen, aber den Nachteil eines höheren Energieverbrauchs, weil die Satelliten rascher an Höhe verlören, als wenn sie weiter außerhalb um die Erde kreisten. Spekuliert wird ebenfalls darüber, daß mit der X-37B neuartige Ionenantriebe getestet werden. Mit ihnen könnten leichtere Satelliten gebaut werden, die einfacher ins All zu hieven sind und eine längere Betriebszeit hätten.

Mal im All, mal in der Erdatmosphäre - indem das Raumschiff X-37B während seiner elliptischen Umlaufbahn zwischen oberer Atmosphäre und erdnahem Weltraum wechselt, könnte daraus der Vorteil einer aufwendigeren Erfassung durch gegnerische Kräfte gewonnen werden. Diese Ansicht vertritt jedenfalls Heather Wilson, die frühere Leiterin des zivilen Departments der U.S. Air Force. Des weiteren soll X-37B die Fähigkeit erhalten, mit den Kampfjets der fünften Generation, F-22 und F-35, zu kommunizieren. [2]

Alles in allem scheint die exakte Aufgabe von X-37B nicht definiert zu sein. Dennoch ist das Projekt für die Militärs so attraktiv, daß sie darin beträchtliche Finanzmittel versenken. Eben weil sich das Experimentalraumschiff in einem Bereich knapp außerhalb der Erde bewegt, der normalerweise entweder unberührt bleibt (Flugzeuge) oder aber zügig durchquert wird (Raketen), kommt der X-37B ein Alleinstellungsmerkmal zu, auf das die US-Militärs nicht verzichten wollen. Die Forschungen, die auf dieser niedrigen orbitalen Höhe betrieben werden, öffnen gänzliche neue militärische Optionen. Beispielsweise wäre daran zu denken, daß eines Tages gegnerische Raketen beim Durchqueren des erdnahen Orbits, also zu einem Zeitpunkt, an dem sie sehr verletzlich sind, angegriffen werden.

Sollte dem X-37B eine taktische oder strategische Relevanz zukommen, werden sich andere Weltraumnationen wie Rußland oder China darauf einstellen und Gegenmaßnahmen ergreifen. Der Rüstungswettlauf auch im All ist längst in seine heiße Phase getreten.


Fußnoten:

[1] https://www.universetoday.com/146050/space-force-is-about-to-launch-its-mysterious-x-37b-spaceplane-again/

[2] https://taskandpurpose.com/military-tech/x-37b-space-plane-mission

15. Mai 2020


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang